UNO-Weltklimabericht: 1,5 Grad fast außer Reichweite
Der Weltklimarat (IPCC) hat am Montag seinen neuen Bericht vorgestellt. Darin beschreibt die Arbeitsgruppe, dass es zu immer extremeren Wetterereignissen kommen wird – und die Erderwärmung 1,5 Grad Celsius unter Umständen schon 2030 übersteigen könnte. In den frühen Dreißigerjahren werde diese Marke sogar mit einer “hoher Wahrscheinlichkeit” erreicht.
Der Weltklimabericht wurde von mehr als 230 Forschenden aus 66 Ländern verfasst. Sie haben rund 14.000 Studien zum Klimawandel gesichtet und bewertet. Bei dem nun veröffentlichten – fast 4000 Seiten lange – Dokument handelt es sich um den ersten Teilbericht mit dem Fokus “naturwissenschaftlichen Grundlagen”; es folgen im nächsten Jahr zwei Teile zu den Folgen des Klimawandels (Februar) und zur Anpassung und der Reduktion von Treibhausgasen (März).
Die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger wurde von den 195 IPCC-Mitgliedsländern einstimmig abgesegnet. “Die Regierungen sitzen also mit im Boot, keiner kann hinterher sagen: ich habe damit nichts zu tun”, sagte Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.
Der am Montag erschienene Bericht ist dank technischer Fortschritte deutlich präziser als seine Vorgänger; dadurch sind die Ergebnisse umso drastischer ausgefallen. Meeresspiegelanstieg, Eisschmelze, Hitzewellen, Dürren und Starkregen ließen sich deutlich sicherer vorhersagen als bisher. Die Forschenden konnten auch auf regionale Klimaveränderungen wie beispielsweise in Westeuropa eingehen.
Klarer als je zuvor sei jetzt, dass praktisch die vollständige Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf menschliches Tun zurückzuführen ist, sagte der zweite Kovorsitzende der Arbeitsgruppe, Panmao Zhai. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre ist seit Beginn der Industrialisierung um 47 Prozent gestiegen, Methan ist 156 Prozent häufiger zu finden. Die Erderwärmung schreitet außerdem schneller voran, als im Sonderbericht 2018 noch erwartet.
1,5 Grad teils schon überschritten
Im vergangenen Jahrzehnt lag die durchschnittliche globale Temperatur um rund 1,1 Grad Celsius höher als noch in den Jahren von 1850 bis 1900. Auf der Landfläche betrug die Steigerung sogar 1,6 Grad. Dabei wird die Erwärmung durch andere vom Menschen verursachte Faktoren noch abgemildert. So reduziert die globale Luftverschmutzung die Durchschnittstemperatur um etwa 0,5 Grad, da Aerosol-Partikel Sonnenlicht ins All reflektieren und kühlend wirken. Sie verursacht aber auch weitere Probleme, wie etwa einen Rückgang der weltweiten Monsunniederschläge und eine verschlechterte Luftqualität.
Je nach Szenario wird die Temperaturerhöhung den kritischen Wert von 1,5 Grad Celsius aber spätestens in 20 Jahren überschreiten. Dies sei mittlerweile fast unvermeidbar. Denn das CO2-Budget, das dafür nicht überschritten werden dürfte, hat die Menschheit schon fast aufgebraucht: 400 bis 500 Gigatonnen könnten noch in die Atmosphäre gelangen, bis die Erwärmung zu hoch ausfällt. Allerdings lag der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen im Jahr 2018 bei 42 Gigatonnen und so bleiben nicht mal mehr zehn Jahre. Eine “sofortige, rasche und weitreichende Verringerung der Treibhausgasemissionen” könnte zumindest noch den Wert zwischen 1,5 Grad und 2 Grad begrenzen. Wird ab sofort nichts oder zu wenig getan, ist auch dieser Wert zukünftig außerhalb des Machbaren.
Extremwetter
Mit der Erwärmung gehen Veränderungen in der Biosphäre einher. Die Klimazonen haben sich seit 1970 in beiden Hemisphären bereits in Richtung der Pole verschoben. Hitzewellen, Starkregen und Dürren treten bereits wesentlich häufiger auf als in vorindustrieller Zeit. Je nach zukünftigem Temperaturanstieg werden Hitzeereignisse bis zum Ende des Jahrhunderts 14- bis 40-mal wahrscheinlicher. Bereits heute sind sie 2,8-mal wahrscheinlicher als in vorindustrieller Zeit – und 1 Grad heißer. Bei einer Erderwärmung um 3 Grad werden sie prognostiziert 9,4-mal häufiger auftreten und 5 Grad heißer sein.
