Verkehrs- und Gebäudesektor verpassen erneut Klimaziele
Deutschland hat 2022 weniger klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr und seine Klimaziele insgesamt voraussichtlich erreicht. Es seien gut 15 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase als 2021 freigesetzt worden, teilte das Umweltbundesamt (UBA) am Mittwoch in Berlin mit. Die Emissionen seien im vergangenen Jahr leicht um 1,9 Prozent auf 746 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Die Zahlen des UBA sind noch vorläufig – endgültige Werte stehen erst zu Beginn des kommenden Jahres fest.
Um die Klimaziele der Bundesregierung bis 2030 einzuhalten, sind laut UBA-Präsident Dirk Messner nun jährlich sechs Prozent weniger Emissionen nötig – seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.
“A & O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien”, mahnte Messner. “Wir müssen es schaffen, dreimal so viele Kapazitäten wie bisher zu installieren, um den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern.” Eine “Hängepartie” wie in den letzten Jahren dürfe es dabei nicht mehr geben.
Aber nicht alle Sektoren haben die Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes erreicht: Sowohl der Verkehrs- als auch Gebäudesektor überschritten erneut die gesetzten Einsparziele. Wobei der Verkehrssektor auch 0,7 Prozent mehr Treibhausgase emittierte als 2021 – und als einziger Sektor gleichzeitig sein Ziel verfehlte und einen Emissionsanstieg verzeichnete. Im Gebäudesektor wurden immerhin 5,3 Prozent Emissionen reduziert.
Messner forderte, klimaschädliche Subventionen abzubauen, um sowohl Treibhausgase einzusparen als auch Gelder für Klimaschutzprojekte freizusetzen.
Blockadehaltung kritisiert
Kritiker werten die veröffentlichten Zahlen als Alarmsignal im Hinblick auf die Klimaziele der Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnete die Zahlen als “Quittung für zögerliche Anstrengungen bei der Verkehrswende und die Klimaschutz-Blockaden der FDP”. “Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat bisher keine wirksamen Maßnahmenpakete vorgelegt, um die stetig anwachsende Lücke im Verkehrsbereich auszugleichen”, kritisierte die Organisation am Mittwoch.
Zudem blockiere die FDP mit ihrem Veto wichtige Klimaschutzmaßnahmen: Die Neuregelung der EU-Flottengrenzwerte, das Ende für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren im Jahr 2035 sowie den schnelleren Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen.
Die Umweltschutzorganisation BUND nannte die Überschreitung der Klimavorgaben im Verkehr und bei Gebäuden einen “Beleg für den verfehlten Klimakurs der Ampel”. “SPD, FDP und Grüne brechen geltendes Recht”, erklärte BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock. Sie wies darauf hin, dass die Bundesregierung an das Klimaschutzgesetz gebunden ist und die Ziele in allen Sektoren erreichen müsse.
“Die erneute, massive Überschreitung im Verkehrsbereich ist Ergebnis der anhaltenden Ablehnung von kurz- und mittelfristig wirksamen Minderungsmaßnahmen durch das Bundesverkehrsministerium”, so von Broock weiter.
Neue E-Autos reichen nicht aus
Der Verkehrssektor, für den Bundesminister Volker Wissing (FDP) verantwortlich ist, ist der einzige Bereich, der in den vergangenen Jahrzehnten seine Treibhausgasemissionen nicht mindern konnte. Die Emissionen stiegen 2022 um 0,7 Prozent – auf 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Die im Bundesklimaschutzgesetz festgelegte Höchstmenge für 2022 lag allerdings bei 138,8 Millionen Tonnen.
“Trotz der besonders hohen Kraftstoffpreise im Jahr 2022 und der befristeten Einführung des 9-Euro-Tickets im ÖPNV sind die Emissionen des Straßenverkehrs wieder gestiegen”, schreibt das UBA. Nachdem die Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung wieder aufgehoben wurden, hätte der Autoverkehr leicht zugenommen. Die hohen Kraftstoffpreise wurden durch den sogenannten Tankrabatt abgefedert.
