Österreich klagt gegen EU-Einstufung von Atom und Gas als klimafreundlich
Österreich hat beim Gericht der Europäischen Union eine Klage gegen die mögliche Einstufung von Atomkraft und Gas als klimafreundlich eingereicht. Das gab Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Montag in Wien bekannt.
Sie unterstütze grundsätzlich die sogenannte Taxonomie der Europäischen Union, mit der nachhaltige Energieformen klassifiziert werden. “Wogegen ich mich aber mit aller Kraft wehre, ist der Versuch, über eine Hintertüre […] Atomkraft und Gas grün zu waschen”, sagte sie. “Deshalb haben wir wie angekündigt eine Klage gegen die Taxonomie-Verordnung der EU-Kommission eingereicht.” Die Ministerin hatte die EU-Pläne wiederholt als “Greenwashing” bezeichnet.
Bereits im vergangenen Jahr wurde entschieden, unter anderem die Stromproduktion mit Solarpaneelen, Wasserkraft oder Windkraft als klimafreundlich einzustufen. Ab Januar 2023 sollen auch bestimmte Gas- und Atomkraftwerke als “klimafreundlich” klassifiziert werden können.
“Unkalkulierbare Risiken”
Die österreichische Klage gegen die Europäische Kommission stützt sich auf inhaltliche und rechtliche Argumente. Laut der EU-Taxonomie dürfe eine nachhaltige Energieform zu keinen schweren Umweltproblemen führen, sagte Gewessler. Das sei bei Atomkraft aber der Fall. “Sie ist mit unkalkulierbaren Risiken verbunden”, sagte sie und verwies auf die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima, sowie auf die Sorgen um das russisch besetzte AKW Saporischschja in der Ukraine. Österreich selbst betreibt keine AKW.
Was ist die EU-Taxonomie?
Die Taxonomie ist das Regelwerk der EU, das definiert, ob ein Unternehmen oder eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Sie steckt für die meisten Branchen genaue Kriterien ab. Privaten Finanzinvestoren soll die Taxonomie als Orientierung dienen und Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte fördern.
Der österreichischen Zeitung Kurier zufolge argumentiert die Regierung in Wien außerdem, dass die EU-Kommission Entscheidungen von solcher Tragweite nicht treffen dürfe. Diese weitreichende politische Entscheidung zur Atomkraft stehe der Kommission nicht zu. Zudem sei den EU-Staaten zu wenig Zeit gegeben worden, die Maßnahmen zu bewerten – es bestehe daher ein Verfahrensfehler.
An der Einstufung von Erdgas kritisiert Österreich, das Verbrennen setze Unmengen an CO2 frei.
Untermauert werden die Kritikpunkte von einem vom österreichischen Klimaschutzministerium in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. Die Verfasser kamen im Dezember zu dem Schluss, dass Kernenergie “im Sinne der Taxonomie-Verordnung weder als ‘ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit’ noch als ‘Übergangstätigkeit’ angesehen werden” könne.
Im Januar 2022 hatte das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) ebenfalls die EU-Pläne für Atomkraftwerke als “nicht haltbar” zurückgewiesen. In einer Analyse hatte die Behörde davor gewarnt, die Pläne umzusetzen und die Vorgehensweise seitens der EU-Kommission als “nicht nachvollziehbar” kritisiert. Zentrale Kriterien wie etwa die Gefahr von nuklearen Unfällen und die Schwierigkeiten bei der Entsorgung von Atomabfällen würden in der EU-Abwägung viel zu wenig beachtet, hatte das Bundesamt gewarnt.
Atomkraft und Gas ab 2023 “klimafreundlich”
Die EU-Kommission hatte im Februar vorgeschlagen, Atomenergie und Gas in die Taxonomie aufzunehmen. Im Juli stimmte auch das Parlament mit knapper Mehrheit für den Vorschlag – obwohl sich neben Umweltschutzorganisationen auch der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss des Parlaments dagegen ausgesprochen hatten.
Die Reform sieht vor, dass in Ländern wie Frankreich, Polen und den Niederlanden geplante Investitionen in neue Atomkraftwerke als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle bis zum Jahr 2050 vorgelegt wird.
Bei der Einstufung neuer Gaskraftwerke ist relevant, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden – und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen.
Weitere Klagen
Die Regierung in Luxemburg kündigte am Montag an, Österreich bei der Klage zu unterstützen. Konkret hieß es, Luxemburg werde einen Antrag auf Streithilfe einreichen. Nachdem dieser zugelassen werde, könne Luxemburg seine Argumente gegen die sogenannte Taxonomie bei dem Verfahren mit einbringen.
Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden haben sich ebenfalls öffentlich gegen die Regelung ausgesprochen.
Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte eine Klage angekündigt: Im September 2022 hatte Greenpeace die EU-Kommission aufgefordert, die Klassifizierung von Erdgas und Atom zurückzunehmen. Die Organisation argumentiert, der Entschluss der Kommission verstoße gegen Unionsrecht. Bliebe die Kommission dabei, wollen die Umweltschützerinnen und Umweltschützer vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg klagen. “Denn Erdgas und Atomenergie als ökologisch nachhaltig zu bezeichnen, steht im Widerspruch zur Taxonomie-Verordnung selbst”, schrieb Greenpeace.
Der SPD-Europaabgeordnete René Repasi reichte ebenfalls am Montag vor dem EU-Gericht Klage gegen den Taxonomie-Rechtsakt ein. Er argumentierte, die EU-Kommission habe ihre Kompetenzen überschritten. Eine so politische Frage dürfe nicht “über den Umweg technischer Rechtssetzung” getroffen werden. Vielmehr müsse sich das von den EU-Bürgern gewählte Europaparlament ausführlich mit einer Frage solcher Tragweite befassen.
Umweltorganisationen hatten auch die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich der Klage aus Österreich anzuschließen. Ein Regierungssprecher hatte jedoch im Juli erklärt, die Bundesregierung wolle nicht klagen. (dpa / hcz)