USA: ATLAS-Software kann Ausbürgerung veranlassen

USCIS-Schriftzug mit Flagge
Das System überprüft Menschen, sobald sie mit der Einwanderungs- und Ausländerbehörde in Kontakt kommen. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

In den USA verwendet das Ministerium für Innere Sicherheit (DHS) eine bisher wenig bekannte Software, um eingebürgerte Einwanderer zu überprüfen. Eine Negativ-Markierung kann zum Entzug der Staatsbürgerschaft führen – und damit auch zur Abschiebung. Das berichtet das Magazin The Intercept unter Berufung auf Dokumente, die die die Bürgerrechtsorganisationen Open Society Justice Initiative und Muslim Advocates nach Informationsfreiheitsklagen erhalten haben.

Die Software ATLAS wurde im Jahr 2014 von der nationalen Einwanderungs- und Ausländerbehörde USCIS entwickelt, die dem Ministerium für Innere Sicherheit unterstellt ist. Das Programm führt Hintergrundprüfungen durch und soll so herauszufinden, ob eine Person im Rahmen des Einwanderungsprozesses potenziell falsche Angaben gemacht hat. Außerdem sucht es nach Anzeichen dafür, ob von einer Person eine Gefahr für die öffentliche oder nationale Sicherheit ausgehen könnte. Wie The Intercept berichtet, ist ATLAS dabei ein Teil des größeren “Fraud Detection and National Security Data System”, das Fallinformationen zu jeder Person im Einwanderungssystem verwaltet.

Dabei durchleuchtet die Software auch das soziale Umfeld von Betroffenen. Beziehungen zwischen Einzelpersonen stellt sie visuell dar – wodurch Verbindungen zu kriminellen oder terroristischen Aktivitäten erkannt werden sollen.

Geheime Funktionsweise

Für eine Analyse gleicht ATLAS Personendaten mit verschiedenen Bundesdatenbanken ab. Die meisten Quellen sind unbekannt. Klar sei aber, dass biometrische Daten wie Fingerabdrücke in die Untersuchung einbezogen werden. In bestimmten Fällen soll das System auch Angaben zur Ethnie oder der Herkunft einer Person auswerten. Zudem nutzt die Software Informationen aus zwei Datenbanken, die von der Bundespolizei FBI verwaltet werden: der sogenannten Terrorist Screening Database und der zentralen Kriminalitätsdatenbank National Crime Information Center.

Beide Datenbanken standen in der Vergangenheit in der Kritik: Beispielsweise, weil die Kriminalitätsdatenbank bei der Abfrage des Immigrationsstatus falsche Ergebnisse geliefert hatte.

Markiert ATLAS eine Person und empfiehlt ihre “potentielle Ausbürgerung”, entscheiden final Angestellte des DHS darüber, wie weiter verfahren wird. Das Ministerium hält die genaue Funktionsweise des verwendeten Algorithmus geheim. Somit ist intransparent, auf welcher Grundlage ATLAS entscheidet, dass Personen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen sei.

“Bedrohung für eingebürgerte Menschen”

Laura Bingham, eine Anwältin der Open Society Justice Initiative, sagte, es müsse bewiesen werden, dass ATLAS nicht zu “ungerechten, willkürlichen und diskriminierenden Ergebnissen führt”. Es gebe genügend Gründe, um das System als “Bedrohung für eingebürgerte Menschen” zu betrachten.

Deborah Choi von der Bürgerrechtsorganisation Muslim Advocates kritisierte, durch die geheimen Regeln sei es unmöglich herauszufinden, ob bestimmte Gruppen unverhältnismäßig häufig markiert werden. Allerdings sei wahrscheinlich, dass die Einbeziehung des Herkunftslandes dazu führe, dass Personen aus Ländern mit muslimischer Mehrheit besonders ins Visier genommen werden.

The Intercept berichtet, das System drohe, durch bürokratische Fehler angerichtete Schäden noch zu vergrößern. Denn bei der manuellen Prüfung von ATLAS-Ergebnissen werde die Korrektheit der verwendeten Daten vorausgesetzt. Eine Möglichkeit der Korrektur fehlerhafter Daten durch betroffene Personen sei nicht vorgesehen – sie müssten sich dafür an die für die verwendeten Datenbanken zuständigen Stellen wenden.

Nach Angaben von Choi kommt es in den USA durchaus zu Ausbürgerungen aufgrund von Fehlern – beispielsweise von Übersetzern oder bei der Aktenführung. Diese könnten leicht als Betrugsversuch ausgelegt werden. Dadurch entstehe ein irreparabler Schaden für Familien und die Gesellschaft.

Abschiebungen als Ziel

Unklar ist, wie vielen Menschen tatsächlich aufgrund von ATLAS-Ergebnissen die Staatsbürgerschaft entzogen wurde. In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2019 hatte USCIS angegeben, dass mit ATLAS bereits mehr als 16,5 Millionen Untersuchungen durchgeführt und etwa 124.000 Warnungen ausgegeben wurden.

Das System wird nicht nur bei Einbürgerungen verwendet: Es prüft Menschen bereits, sobald diese erstmals Kontakt mit der US-Einwanderungsbehörde haben. Laut dem Bericht könnten Einwanderer auf unbestimmte Zeit einer algorithmischen Prüfung unterzogen werden, da ATLAS auch Fälle prüft, in denen bereits eine Entscheidung gefallen ist.

The Intercept beschreibt ATLAS als “direkten Nachkommen” einer Infrastruktur, die unter mehreren US-Präsidenten aufgebaut wurde. So seien massenhaft Fingerabdrücke digitalisiert und gleichzeitig durchsucht worden, um Unstimmigkeiten zu finden. Dokumente legten nahe, dass das Ziel dieser Bemühungen Abschiebungen seien.

Experten berichteten dem Magazin, dass die Überprüfung durch einen Algorithmus Folgen haben kann, die nicht im Zusammenhang mit dem Verhalten der Betroffenen stehen. Wiederholt hätte der Abgleich von Fingerabdrücken mit schlampig geführten Unterlagen dazu geführt, dass unschuldige Menschen bestraft wurden.

Die Staatsbürgerschaft kann eingebürgerten Einwanderern in den USA etwa bei Betrug im Einwanderungsprozess aberkannt werden. Im Jahr 2020 hatte die damalige US-Regierung zudem angekündigt, innerhalb des Justizministeriums eine eigene Stelle für Ausbürgerungen zu schaffen, um gegen “Terroristen, Kriegsverbrecher, Sexualstraftäter und Betrüger” vorzugehen. Unter der damaligen Trump-Regierung hätten die an das Ministerium weitergeleiteten Ausbürgerungsverfahren zwischen 2017 und 2020 um 600 Prozent zugenommen, schrieb die New York Times damals. The Intercept berichtet, dass diese Stelle ihre Arbeit bisher noch nicht aufgenommen hat.

Bereits im Mai hatte die Organisation Muslim Advocates gemeinsam mit über 40 weiteren Organisationen gefordert, den Einsatz von ATLAS einzustellen, bis die diskriminieren Auswirkungen des Systems untersucht wurden. Außerdem solle öffentlich gemacht werden, wie das System seine Entscheidungen trifft und welche demographischen Gruppen davon betroffen sind. (js)