Urteil: "Recht auf Vergessenwerden" gilt nur bei Falschinformationen
Suchmaschinen wie Google müssen fragwürdige Artikel über Menschen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) nur dann aus ihren Trefferlisten löschen, wenn die Betroffenen “relevante und hinreichende Nachweise” dafür vorlegen, dass die darin enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind – oder zumindest ein für den gesamten Inhalt “nicht unbedeutender Teil”. Das entschied der sechste Zivilsenat am BGH am Dienstag. Die Karlsruher Richter orientierten sich dabei an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Die Betreiber der Suchmaschinen sind indes nicht verpflichtet, diesbezüglich selbst zu ermitteln und Treffer mit möglicherweise falschen Angaben aus den Listen zu nehmen oder gar auf die Betroffenen zuzugehen. Denn das berge die Gefahr, dass auch solche Links nicht mehr auftauchen, die eigentlich nicht zu beanstanden und für die Information der Öffentlichkeit relevant wären – weil sich die Betreiber die Ermittlungsarbeit sparen wollen, erklärte der Vorsitzende Richter des sechsten Zivilsenats am BGH, Stephan Seiters.
Der Aufwand, den Betroffene für den Nachweis fehlerhafter Angaben betreiben müssen, soll laut Seiters angemessen sein. Was das genau bedeutet und wann Belege relevant und hinreichend genug sind, müsse allerdings für jeden Einzelfall geprüft werden. Klar ist die Sache, wenn ein Urteil bestätigt, dass die Informationen nicht der Wahrheit entsprechen. Eine Grundvoraussetzung ist darüber hinaus, dass in einem beanstandeten Text überhaupt personenbezogene Daten auftauchen.
Google weigerte sich
Im konkreten Fall ging es um ein Paar aus der Finanzbranche, das sich im Internet verleumdet sah. Die Kläger wollten, dass mehrere kritische Artikel über ihr Anlagemodell nicht mehr als Treffer auftauchen, wenn man bei Google nach ihren Namen sucht.
Eine US-amerikanische Internetseite hatte die Texte veröffentlicht. Deren Betreiberin war wiederum Vorwürfen ausgesetzt, sie lanciere gezielt negative Berichte, um die Betroffenen damit zu erpressen. Google entfernte die Links zu den Artikeln nicht. Zur Begründung hieß es, man könne nicht beurteilen, ob etwas an den Vorwürfen dran sei.
Keine Thumbnails ohne Erklärung
Das Kölner Oberlandesgericht als Berufungsinstanz hatte im Jahr 2018 entschieden, dass Google die beanstandeten Texte größtenteils weiter anzeigen darf. Die Kläger hätten eine offensichtliche Rechtsverletzung nicht auf die erforderliche Weise dargelegt.
Der BGH stützte nun diese Entscheidung und wies die Revision der Kläger weitgehend zurück. Er gab ihnen aber in dem Punkt Recht, dass keine Vorschaubilder (“Thumbnails”) mit ihnen ohne jeglichen Kontext in den Trefferlisten angezeigt werden dürfen.
Ohne Zusammenhang, nur für sich genommen, seien die Fotos nicht aussagekräftig, erläuterte Richter Seiters bei der Verkündung. Hier überwiege das Recht am eigenen Bild – auch wenn man mit einem Klick auf die Seite mit den entsprechenden Texten komme. Das Anzeigen solcher Vorschaubilder sei daher nicht gerechtfertigt gewesen.
Vorgabe des EuGH
Der BGH hatte den Fall im Jahr 2020 dem EuGH vorgelegt, weil es für den Datenschutz EU-weit einheitliche Standards gibt. Seit Dezember 2022 liegt die Luxemburger Entscheidung dazu vor, deren Kernaussagen der BGH nun auf den konkreten Fall übertragen hat.
Unter anderem hatte der EuGH erklärt, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sähe ausdrücklich kein Recht auf Löschung – auch Recht auf Vergessenwerden genannt – vor, wenn die Daten erforderlich sind, damit Menschen ihr Recht auf freie Informationen ausüben können. Das gelte aber nicht, wenn “zumindest ein für den gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil" der Inhalte falsch ist. Betroffene müssten dann nachweisen, dass die Informationen nicht der Wahrheit entsprechen.
Wenn Informationen der Wahrheit entsprächen, sei die Veröffentlichung ohnehin hinzunehmen, führte Seiters weiter aus. Nichts anderes gelte dann auch für Fotos, die mit dem Text publiziert worden seien.
Auf EU beschränkt
Der EuGH hatte bereits in der Vergangenheit zu ähnlichen Fällen geurteilt: Im Jahr 2014 hatten die Luxemburger Richter in einem Grundsatzurteil ein “Recht auf Vergessenwerden” im Internet eingeführt. Demnach können sich Personen direkt an den Suchmaschinenanbieter wenden, um unter bestimmten Voraussetzungen die Entfernung von Links aus Ergebnislisten zu erwirken. Allerdings hatte der Gerichtshof auch damals schon festgestellt, dass ein Ausgleich zwischen dem Recht auf Zugang zu Informationen und den Rechten der betroffenen Person gefunden werden muss.
Im Jahr 2019 hatte der Gerichtshof allerdings auch entschieden, dass dieses Recht nicht für das globale Internet, sondern nur innerhalb der EU gilt – zum Beispiel für google.de, aber nicht für google.com. (dpa / hcz)