Verfassungsbeschwerde gegen nord­rhein-west­fä­lisches Polizeigesetz

Polizeiauto mit Landeswappen von NRW
NRW nutzt Software des umstrittenen US-Unternehmens Palantir. (Quelle: IMAGO / Sven Simon)

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) klagt gegen eine Regelung im Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, die automatisierte Auswertungen von großen Datenbeständen erlaubt. Die GFF kündigte an, am heutigen Donnerstag Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben.

Ziel der Verfassungsbeschwerde ist die höchstrichterliche Klarstellung, dass automatisierte Datenanalysen – wenn überhaupt – nur unter strengen Voraussetzungen, für klar definierte und gewichtige Zwecke eingesetzt werden dürfen. Es brauche zudem angemessene Verfahrenssicherungen. Die GFF unterstützt Beschwerdeführerinnen und -führer, die sich unter anderem für den Klimaschutz engagieren. Sie befürchten, durch die Teilnahme an Protestaktionen ins Visier der nordrhein-westfälischen Polizei zu geraten.

Die Polizei in NRW nutzt für automatisierte Datenanalysen das System “Datenbankübergreifende Analyse und Recherche” (DAR), das auf der sogenannten Gotham-Software der umstrittenen US-Firma Palantir basiert. Das Polizeigesetz des Landes erlaubt, rechtmäßig gespeicherte personenbezogene Daten “automatisiert zusammenzuführen”. Die Polizei darf die zusammengeführten Daten auch “aufbereiten und analysieren”.

Laut der GFF betreibt die Behörde damit sogenanntes Data-Mining – die Analyse großer Datenmengen per Algorithmus. Die Organisation kritisiert, die Polizei könne “auf Knopfdruck” Informationen aus verschiedenen Quellen über beliebige Personen einsehen und zusammenziehen. Zu den Quellen zählten nicht nur polizeiliche Datenbanken, sondern etwa auch Daten aus den Melderegistern und von Gesundheitsämtern. Selbst Daten aus sozialen Medien könnten einbezogen werden.

Der WDR hatte berichtet, die Polizei könne mit der Palantir-Software auch etwa Informationen aus dem Waffenregister einbeziehen und “im Einzelfall” Daten aus sozialen Medien auswerten.

Schwerer Grundrechtseingriff

Die GFF kritisiert, das legitime Ziel der Gefahrenabwehr rechtfertige keine unverhältnismäßigen Eingriffe in die Grundrechte. Eine solche Zusammenführung von persönlichen Daten stelle aber einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Das Bundesverfassungsgericht habe explizit verboten, umfassende Persönlichkeitsprofile von Bürgerinnen und Bürgern zu erstellen. Die entsprechende Regelung im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz sei damit “klar verfassungswidrig”. Jede Person könne davon betroffen sein – auch, wenn sie noch nie polizeilich erfasst wurde.

Charlotte Baldauf, Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, mahnte: “Automatisierte Datenanalysen durch die Polizei sind ein grundrechtliches Schwarzes Loch: Es bleibt unklar, welche Daten die Palantir-Software zu Persönlichkeitsprofilen zusammenführt und auswertet – das verletzt das Grundrecht über die eigenen Daten zu bestimmen.”

Ein solcher schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte sei nur unter strengen Voraussetzungen und für gewichtige Zwecke zulässig, beispielsweise zur Bekämpfung schwerster Kriminalität. Die in NRW vorgesehenen Eingriffsschwellen seien zu niedrig: So dürften die Datenanalysen auch im Fall von Vergehen wie Beamtenbestechung eingesetzt werden.

Auch die Verfahrenssicherungen sind nach Ansicht der GFF unzureichend: Die Datenanalysen fänden im Geheimen statt, Betroffene würden auch nachträglich nicht informiert. Daher sei es “faktisch unmöglich”, rechtlich gegen den Grundrechtseingriff vorzugehen. Betroffene müssten zumindest Kenntnis von der Datenanalyse erhalten, damit ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz gewahrt wird.

Ein weiteres Problem bei den automatisierten Datenanalysen sieht die GFF darin, dass “von etwaigen Vorurteilen geprägte Daten ungeprüft” verarbeitet werden. So würden beispielsweise von Rassismus betroffene Menschen und politische Aktivisten “überdurchschnittlich oft zum Ziel polizeilicher Maßnahmen”. Wenn die dabei erhobenen Daten automatisiert ausgewertet werden, steige das Risiko, auch in Zukunft “disproportional” beispielsweise von Kontrollen betroffen zu sein. Solche Datenanlysen seien auch Teil von sogenanntem Predictive Policing – also dem Versuch, mittels Technologie künftige Straftaten vorherzusagen. Dem müssten grundrechtliche Grenzen gesetzt werden.

Umstrittene Firma

Die US-Firma Palantir ist äußert umstritten, etwa weil sie enge Verbindungen zu US-amerikanischen Geheimdiensten unterhält. Startkapital erhielt das Unternehmen im Jahr 2003 von der CIA-Tochterfirma In-Q-Tel.

Wiederholt wurde Palantir vorgeworfen, die Bürger- und Menschenrechte zu bedrohen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte in der Vergangenheit beispielsweise die Zusammenarbeit von Palantir und der US-Behörde “Immigration and Customs Enforcement”, die auch für Abschiebungen zuständig ist. Es bestehe ein hohes Risiko, dass Palantir zu Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden und Migranten beitrage.

Gestiegene Kosten

Das Landeskriminalamt NRW hatte laut WDR Mitte 2019 mit der Suche nach einer Software zur Verknüpfung von Datenbeständen begonnen. Ursprünglich sollten dafür 14 Millionen Euro ausgegeben werden – inzwischen belaufen sich die Kosten aber auf insgesamt 39 Millionen Euro. Mehrere Polizeibehörden wie Europol und die New Yorker Polizei haben ihre Zusammenarbeit mit Palantir bereits wieder eingestellt – Grund sollen unter anderem stark gestiegene Kosten gewesen sein.

Einen Teil des Geldes aus NRW soll Palantir erhalten haben, während die Software nur im Testbetrieb lief. Denn die rechtliche Grundlage für den Einsatz war ungeklärt. Erst im April 2022 hatte der Landtag ein neues Polizeigesetz beschlossen, um den Einsatz der Palantir-Software zu erlauben.

Bereits im April 2021 hatte die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte die fehlende Rechtsgrundlage kritisiert und die umfassende Datenzusammenführung.

Auch Hessen und Hamburg haben Rechtsgrundlagen für automatisierte Datenanalysen bei der Polizei geschaffen – Verfassungsbeschwerden der GFF dagegen sind noch anhängig. Das Landeskriminalamt Bayern hat im Frühjahr ebenfalls einen Rahmenvertrag mit Palantir unterzeichnet. Zudem berichtete der Bayerische Rundfunk im Sommer davon, dass auch Baden-Württemberg und Bremen den Einsatz von Palantir-Produkten prüfen. (js)