UN-Menschenrechtler rügen deutsche Überwachung

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Der UN-Menschenrechtsausschuss empfiehlt Deutschland auch, Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen – und somit das Recht auf Leben. (Quelle: IMAGO / UPI Photo)

Der UN-Menschenrechtsausschuss hat die Überwachungsbefugnisse deutscher Behörden kritisiert. Auch für den Klimaschutz müsse die Regierung mehr unternehmen. Der Ausschuss kontrolliert die Umsetzung und Einhaltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt).

Deutschland hat den UN-Zivilpakt als einer von 173 Staaten ratifiziert und muss regelmäßig über die Umsetzung der darin festgelegten Rechte informieren. Für den aktuellen Staatenbericht hatte der Ausschuss ein vereinfachtes Verfahren angewandt und eine Liste von Fragen erstellt. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten dabei Themenvorschläge einreichen. Nach Prüfung der Antworten und einem Dialog mit deutschen Vertretern hat der UN-Menschenrechtsausschuss in der vergangenen Woche nun seine Untersuchungsergebnisse veröffentlicht.

Die 18 unabhängigen Expertinnen und Experten zeigen sich darin unter anderem besorgt über die “weitreichenden Überwachungsbefugnisse” der deutschen Behörden, wie das Mitlesen verschlüsselter Kommunikation im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen. Der Bundestag hatte im Juni 2021 mit einer Novelle des Verfassungsschutzrechts erstmals allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit eingeräumt, Spähsoftware zur Überwachung von Kommunikation einzusetzen.

Zweifel an Reform des BND-Gesetzes

Besonders besorgniserregend sei, dass das BND-Gesetz aus dem Jahr 2016 dem Bundesnachrichtendienst (BND) mit der sogenannten Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung eine massenhafte und anlasslose Überwachung erlaubt. Zwar begrüßt der UN-Menschenrechtsausschuss die gesetzlichen Reformen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte im Mai 2020 entschieden, dass die bisherige Praxis teilweise verfassungswidrig war. Es bleibe aber unklar, ob die neuen Regelungen mit EU-Recht vereinbar sind. Zudem habe der unabhängige Kontrollrat seine Arbeit noch nicht aufgenommen – er soll erst ab Anfang 2022 die Abhörtätigkeiten des BND überwachen, wenn auch das reformierte BND-Gesetz in Kraft tritt.

Deutschland solle sicherstellen, das alle Überwachungsmaßnahmen und Eingriffe in die Privatsphäre im Einklang mit dem UN-Zivilpakt stehen. Die Expertinnen und Experten verweisen insbesondere auf Artikel 17, der Menschen vor “willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen” in Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr schützt. Der Menschenrechtsausschuss fordert außerdem, dass die Überwachung wirksamen und unabhängigen Kontrollmechanismen unterliegen muss. Im Falle von Missbrauch müsse der Zugang zu Rechtsmitteln garantiert sein.

Das Kontrollgremium begrüßt das Bestreben Deutschlands, gegen Hass im Internet vorzugehen – äußerte aber zugleich Besorgnis über die “weitreichenden Befugnisse” zur Entfernung von Inhalten, die 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetDG) eingeführt wurden. Die Experten kritisieren, dass die Verantwortung für das Entfernen von Beiträgen bei den Social-Media-Plattformen liegt und es keine gerichtliche Aufsicht gibt. Es bestehe Sorge, dass die Bestimmungen und ihre Anwendung eine abschreckende Wirkung auf die freie Meinungsäußerung haben könnten. Deutschland müsse sicherstellen, dass das Gesetz mit den Anforderungen an die freie Meinungsäußerung im UN-Zivilpakt übereinstimmt. Auch solle erwogen werden, eine gerichtliche Aufsicht im Gesetz vorzusehen.

Menschen vor Auswirkungen des Klimawandels schützen

Auch zum Thema Klimawandel und Umweltschutz haben sich die UN-Menschenrechtler geäußert: Bemühungen wie das Klimaschutzgesetz von 2019 oder der Klimaschutzplan 2050 seien zwar lobenswert. Der Ausschuss vermisste jedoch spezifische Informationen über Präventivmaßnahmen zur Vermeidung negativer Auswirkungen des Klimawandels – so wie bei den Überschwemmungen in diesem Jahr. Deutschland müsse solche Maßnahmen entwickeln und weiter an einem Rechtsrahmen zum Klimaschutz zu arbeiten – dazu gehöre auch, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem März 2021 vollständig umzusetzen. Das höchste deutsche Gericht hatte entschieden, dass das Klimaschutzgesetz teilweise nicht mit den Grundrechten vereinbar ist, weil es die Freiheitsrechte künftiger Generationen verletzt. Auch müssten Mechanismen zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen entwickelt werden.

Der Ausschuss hat sich darüber hinaus mit vielen weiteren Themen befasst: Er empfiehlt Deutschland etwa, Strafverfolgungsbeamte zu schulen, um sogenanntes Racial Profiling zu verhindern, also die ungerechtfertigte Verdächtigung von Menschen bestimmter Ethnien. Besorgt ist er zudem über Berichte von Polizeigewalt – und darüber, dass eine “beträchtliche Anzahl” von Anzeigen in diesem Zusammenhang nicht vor Gericht kommen. Außerdem sollten gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Nachbesserungsbedarf sehen die Expertinnen und Experten beispielsweise auch beim Thema Einzelhaft: Diese dürfe nicht, wie in Deutschland, auf unbestimmte Zeit verhängt werden und für Jugendliche sollte die Strafe abgeschafft werden.

Der UN-Menschenrechtsausschuss spricht nur Empfehlungen aus, die nicht rechtlich bindend sind. Bis Ende 2024 soll Deutschland dem Ausschuss berichten, inwiefern es die Empfehlungen zum Schutz der Privatsphäre umgesetzt hat. Voraussichtlich im Jahr 2027 wird Deutschland erneut zur Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte befragt.

Bei den nun veröffentlichten Untersuchungsergebnissen handelt es sich um eine Vorabversion. Eine UN-Sprecherin bestätigte auf Anfrage von Posteo, dass sich die finale Version nicht hinsichtlich der Ergebnisse unterscheidet. (js)