UN: 1,5 Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht

Fluechtlinge
“75 Prozent derjenigen, die vertrieben werden, im eigenen Land oder ins Ausland, leben in armen Ländern oder solchen mit mittleren Einkommen” (Quelle: Julien Harneis – CC BY-SA 2.0)

Rund 120 Millionen Menschen sind derzeit nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR weltweit auf der Flucht vor Gewalt, Krieg, Konflikten und Verfolgung. Das sind fast zehn Prozent mehr als vor einem Jahr, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Donnerstag berichtete. Es war der zwölfte Anstieg der Zahlen in Folge. Rund 1,5 Prozent der gesamten Weltbevölkerung sind aus ihrer Heimat vertrieben, wie aus dem neuen Weltflüchtlingsbericht "Global Trends Report" hervorgeht.

“Hinter diesen drastischen und steigenden Zahlen verbergen sich unzählige menschliche Tragödien. Dieses Leid muss die internationale Gemeinschaft dazu bringen, dringend zu handeln und die Fluchtursachen zu bekämpfen”, appelierte der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Filippo Grandi am Donnerstag.

Gut zwei Drittel der Geflüchteten sind innerhalb der Grenzen des eigenen Heimatlandes auf der Flucht. Der Eindruck, dass Migranten und Flüchtlinge vor allem in reiche Länder strömen, sei falsch, sagte Grandi. “75 Prozent derjenigen, die vertrieben werden, im eigenen Land oder ins Ausland, leben in armen Ländern oder solchen mit mittleren Einkommen.” Zum Großteil seien nicht die reichen Länder betroffen, obwohl manchmal dieser Eindruck erweckt werde, sagte er. Die meisten Menschen würden nach der Flucht in Nachbarländern in der Hoffnung ausharren, zügig in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Vertriebene suchen Asyl in USA und Deutschland

Bei den Menschen, die keine Chance auf baldige Rückkehr sehen, standen die USA und Deutschland hoch im Kurs: Die USA verzeichneten mit Abstand die meisten Asylanträge, insgesamt 1,2 Millionen. Danach folgte mit großem Abstand Deutschland mit rund 330.000 Anträgen, vor Ägypten, Spanien und Kanada.

Die Zahlen sind von Jahr zu Jahr nur bedingt vergleichbar, weil die Datenlage in manchen Ländern besser wird und die Erhebungsmethoden sich teils ändern. Rekorde beziehen sich auf den Zeitraum seit 1951, als das UNHCR erstmals Flüchtlingszahlen ermittelte.

Der Machtkampf zwischen Armee und Milizen im Sudan und der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas gehören zu den Konflikten, wegen denen 2023 Millionen Menschen fliehen mussten. Große Vertreibungen gab es zudem in Myanmar und in der Demokratischen Republik Kongo.

“Mir zeigt der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen sehr deutlich: Gerade jetzt brauchen wir mehr Entwicklungszusammenarbeit und nicht weniger”, kommentierte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) den Bericht. Entwicklungspolitik schaffe für Geflüchtete Perspektiven vor Ort und für die Rückkehr in ihre Heimat. “Das liegt auch im deutschen Interesse”, sagte die Ministerin.

Im Streit um den Bundeshaushalt 2025 hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Mai Schulzes Ausgabenpolitik infrage gestellt.

Weltweite Hotspots

Der Bericht bezieht sich in seinen Analysen auf das Kalenderjahr 2023. Zum Stichtag, dem 31. Dezember 2023, waren es weltweit 117,3 Millionen Vertriebene – 8 Prozent mehr als Ende 2022. 68,3 Millionen suchten im eigenen Land Zuflucht. Diese Zahl ist 50 Prozent höher als vor fünf Jahren.

Deutschland ist mit 2,6 Millionen Schutzsuchenden das Land mit der viertgrößten Zahl aufgenommener Flüchtlinge, hinter den Aufnahmeländern Iran (3,8 Millionen), der Türkei (3,3 Millionen) und Kolumbien (2,9 Millionen).

Im Sudan sind seit April 2023 mehr als 9 Millionen Menschen vertrieben worden, darunter 1,9 Millionen, die ins Ausland flüchteten. Im Gazastreifen gab es laut UNHCR 1,7 Millionen Vertriebene – rund 75 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen mussten sogar mehrfach fliehen. In Myanmar wurden 2,6 Millionen Menschen vertrieben – doppelt so viele wie ein Jahr zuvor.

Syrien bleibt mit 13,8 Millionen Vertriebenen im In- und Ausland die größte Flüchtlingskrise weltweit. Für Afghanistan gibt das UNHCR 10,9 Millionen Flüchtlinge an, davon haben gut 6,4 Millionen im Ausland Schutz gesucht. In der Ukraine wurden 9,7 Millionen Menschen vertrieben, rund 6 Millionen flohen ins Ausland.

In Hinblick auf die zahlreichen Konflikte sagte UN-Kommissar Grandi: “Es ist höchste Zeit, dass die Kriegsparteien die grundlegenden Bestimmungen des Kriegsrechts und des Völkerrechts insgesamt respektieren.” Es brauche bessere Zusammenarbeit, um Konflikte, Menschenrechtsverletzungen und die Klimakrise zu bewältigen. Ansonsten würden die Vertreibungszahlen weiter steigen und noch mehr Leid und kostspielige humanitäre Maßnahmen fordern.

Klimakrise verschärft Lage

Regionen, die durch Konflikte, Armut, Hunger und schlechte Regierungsführung geprägt sind, liegen auch dort, wo die Klimakrise besonders spürbar ist, heißt es in dem Bericht: “Ende 2023 lebten fast drei Viertel der gewaltsam Vertriebenen in Ländern, die hohen bis extrem hohen klimabedingten Gefahren ausgesetzt waren.” Dazu gehörten die Demokratische Republik Kongo, Somalia, Sudan, Syrien und Jemen.

Der Kampf um Ressourcen in Zufluchtsländern, die vom Klimawandel stark betroffen sind, könne weitere Fluchtbewegungen auslösen, etwa dort, wo das Trinkwasser schon knapp ist oder Dürre immer mehr Ernten vernichtet und Vieh mangels Wasser und Nahrung verendet.

Hoffnung angesichts der angespannten Lage gebe es dennoch betonte UN-Flüchtlingshochkommissar Grandi. Im vergangenen Jahr konnten weltweit mehr als fünf Millionen Binnenvertriebene und eine Million Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Grandi erklärte: “Flüchtlinge – und die Gesellschaften, die sie aufnehmen – brauchen Solidarität und Unterstützung. Sie können einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und tun dies auch, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen.” Die Lösungen lägen auf dem Tisch und Länder wie Kenia hätten demonstriert, wie Flüchtlinge in die aufnehmenden Gesellschaften inkludiert werden können. (dpa / hcz)