Der Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Endenergieverbrauch blieb im Verkehrssektor mit 6,8 Prozent auf dem Niveau des Vorjahres. Es seien dem UBA zufolge zwar rekordartig viele neue Elektroautos zugelassen worden; der Effekt hätte die Zunahme der Emissionen aber nicht ausgleichen können.
Milder Winter half
Im Gebäudesektor wurden 2022 sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart. Dennoch hat der Sektor seine Emissionsziele um gute vier Millionen Tonnen CO2 verpasst.
Die Einsparungen im Gebäudebereich seien im Wesentlichen mit den gestiegenen Energiepreisen zu erklären, so das UBA. Auch die milden Temperaturen hätten dazu beigetragen, dass Gebäude weniger Energie verbraucht und weniger Treibhausgase ausgestoßen hätten.
Der BUND wies darauf hin, dass der Gebäudesektor bereits zum dritten Mal in Folge das gesetzlich vorgegebene Klimaziel verfehlt. “Es ist erst ein Jahr her, da sprach Finanzminister Lindner von den Freiheitsenergien. Jetzt blockiert er die Vorgaben für neue Heizungen, die diese stärken würden”, so die BUND-Geschäftsführerin. Sie forderte ein Eingreifen des Bundeskanzler Olaf Scholz.
Mehr Kohleverstromung
Auch im Bereich der Energieerzeugung gab es einen deutlichen Anstieg an Emissionen. Demnach kam der Sektor auf 10,7 Millionen Tonnen beziehungsweise 4,4 Prozent mehr Treibhausgase als im Jahr 2021. Grund dafür seien die Einsparungen beim Erdgas – stattdessen wurde vermehrt auf Stein- und Braunkohle gesetzt.
“Trotz des insgesamt rückläufigen Energieeinsatzes vor allem in der Industrie hat sich der Anstieg der Treibhausgasemissionen aufgrund des erhöhten Einsatzes von Stein- und Braunkohlen in der Energiewirtschaft seit dem Sommer 2022 abgezeichnet”, sagte der UBA-Präsident. “Dem wird die Bundesregierung jetzt mit einem Klimaschutz-Sofortprogramm entgegenwirken müssen – die Aufgabe ist aber von der gesamten Gesellschaft zu bewältigen.”
Abgefedert wurde die Entwicklung im Energiesektor durch den steigenden Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung. Dieser stieg um knapp neun Prozent gegenüber 2021. Die Erneuerbare Energien deckten 2022 46,2 Prozent des Bruttostromverbrauchs. Im Jahr 2021 lag der Anteil noch bei 41,2 Prozent. Vor allem die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen legte mit einem Plus von 23 Prozent kräftig zu.
Industrie spart in Folge des Krieges
Dass Deutschland seine Klimaziele trotz teils steigender Emissionen erreichen konnte, lag dem UBA zufolge vor allem an Einsparungen im Industriesektor. 2022 sank dessen Ausstoß um 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – auf 164 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.
Insbesondere die metallverarbeitende und chemische Industrie hätten in Folge der gestiegenen Energiekosten weniger Energie verbraucht. Nur Steinkohle sei nahezu genauso viel eingesetzt worden wie im Jahr 2021. Allerdings seien auch die Produktionszahlen teilweise zurückgegangen.
2021 hatte der Industriesektor seine Höchstmengen für Emissionen noch knapp überschritten.
Sofortprogramme nötig
Dem Umweltbundesamt zufolge sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland um 40,4 Prozent gesunken. Bis 2030 soll der Ausstoß laut Klimaschutzgesetz aber um mindestens 65 Prozent sinken im Vergleich zu 1990. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein – es soll dann also ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgasemissionen und deren Bindung herrschen.
Der Expertenrat für Klimafragen wird die veröffentlichten Emissionsdaten nun prüfen und innerhalb eines Monats eine Bewertung abgeben. Innerhalb von drei Monaten müssen die für die problematischen Sektoren zuständigen Ministerien dann jeweils ein Sofortprogramm vorlegen, um die Defizite zu beseitigen. (dpa / hcz)