Dürren, die früher etwa alle zehn Jahre auftraten, werden bei einer Erwärmung von 2 Grad viermal pro Jahrzehnt erwartet, vor allem in Afrika, Südamerika und Europa und dort Böden unfruchtbar machen. Gleichzeitig wird es ab 2 Grad Erwärmung zu 70 bis 170 Prozent mehr Starkregen kommen, die 30 Prozent intensiver ausfallen. Besonders heftige Regenfälle in Kombination mit Überschwemmungen, die bislang durchschnittlich alle 10 Jahre zu beobachten waren, sind schon heute um 30 Prozent wahrscheinlicher. Eine Erwärmung um 3 Grad würde dazu führen, dass sie sogar zwei- oder dreimal pro Jahrzehnt auftreten. Davon werden die pazifischen Inseln und viele Regionen Nordamerikas und Europas besonders betroffen sein. Tropische Wirbelstürme werden häufiger in den höchsten Kategorien 4 und 5 vorkommen.
Ende des Jahrhunderts dürfte der Meeresspiegel um 0,28 bis 2 Meter höher liegen als 1995-2014. Wobei ein Anstieg um etwa 0,6 Meter bis 2100 derzeit als am wahrscheinlichsten gilt. Das betrifft mindestens zwei Drittel der Küsten. Momentan steigt der Meeresspiegel um rund 3,7 Millimeter pro Jahr – Tendenz steigend. “In der Arktis sind Dreiviertel des Meereisvolumens im Sommer schon abgeschmolzen”, sagte Mitautor Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. “Wir werden es vermutlich nicht mehr verhindern können, dass das Nordpolarmeer bis 2050 im Sommer zumindest in einzelnen Jahre weitgehend eisfrei sein wird.” Aufgrund des Meeresspiegelanstiegs werden extreme Ereignisse wie Sturmfluten nicht mehr wie aktuell einmal pro Jahrhundert auftraten, sondern bis zum Jahr 2100 mindestens jährlich.
Dennoch hilft jede noch so kleine Bemühung, die globale Erwärmung niedrig zu halten. “Jedes Grad oder zehntel Grad Erwärmung, das vermieden wird, reduziert natürlich die Gefahr von Extremereignissen. Das hilft vielleicht, den Kopf nicht in den Sand stecken zu müssen”, erklärte Douglas Maraun, Wissenschaftler am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel in Österreich und Mitautor des Berichts gegenüber der Deutschen Welle.
Fünf Szenarien für die Zukunft
Der Weltklimabericht beschreibt fünf mögliche Szenarien für die Zukunft, die jeweils unter verschiedenen Voraussetzungen eintreten: Im schlimmsten Fall gingen die Forschenden davon aus, dass sich der CO2-Ausstoß bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppelt hat. Im besten Fall lebt die Menschheit im Jahr 2050 klimaneutral und befreit die folgende Zeit die Atmosphäre sogar von Treibhausgasen. Die anderen Szenarien ordnen sich zwischen diesen beiden Extremen ein.
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sich der CO2-Ausstoß bis 2050 verdoppelt, auszuschließen ist es aber nicht. Die Folgen wären zum einen ein weiterer Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter bis zum Ende des Jahrhunderts – je nachdem, wie schnell der Eisschild der Antarktis schmilzt. Zum anderen würde die Atlantische Umwälzströmung (AMOC) kollabieren, die aktuell schon an Fahrt verloren hat. Sie verteilt kaltes und warmes Wasser im Atlantik und beeinflusst etwa den für Milliarden Menschen wichtigen Monsun in Afrika und Asien. Ein Zusammenbruch des Systems, zu dem auch der Golfstrom gehört, hätte auch massive Auswirkungen auf Europa.
