Umweltorganisationen fordern Sofort-Stopp für Kurzstreckenflüge
Ein Bündnis von 14 Umweltschutzorganisationen fordert ein sofortiges Aus für alle innerdeutschen Kurzstreckenflüge bis zu einer Entfernung von 600 Kilometern. So könnten jährlich mehr als eine Million Tonnen Kohlenstoffdioxid eingespart werden, argumentieren die Organisationen in einem am Mittwoch veröffentlichten Forderungspapier. Es richtet sich explizit an die potenziellen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Robin Wood, die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF), Germanwatch und der VCD.
Nach dem wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und der daraufhin erfolgten Anpassung des Klimaschutzgesetzes müsse nun auch der Luftverkehrssektor seine Minderungsmaßnahmen deutlich nachschärfen. Es sei “völlig unverständlich, warum Ultrakurzstreckenflüge in Zeiten der Klimakrise überhaupt noch erlaubt” seien, erklärte Werner Reh vom BUND. Gemeint sind Flüge bis zu einer Entfernung von 600 Kilometern. Die Organisationen fordern, jeder Flug, dessen Ziel “innerhalb von vier Stunden mit dem ICE erreichbar” wäre, solle abgeschafft werden. Im nächsten Schritt sollten auch Kurzstreckenflüge bis 1500 Kilometer “überflüssig gemacht” werden. Keine andere Art der Fortbewegung “verbrenne” so viel Energie wie das Fliegen.
“Die Hälfte aller innerdeutschen Flüge kann bereits jetzt durch eine Bahnfahrt von maximal vier Stunden ersetzt und dadurch jährlich 1,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden”, sagte Reh weiter.
Großer Anteil am Klimawandel
Allein der innerdeutsche Flugverkehr ist jährlich für etwa zwei Millionen Tonnen CO2 verantwortlich. Die tatsächliche klimaschädliche Wirkung des Luftverkehrs ist Experten zufolge aber zwei- bis fünfmal so hoch wie die Wirkung der CO2-Emissionen alleine. Das liegt an zusätzlichen Effekten und Emissionen wie etwa dem Ausstoß von Stickoxiden, der ebenfalls zur Erderwärmung beiträgt. Der von Deutschland ausgehende internationale Flugverkehr verursachte im Jahr 2018 nochmals 30,4 Millionen Tonnen CO2.
Untersuchungen zufolge trägt der globale Flugverkehr mit einem Anteil von rund 4,9 Prozent zum Klimawandel bei und ist weltweit für fast sechs Prozent der klimawirksamen Emissionen verantwortlich.
Lösungen
Laut Umweltbundesamt “TREMOD” verursacht ein Flug innerhalb Deutschlands pro Person sieben- bis achtmal so viele Treibhausgase wie die das Zurücklegen der gleichen Strecke per Bahn oder Fernbus. Selbst den Pkw übertrifft das Flugzeug noch mit rund 60 Prozent mehr Ausstoß.
Die Unterzeichner mahnen deswegen eine deutliche Verlagerung des Flugverkehrs hin zum Schienenverkehr an. Die künftige Bundesregierung müsse die Weichen für einen attraktiveren und günstigeren Bahnverkehr stellen. Die Hälfte aller innerdeutschen Flüge könne sofort auf die Schiene verlagert werden, da die Ziele innerhalb von vier Stunden mit dem ICE erreichbar wären. Allein dieser Schritt könne bis zu 1 Million Tonnen CO2 einsparen. Auch seien ausländische Ziele wie Paris, Amsterdam oder Brüssel von deutschen Bahnhöfen ohne Reisezeitverlust zu erreichen.
Für die vollständige Verlagerung der Kurzstrecken müssten Zugverbindungen zwischen den Metropolen häufiger und zuverlässiger frequentiert werden (Stichwort: “Deutschlandtakt”). Um auch Kurzstrecken ins Ausland obsolet werden zu lassen, müsste das europaübergreifende Angebot ausgebaut werden.
Finanzielle Schieflage
Die Unterzeicher fordern zudem Änderungen bei der staatlichen Subventionierung des Flugverkehrs. Staatliche Milliardenhilfen für Fluggesellschaften und Flughäfen seien in der Coronakrise ohne klimapolitische Auflagen gewährt worden. Gleichzeitig hätte die Luftverkehrsbranche bisher “sämtliche Klimaversprechen” gebrochen. Es seien weder die Treibhausgasemissionen reduziert worden, noch habe sich die Klimabilanz etwa etwa durch das Verwenden nachhaltiger alternativer Kraftstoffe verbessert.
Laut Unterzeichnern verbietet das EU-Beihilferecht eigentlich die Subventionierung von Regionalflughäfen, die sich schon vor der Pandemie unprofitabel waren. Statt einem “Wildwuchs” an kleinen Flughäfen, bräuchte es ein bundesländerübergreifendes Flughafensystem mit sechs bis acht finanziell stabilen Flughäfen. Dieser Schritt würde bis zu 4 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Die Besteuerung von Kerosin auf innereuropäischen Flügen habe bereits die EU-Kommission Mitte Juli in ihrem Programm “Fit for 55” vorgeschlagen: Demnach sollen ab dem Jahr 2024 auf jeden Liter 4 Cent erhoben werden. In Jahresschritten soll sich die Steuer bis 2033 auf 40 Cent pro Liter erhöhen. Das könnte Staatseinnahmen von 12 Milliarden Euro pro Jahr generieren. Momentan ist Kerosin von Energie- und Mehrwertsteuer ausgenommen.
Würde man auch die Kosten für die entstehenden CO2-Emissionen in der Steuer einpreisen, müssten laut Umweltschutzorganisationen sogar 55 Cent pro Liter erhoben werden. Zudem fordern die Autorinnen auch Frachtflüge und außereuropäische Flüge auf diese Weise zu versteuern – momentan sehe der EU-Vorschlag dies nicht vor. Um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, sollte ein Grenzausgleich in Höhe der EU-Kerosinsteuer auf Flüge aus Ländern ohne diese Steuer möglich sein.
Ähnlich wie bei anderen klimschädlichen Faktoren sind die Industrieländer die Hauptverursacher der Emissionen des Flugverkehrs. Unter den Folgen dieses Verhaltens leiden allerdings vorrangig ärmere Länder der südlichen Hemisphäre. Der BUND weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass 90 Prozent der Weltbevölkerung noch nie einen Flug angetreten hat. (dpa / hcz)