USA: Zimmer-Scan vor Online-Prüfung war verfassungswidrig

Eine Webcam (Symbolbild)
NGOs werten das Urteil als Signal an andere Universitäten. (Quelle: Unsplash)

Ein Student der staatlichen Universität Cleveland musste vor einem Online-Test sein Zimmer per Kamera inspizieren lassen. Doch das war verfassungswidrig, hat ein Gericht im US-Bundesstaat Ohio in der vergangenen Woche entschieden. Während der Corona-Pandemie hatte sich der Einsatz von Software zum Überwachen von Prüfungen an US-Universitäten ausgeweitet, nachdem diese online abgelegt werden mussten.

Der Chemie-Student musste im Februar 2021 eine Online-Klausur schreiben und wurde zwei Stunden vor Prüfungsbeginn darüber informiert, dass er seine Arbeitsumgebung und die dort befindlichen Materialien mithilfe seiner Webcam zeigen müsse. Daraufhin hatte er erklärt, in seinem Zimmer befänden sich vertrauliche Dokumente wie Steuerformulare. Er kam der Aufforderung aber nach – und verklagte die Universität anschließend.

In seiner Klage hatte der Student argumentiert, sein Recht auf Privatsphäre sei verletzt worden. Er bezog sich dabei auf den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung, der Bürgerinnen und Bürger unter anderem vor willkürlichen Wohnungsdurchsuchungen schützen soll.

Dieser Argumentation folgte das Gericht in seinem Urteil: Die Inspektion der Arbeitsumgebung per Kameraschwenk sei eine unverhältnismäßige Durchsuchung im Sinne des vierten Verfassungszusatzes gewesen. In der Regel sei für eine Durchsuchung eine entsprechende richterliche Anordnung notwendig – das schließe auch staatliche Einrichtungen wie Universitäten ein.

Student musste Prüfung online ablegen

Zwar seien Ausnahmen möglich, bei denen kein Durchsuchungsbeschluss notwendig ist. Die von der Universität vorgebrachten Argumente, etwa Betrug zu verhindern, reichten in diesem Fall jedoch nicht aus, so das Gericht.

Wie aus dem Urteil hervorgeht, hatte die Universität Cleveland bereits vor der Pandemie Online-Kurse angeboten. In den dazu veröffentlichten Richtlinien heißt es demnach, die jeweilige Aufsichtsperson könne entscheiden, ob Studenten vor Beginn eines Tests per Kamera ihr Zimmer zeigen müssen.

Im Frühjahr 2021 hatte die Universität eine Mischung aus Präsenz- und Online-Kursen angeboten. Weil der Betroffene durch Vorerkrankungen besonders gefährdet war, musste er allerdings auf die Online-Angebote ausweichen. Nach Angaben der Anwälte des Klägers, konnten auch alle anderen bei einer Online-Prüfung anwesenden Studierenden die Zimmer-Scans sehen.

NGOs begrüßen Urteil

Die auf digitale Rechte spezialisierte NGO Fight For Future begrüßte das Urteil als einen “wichtigen Sieg”. Lia Holland von der Organisation sagte, das Urteil sollte eine Warnung an andere Universitäten sein, die weiterhin auf solchen Maßnahmen bestehen. Alle Hochschulen sollten den Einsatz von Software zur Prüfungsüberwachung stoppen.

Auch die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) teilte mit, nach dem Urteil müssten Universitäten anerkennen, dass es sich um ein “unnötiges, invasives und zumindest für staatliche Universitäten verfassungswidriges” Vorgehen handle.

Beide Organisationen kritisieren den Einsatz von sogenannter Proctoring-Software zur Online-Prüfungsaufsicht schon seit längerem. Die EFF kritisiert, solche Programme würden Studierende einer unnötigen Überwachung aussetzen. Zugleich ließen sich Wege finden, um in Prüfungen trotzdem zu schummeln. Die Programme könnten dies nicht verhindern, verletzten aber die Privatsphäre der Betroffenen.

Der Umfang der in den USA eingesetzten Programme unterscheidet sich laut EFF: Einige zeichnen sämtliche Tastatureingaben auf, andere nutzen Gesichtserkennung, um die Identität der Studierenden zu bestätigen. Auch Augen-Tracking komme zum Einsatz. So soll festgestellt werden, ob Studierende in der Prüfung “zu lange” weg vom Monitor schauen. Die EFF kritisiert, ein Großteil dieser Technologien sei praktisch nicht von Spionagesoftware zu unterscheiden – also Software, die ohne das Wissen der Nutzer ihre Aktivitäten aufzeichnet. Zudem würden die Daten teils nicht nur bei den Universitäten gespeichert, sondern auch von den Softwareanbietern. Auch in dem aktuellen Fall wurde eine Aufnahme des Videos von dem Anbieter der dort eingesetzten Software gespeichert. Die EFF warnt daher auch vor dem Risiko von Datenlecks.

Auch in Deutschland wurde das Thema während der Pandemie diskutiert. Der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, hatte im Juli 2021 eine Handreichung für Universitäten zu dem Thema veröffentlicht. Darin hatte er unter anderem klargestellt, dass ein Kameraschwenk durch das Studentenzimmer unzulässig ist. Dies gelte “auch in Verdachtsfällen auf Prüfungsbetrug”. Auch dürften keine Screenshots oder Bild- und Tonaufzeichnungen angefertigt werden. Auch “besonders eingriffsintensive” Werkzeuge, die Augen- oder Kopfbewegungen verfolgen, bezeichnete Brink als unzulässig. (js)