Mexiko: Journalisten und Menschenrechtler mit Pegasus ausspioniert
In Mexiko wurden die Telefone von mindestens zwei Journalisten und einem Menschenrechtler mit der Spionagesoftware Pegasus infiltriert. Das haben Sicherheitsforscher vom Citizen Lab an der Universität Toronto gemeinsam mit der mexikanischen Nichtregierungsorganisation R3D nachgewiesen. Schon in der Vergangenheit waren in Mexiko Personen mit Pegasus ausspioniert worden – Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte nach seinem Amtsantritt im Jahr 2018 versichert, die aktuelle Regierung setze die Spähsoftware nicht mehr ein.
Dem Citizen Lab zufolge, wurden die Smartphones der Betroffenen zwischen 2019 und 2021 mehrfach mit dem Trojaner der israelischen Firma NSO ausgeforscht. Es habe sich um sogenannte Zero-Click-Angriffe gehandelt, bei denen die Nutzerinnen und Nutzer selbst nicht aktiv werden müssen oder etwas von den Angriffen mitbekommen.
Recherchen zu Menschenrechtsverletzungen
Ausspioniert wurde der Menschenrechtler Raymundo Ramos Vázquez, der seit Jahren Menschenrechtsverletzungen durch die mexikanische Armee dokumentiert. Sein Telefon wurde mit Pegasus infiziert, nachdem er ein Video veröffentlicht hatte, in dem die Tötung von Zivilisten durch die Armee zu sehen sein soll. Während der Trojaner auf seinem Gerät aktiv war, hatte er sich unter anderem mit Vertretern des UN-Menschenrechtsbüros getroffen.
Auch der Journalist Ricardo Raphael wurde mit Pegasus überwacht. Er berichtet über Korruption und recherchiert zu Verbindungen zwischen der mexikanischen Regierung und Drogenkartellen. Kurz bevor er etwa im Dezember 2020 ausgespäht wurde, hatte er dem mexikanischen Generalstaatsanwalt Fehlverhalten bei den Ermittlungen zum Verschwinden von 43 Studenten im Jahr 2014 vorgeworfen.
Auch ein nicht namentlich genannter Redakteur des Nachrichtenportals Animal Politico wurde laut dem Bericht mit Pegasus ausspioniert. Sein Telefon wurde infiziert, nachdem Animal Politico einen Bericht zu Menschenrechtsverletzungen durch die mexikanische Armee veröffentlicht hatte.
Verteidigungsministerium soll Pegasus gekauft haben
Das Citizen Lab erklärte, zum jetzigen Zeitpunkt sei unklar, wer hinter den Angriffen steckt. Alle Betroffenen seien jedoch von großem Interesse für mexikanische Regierungsstellen.
Wie die NGO R3D berichtet, gibt es Hinweise darauf, dass die mexikanische Armee Spähsoftware gekauft hat. Demnach soll das Verteidigungsministerium etwa Verträge mit Firmen geschlossen haben, die mit früheren Pegasus-Verkäufen an die mexikanische Regierung in Verbindung stehen. Die Armee sei rechtlich nicht befugt, die private Kommunikation von Zivilisten zu überwachen – habe dies in der Vergangenheit aber bereits illegal getan.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
Der mexikanische Präsident López Obrador dementierte Medienberichten zufolge am Dienstag, dass seine Regierung Medienschaffende oder Oppositionelle ausspioniert habe.
Im Jahr 2019 hatte López Obrador öffentlich versichert, seine Regierung werde Pegasus nicht weiter einsetzen. Diese Aussage hatte er zwei Jahre später in einer Pressekonferenz wiederholt.
Die ebenfalls an der aktuellen Untersuchung beteiligte Menschenrechtsorganisation Article 19 kommentierte am Dienstag, es gebe zwei mögliche Szenarien: “Das erste ist, dass der Präsident das mexikanische Volk belogen hat. Das zweite ist, dass die Streitkräfte hinter dem Rücken des Präsidenten spionieren und den direkten Befehl ihres Oberbefehlshabers missachten.”
Article 19 hat in Mexiko Strafanzeige in den nun bekannt gewordenen Fällen gestellt. Die Organisation bezweifle jedoch, dass die Generalstaatsanwalt eine unabhängige Untersuchung durchführen werde.
Pegasus-Spionage schon unter Vorgängerregierung
Berichte über den Missbrauch von Pegasus in Mexiko gibt es bereits seit Jahren: So hatte das Citizen Lab gemeinsam mit den Organisationen Article 19, R3D und SocialTic im Jahr 2017 Angriffe unter anderem auf Medienschaffende, Anwälte und Politiker nachgewiesen. Auch der nun wieder betroffene Journalist Ricardo Raphael war in den Jahren 2016 und 2017 bereits Spionageziel.
Damals hatten die Sicherheitsforscher mexikanische Behörden unter der Regierung von Ex-Präsident Enrique Peña Nieto hinter den Spionageaktionen vermutet. Laut Citizen Lab wurden damals zwar strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet – sie seien aber bis heute nicht abgeschlossen.
Im vergangenen Jahr hatte zudem Amnesty International gemeinsam mit der Organisation Forbidden Stories sowie internationalen Medien aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden. Sie hatten eine Liste mit mehr als 50.000 Telefonnummern ausgewertet. Dabei soll es sich um Nummern handeln, die Pegasus-Nutzer als mögliche Überwachungsziele eingegeben haben. Die meisten stammten aus Mexiko: Alleine zwischen 2016 und 2017 wurden dort 15.000 Menschen ins Visier genommen. Darunter auch mehr als 50 Personen aus dem Umfeld des heutigen Präsidenten und damaligen Oppositionsführers López Obrador – unter anderem seine Frau und Kinder. Auch 26 mexikanische Journalistinnen und Journalisten gehören zu den potenziellen Opfern.
Das Citizen Lab kommentierte, die jüngsten Fälle verdeutlichten das Missbrauchspotenzial von Spähsoftware. Obwohl sich die neue Regierung verpflichtet habe, keine Spionageprogramme einzusetzen, seien weiterhin Journalisten und Menschenrechtler in Mexiko ausgespäht worden. Die Vorfälle müssten unabhängig untersucht werden. Article 19 fordert zudem institutionelle Reformen in Mexiko, um einen solchen Missbrauch zu verhindern.
Organisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen fordern bereits seit längerem ein Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Überwachungstechnologien. Das UN-Menschenrechtsbüro erneuerte erst im September seine Forderung für ein solches Moratorium. (js)