Urteil: Behörde muss Personalausweis ohne Fingerabdruck ausstellen
Eine Person aus Hamburg hat das Anrecht auf einen Personalausweis ohne gespeicherte Fingerabdrücke zugesprochen bekommen. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat in seinem Beschluss Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Speicherpflicht geäußert. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt sich derzeit mit dem Thema.
Wie aus dem nun veröffentlichten Beschluss von Ende Februar hervorgeht, muss die zuständige Behörde in Hamburg dem Antragsteller einen Personalausweis ausstellen, ohne dass dieser dafür seine Fingerabdrücke abgegeben muss. Die Gültigkeit des Dokumentes soll auf ein Jahr befristet sein. Dieser Zeitraum reicht nach Ansicht des Gerichts aus, bis die Rechtmäßigkeit der Speicherpflicht höchstrichterlich geklärt ist.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und kann vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht angefochten werden.
Dem Beschluss zufolge besitzt der Antragsteller einen bis zum 7. April gültigen Personalausweis. Bei der Verlängerung seines Ausweises wollte er keine Fingerabdrücke abgeben – das lehnte die zuständige Behörde aber unter Verweis auf das Personalausweisgesetz ab. Seit August 2021 müssen Bürgerinnen und Bürger zwei Fingerabdrücke abgeben, wenn sie einen neuen Ausweis beantragen. Die Daten werden zusammen mit dem Foto auf dem Chip im Personalausweis gespeichert. Der Antragsteller suchte deshalb einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht.
Möglicher Verstoß gegen EU-Grundrechtecharta
Der Bundestag hatte die Gesetzesänderung im November 2020 beschlossen und damit eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2019 umgesetzt, nach der die Ausweise aller Mitgliedsstaaten künftig Fingerabdrücke enthalten müssen. Nach Ansicht der Richter könnte die entsprechende EU-Verordnung jedoch gegen die in der EU-Grundrechtecharta festgeschriebenen Rechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten verstoßen. Es müsse geprüft werden, ob der Eingriff in diese Rechte gerechtfertigt ist.
Die Richter verweisen unter anderem darauf, dass biometrische Daten wie Fingerabdrücke besonders sensibel sind. Weil der Personalausweis auch “für eine Vielzahl weiterer Zwecke im alltäglichen Leben” genutzt werde, steige das Missbrauchsrisiko der im Ausweis gespeicherten Daten.
Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist laut Gericht erforderlich, um zu vermeiden, “dass der Antragsteller einen schweren nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet”. Es würde für den Antragsteller “einen erheblichen Nachteil bedeuten”, müsste er seine Fingerabdrücke abgeben. Auch durch eine spätere Löschung sei dies “nicht wiedergutzumachen” weil bis dahin unter anderem die Möglichkeit eines Datenmissbrauchs bestehe.
Zudem bemängeln die Richter auch einen Verstoß bei der Durchführung eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens in Hinblick auf die EU-Verordnung.
EuGH prüft derzeit Speicherpflicht
Das Verwaltungsgericht verweist auch darauf, dass der EuGH derzeit die Rechtmäßigkeit der Fingerabdruckspeicherpflicht prüft. Der Verein Digitalcourage hatte im Dezember 2021 vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen die Speicherpflicht für Fingerabdrücke im Personalausweis geklagt. Das Gericht hatte den Fall anschließend an den EuGH verwiesen, der sich mit zugrundeliegenden EU-Verordnung auseinandersetzt.
Dort fand am vergangenen Dienstag eine Anhörung in dem Fall statt. Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, der Digitalcourage vertritt, erklärte anschließend: “Wir sehen viele unserer Kritikpunkte bestätigt und blicken optimistisch auf den weiteren Verlauf des Verfahrens.”
Laut Digitalcourage gab es in der Anhörung besonders kritische Nachfragen der Richterinnen und Richter zu der in der Verordnung eingeräumten Frist zwischen der Erhebung der Fingerabdrücke bei den Behörden und der vorgeschriebenen Löschung. Demnach dürften die Fingerabdrücke bis zu 90 Tage in den Behörden gespeichert werden. Digitalcourage kritisiert, in dieser Zeit könnten die Daten bei den Behörden gestohlen werden.
Zudem habe es kritische Nachfragen gegeben, weil die Verordnung vorsieht, dass die biometrischen Daten auch für andere Zwecke als die Ausweiserstellung genutzt werden können, wenn ein Gesetz der EU oder des Mitgliedsstaates das vorsieht. Digitalcourage zufolge könnten Mitgliedsstaaten dies als Hintertür nutzen, um auf der Grundlage von nationalen Gesetzen auf die gespeicherten Fingerabdrücke zuzugreifen.
Ein Richter habe dazu bemerkt, dass der europäische Gesetzgeber mit dem Ziel, die Sicherheit der Ausweise zu erhöhen, hier de facto eine neue Sicherheitslücke geschaffen habe.
Achelpöhler kommentierte: “Wir sind der Auffassung, dass die Fingerabdruckpflicht nicht gültig bleiben kann, wenn schon bei der Erstellung der Abdrücke und Ausweise die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.”
Der nächste Schritt in dem Verfahren ist Ende Juni die Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin. Die Generalanwälte des EuGH unterbreiten dem Gerichtshof einen Entscheidungsvorschlag. Diese Schlussanträge sind für die Richter nicht bindend, häufig orientieren sie sich jedoch daran. Der Termin für die Urteilsverkündung steht noch nicht fest.
Bereits vor Inkrafttreten der deutschen Speicherpflicht hatte es scharfe Kritik gegeben. Digitalcourage hatte etwa kritisiert, sämtliche Bürgerinnen und Bürger würden unter Generalverdacht gestellt.
Digitalcourage hatte außerdem kritisiert, dass Alternativen zu den Fingerabdrücken, die keinen so großen Grundrechtseingriff darstellen, von der Bundesregierung nicht ausreichend geprüft wurden. Dazu zählt die Speicherung der sogenannten Minuzien. Das sind die eindeutigen Merkmale eines Fingerabdrucks, wie Endpunkte und Verzweigungen. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte hatte bereits 2018 empfohlen, nur die Minuzien zu speichern. (js)