In den zwei Szenarien, in denen die Welt etwa 2050 Klimaneutralität erreicht und danach mehr CO2 speichert als ausstößt, könnte der Anstieg der Mitteltemperatur Ende dieses Jahrhunderts bei 1,8 Grad oder darunter bleiben. Doch selbst dann wären viele der bereits ausgelösten Veränderungen jahrhundertelang oder gar jahrtausendelang nicht mehr umkehrbar. Der Meeresspiegel würde etwa um einen halben Meter steigen und mehrere Jahrhunderte lang dort verbleiben.
Bei gleichbleibenden Emissionen bis 2050 würde die Temperatur Ende dieses Jahrhunderts um 2,1 bis 3,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen.
“Wenn man sich anschaut, was die einzelnen Regierungen für den Klimaschutz zugesagt haben, würde man im Moment am ehesten im mittleren Szenario landen”, sagt der Meteorologe Notz. “Für die Zukunft bleibt aber natürlich unklar, ob die Zusagen eingehalten werden oder ob die Regierungen andererseits ihre Bemühungen noch verstärken werden.”
Kippeffekte
Eine besondere Rolle im Klimasystem spielen die sogenannten Kippelemente, wie beispielsweise die arktischen und antarktischen Eisschilde, die Strömungs- und Zirkulationssysteme von Ozeanen und Atmosphäre, die globalen Permafrostböden und sensible Ökosysteme wie die tropischen Regenwälder. Steigende Luft- und Wassertemperaturen auf der Erde können sie aus dem Gleichgewicht und sogar zum Kippen bringen. In der Folge würden sie dann selbst immens zum Klimawandel beitragen und ihn weiter verstärken
Bei konkreten Prognosen, wann einzelne Kipppunkte erreicht werden könnten, sind die Wissenschaftlerinnen des IPCC eher zurückhaltend. Die globalen Gletscher und Eisschilde werden in den kommenden Jahrzehnten aber weiter abschmelzen, die Permafrostböden irreversibel weiter auftauen – und auch der Golfstrom wird sich in den nächsten Jahrzehnten weiter abschwächen.
Zwar habe sich bei einigen Prozessen wie der atlantischen Umwälzströmung, die vermutlich Kipppunkte haben, herausgestellt, dass sie sich erholen könnten. Doch geschehe dies mit zeitlicher Verzögerung von mehreren Jahrzehnten und mit geringer Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn sich die Temperatur stabilisiere bei 1,5 bis 3 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau, würden die Meeresströmungen jahrzehntelang weiter 15 bis 30 Prozent ihrer Kraft verlieren. Auch könnten die Eisflächen in Grönland und in der westlichen Antarktis über Jahrtausende verschwunden bleiben, wenn sich die Erderwärmung erst bei 3 bis 5 Grad Celsius einpendeln sollte – die Forschenden halten dies für mittelwahrscheinlich.
Für einen abrupten globalen Temperaturanstieg im nächsten Jahrhundert gebe es derzeit keine Hinweise in den Daten: Es besteht bisher eine nahezu lineare Beziehung zwischen CO2-Emissionen und der globalen Erwärmung.
“Bestätigt, was wir schon wissen”
Der neue Bericht erzeugte international ein Echo von Politikern und Aktivisten. Die meisten forderten mehr Engagement und konsequentere Maßnahmen von den Regierungen.
UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte: “Die Alarmglocken sind ohrenbetäubend, und die Beweise sind unwiderlegbar.” Die Treibhausgase erstickten den Planeten und brächten Milliarden Menschen in Gefahr. Dabei lägen die Lösungen auf dem Tisch.
Klimaaktivistin Greta Thunberg zeigte sich von den Erkenntnissen des Berichts wenig überrascht. “Der neue IPCC-Bericht enthält keine wirklichen Überraschungen. Er bestätigt, was wir schon aus Tausenden vorherigen Studien und Berichten wissen – dass wir uns in einem Notfall befinden”, schrieb die Schwedin am Montag auf Twitter.
“Das Schockierende dieses Berichts ist, dass alles Alarmierende darin abzusehen war – und doch bewegen sich Regierungen und Konzerne beim Klimaschutz noch immer im Schneckentempo”, betonte Greenpeace-Klimaexperte Christoph Thies. Auch die Menschen in Deutschland hätten inzwischen schmerzhaft erfahren, dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen immer schneller zu zerstören droht. (dpa / hcz)
Update 13. August 2021: Der Text wurde um die Abschnitte “Kippeffekte” und “Extremwetter” erweitert.