Verfassungsgericht schränkt Datenanalyse bei der Polizei ein
Die Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das gab das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag bekannt. Zwar erlaubte das Gericht grundsätzlich den Einsatz solcher Werkzeuge, doch muss der Gesetzgeber diesen stark einschränken.
In Hessen setzt die Polizei das nun beanstandete Analyseprogramm HessenDATA schon seit 2017 ein. Es basiert auf der Software Gotham des US-Unternehmens Palantir. Das Programm durchforstet riesige Datenbanken, um Querverbindungen zwischen Personen, Gruppen oder Organisationen zu entdecken, die die Ermittler sonst selbst aufdecken müssten. In Hamburg wird die Technik noch nicht genutzt, aber es gibt bereits eine gesetzliche Grundlage für den künftigen Einsatz.
Konkret erklärten die Richterinnen und Richter Paragraf 25a Abs. 1 Alt. 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) und Paragraf 49 Abs. 1 Alt. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HmbPolDVG) für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Diese fast gleich formulierten Regelungen erlauben der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung bestimmter schwerer Straftaten personenbezogene Daten automatisiert “im Rahmen einer Datenanalyse (Hessen) oder einer Datenauswertung (Hamburg)” zu verarbeiten.
Die Vorschriften verstoßen dem Gericht zufolge gegen das im Grundgesetz festgeschriebene allgemeine Persönlichkeitsrecht und die darin enthaltene informationelle Selbstbestimmung. So könne das Programm auch Persönlichkeitsprofile erstellen. Eine ausreichende Eingriffsschwelle dafür fehle aber in den Regelungen in Hamburg und Hessen.
Persönlichkeitsprofile dürften nur erstellt werden, wenn es eine “hinreichend konkretisierte Gefahr” für besonders wichtige Rechtsgüter gibt; dazu zählt etwa eine Gefahr für Leib oder Leben. Das Gericht wies auch darauf hin, dass unbeteiligte Personen ins Visier der Ermittler geraten könnten. Das Urteil betrifft nur die Datenanalyse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten.
Die Verfassungsbeschwerden hatten unter anderem die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gemeinsam mit der Humanistischen Union und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) erhoben. Zu den Klägern zählten Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten, die befürchteten im Rahmen ihrer Arbeit unverschuldet in den Fokus der Polizei zu geraten, so wie es auch anderen unbeteiligten Personen passieren könnte.
Gefahr abgewandt
In Hessen wurden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen ausgewertet. In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst – wie etwa Personen, die kleinste Vergehen wie einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht haben. Die GFF hielt das für hochproblematisch. Das Programm mache auch vor unbescholtenen Menschen nicht Halt. Außerdem sei die Verlockung groß, mit der Zeit auch externe Daten einzuspeisen – etwa aus sozialen Netzwerken.
Bijan Moini, leitender Jurist bei GFF, erklärte: “Das Bundesverfassungsgericht hat heute der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.” Die Organisation sieht das Risiko nun deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier der Polizei geraten.
In Hessen muss der Gesetzgeber bis spätestens Ende September die Vorgaben für den Einsatz nun anpassen, so das Urteil. Bis dahin kann HessenDATA nur mit deutlichen Einschränkungen eingesetzt werden.
Den in Hamburg bislang geltenden Passus erklärten die Richterinnen und Richter für nichtig. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Gerichtspräsident Stephan Harbarth, bei der Urteilsverkündung.
Bundesweites Problem
Eingesetzt wird HessenDATA insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. Bei rund 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2000 Polizistinnen und Polizisten mit unterschiedlichen Zugriffsrechten mit dem System.
Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Das Gericht hat den Landesregierungen mit seinem Urteil Vorgaben gemacht, was erlaubt ist und welche Grenzen in der Gesetzgebung festgehalten werden müssen.
Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls bereits ein. Bayern arbeitet gerade an der Einführung – als Vorreiter für andere Länder und den Bund. Der Freistaat hat mit Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen, so sollen die Polizeibehörden der anderen Bundesländer dessen Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können.
Die GFF hatte im Herbst noch eine dritte Verfassungsbeschwerde wegen der NRW-Software eingereicht. Diese war in dem Verfahren aber nicht mehr berücksichtigt worden. (dpa / hcz)