US-Kirche überwacht Mitglieder mit Apps
Ein Netzwerk evangelikaler US-Kirchen überwacht das Onlineverhalten ihrer Gemeindemitglieder mithilfe von Smartphone-Apps. Das berichtet das Magazin Wired mit Verweis auf Berichte von Betroffenen. Die kostenpflichtigen Apps würden von den Anbietern explizit für die Nutzung in Gemeinden vermarktet.
Die Apps “Covenant Eyes” und “Accountable2You” sollen Gläubigen dabei helfen, ihre angebliche Pornosucht zu kontrollieren. Die Anbieter bewerben ihre Apps für Familien – richten sich aber auch explizit an Gemeinden.
Sogenannte Accountability-Apps zur Überwachung von Online-Aktivitäten sind in den USA weit verbreitet: Wired bezeichnet die Branche als “millionenschweres Ökosystem”. “Covenant Eyes” selbst gibt an, 1,5 Millionen Nutzerinnen und Nutzer zu haben.
Das Magazin berichtet, das hauptsächlich an Hochschulen aktive evangelikale US-Kirchennetzwerk Gracepoint setze die Apps ein, um Mitglieder umfassend zu kontrollieren. Nach eigenen Angaben ist die Kirche an mehr als 70 Hochschulen in den USA tätig.
Ein ehemaliges Gemeindemitglied berichtete, er sei von einem Kirchenmitarbeiter aufgefordert worden, sich “Covenant Eyes” auf seinem Smartphone zu installieren, um “seine Triebe zu kontrollieren”. Zuvor hatte er sich als schwul geoutet. Nach der Installation habe er von dem Kirchenmitarbeiter per E-Mail Berichte über sein gesamtes Surfverhalten erhalten. “Hast du mir etwas zu sagen?”, habe es in einer E-Mail geheißen. Der Kirchenmitarbeiter habe sich besonders dafür interessiert, dass der Betroffene nach dem Begriff “gay” gesucht hatte.
Screenshots und Browserverlauf
Die Apps überwachen aber nicht nur den Pornokonsum, sondern nahezu das gesamte Nutzerverhalten: So fertigt etwa “Covenant Eyes” minütlich Screenshots während der Smartphone-Benutzung an. Auch den Browserverlauf speichern die Apps. Diese Informationen werden an eine ausgewählte Person übertragen.
Für die vollumfängliche Überwachung haben die Apps unter Android laut Wired spezielle Berechtigungen genutzt, die eigentlich Menschen mit Behinderung bei der Smartphone-Bedienung unterstützten sollen. Google hat die Programme nach einem Hinweis von Wired deshalb inzwischen aus dem Play Store entfernt. Ein Google-Sprecher teilte dem Magazin mit, “nur Dienste, die Menschen mit Behinderungen den Zugang zu ihrem Gerät erleichtern” dürften diese Berechtigungen verwenden. Grundsätzlich erlaubt Google aber sogenannte Accountability-Apps wie “Covenant Eyes”. Die Entwickler der Apps haben inzwischen Widerspruch gegen die Entscheidung von Google eingelegt. Genaue Angaben zum Verstoß gegen die Play-Store-Richtlinien habe Google gegenüber “Covenant Eyes” nicht gemacht.
In Apples App Store sind beide Apps weiterhin verfügbar – auf eine Anfrage von Wired habe das Unternehmen bisher nicht reagiert.
Kontrolle durch die Kirche
Die Apps seien "ein weiterer Weg, “wie die Kirche dich kontrolliert”, sagte ein anderes ehemaliges Gemeindemitglied gegenüber Wired. Auch eine junge Frau erzählte dem Magazin, es gehe darum, dass sich Kirchenmitglieder dem Willen des Pastors anpassen. Ihre Eltern hätten sie aufgefordert, die App zu installieren, nachdem sie beim Pornoschauen erwischt wurde. In ihrem Fall wurden die gesammelten Informationen sowohl an ihre Eltern als auch an die Kirche übertragen: Sie habe ein Gespräch mit ihrem Pastor führen müssen, weil sie bei Wikipedia einen Artikel über Atheismus gelesen hatte.
Das Magazin berichtet zudem, in einem Test der Apps seien auch Informationen der US-Gesundheitsbehörde zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen als “fragwürdige Aktivität” eingestuft worden. Der von den Redakteuren eingerichtete Partner-Account sei umgehend informiert worden, dass diese Seiten aufgerufen wurden.
Kirchen als Zielgruppe
Aus einem E-Mail-Austausch zwischen Gracepoint und einem Mitarbeiter von “Covenant Eyes” ging hervor, dass im Jahr 2012 bis zu 450 Gracepoint-Mitglieder die App installiert hatten. Ein Pastor der Kirche teilte Wired mit, die Zahl “könnte heutzutage deutlich höher” liegen.
Der Anbieter von “Covenant Eyes” teilte Wired mit, als sogenannte Partner für die App sollten Familienmitglieder oder enge Freunde gewählt werden – die Firma rate davon ab, die App in Beziehungen mit einem Machtungleichgewicht zu verwenden. Das Kirchennetzwerk Gracepoint erklärte als Reaktion auf den Artikel, nur von ehrenamtlichen Mitarbeitenden werde erwartet, dass sie ein solches Programm nutzen. Als Überwachungspartner sollten aber enge Freunde gewählt werden und keine Vorgesetzten. Im Falle der fünf von Wired befragten ehemaligen Gracepoint-Mitglieder sollen jedoch jeweils Pastoren der Kirche die von den Apps gesammelten Informationen erhalten haben. Alle befragten Personen hatten der Installation zugestimmt und wussten, dass die Apps auf ihren Telefonen aktiv sind. Dennoch sagte ein Betroffener, er sei nicht in der Position gewesen, die Nutzung abzulehnen, als der Kirchenmitarbeiter ihn aufgefordert hatte.
Auch Eva Galperin von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) sagte, die Zustimmung zu einer solchen Überwachung könne nur erfolgen, wenn die Betroffenen sie auch tatsächlich ablehnen können. Sie kritisierte: “Man könnte argumentieren, dass jede Installation einer App in einem kirchlichen Umfeld zwangsweise erfolgt.”
Nicole Praus von der Universität Kalifornien ist zudem skeptisch, dass die Apps überhaupt ihren vorgegebenen Nutzen erfüllen und bei einer vermeintlichen Pornosucht helfen können. Sie sagte gegenüber Wired: “Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand, der eine dieser Apps benutzt hat, langfristig besser gefühlt hat.” Betroffene hätten nach der Nutzung das Gefühl, mit ihnen stimme etwas nicht, “obwohl das in Wirklichkeit wahrscheinlich nicht der Fall ist”. (js)