Wärmerekorde in den Ozeanen
Die Oberflächentemperatur der Ozeane hat neue Rekordwerte erreicht. Im globalen Mittel liegt sie nach vorläufigen Daten der US-Plattform “Climate Reanalyzer” nun schon seit rund zwei Wochen bei 21,1 Grad – ein Wert, der in den rund 40 Jahren Aufzeichnung bis 2022 niemals erreicht wurde. Die Temperatur liegt damit anhaltend weit über den üblichen Werten für den Monat August.
Die Weltmeere sind ein gewaltiger Wärmespeicher, der einen Großteil der Wärme aufnimmt, die durch den Klimawandel entsteht.
Außerordentlich warm sind die Ozeane nun schon seit fast einem halben Jahr; seit März weist die Oberfläche der Meere global Rekordtemperaturen für den jeweiligen Monat auf. Anfang April hatten die Temperaturen schon einmal mehrere Tage bei 21,1 Grad und damit so hoch wie nie seit Beginn der Auswertung gelegen. Davor war ein Rekord von 21 Grad im März 2016 und erneut Ende März 2023 erfasst.
Als Hauptgrund für den Anstieg gelten die menschengemachten Treibhausgase. “Wir belasten die Ozeane mehr als je zuvor in der Geschichte”, hatte Matt Frost vom britischen Plymouth Marine Lab Anfang August gegenüber der BBC gesagt.
Über 90 Prozent der durch sie entstehenden Wärme wird Experten zufolge von den Ozeanen aufgenommen. So winzig sich dabei Veränderungen um Zehntel Grad anhören mögen: Dahinter steckt die Erwärmung gigantischer Wassermassen, wie Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt. Ein Liter Wasser könne dreitausend mal mehr Wärme aufnehmen als ein Liter Luft.
Ungewöhnliche Werte
Im Jahresverlauf zeigen sich bei der globalen Ozeantemperatur stets zwei Spitzen: eine im März zum auslaufenden Südsommer und einer im August, wenn der Sommer im Norden sich dem Ende zuneigt. In der südlichen Hemisphäre ist deutlich mehr Fläche von Ozean bedeckt, “darum dominiert sein Sommereffekt üblicherweise”, erklärt Levermann. Dass es diesmal im August so hohe Werte gibt, liegt demnach an der seit Monaten beispiellosen Hitze im Nordatlantik.
Am 1. August etwa sei das Wasser dort im Mittel der vergangenen Jahrzehnte 23,6 Grad warm gewesen – am 1. August 2023 aber 25,0 Grad, also fast eineinhalb Grad mehr. “Das ist wuchtig.”
Das Klimaphänomen El Niño spiele dabei derzeit noch keine große direkte Rolle. “Das baut sich gerade erst auf.”
Mögliche Erklärung
Levermann hat eine Theorie entwickelt, was – neben weiteren Faktoren wie den Hitzewellen in der Atmosphäre – die hohen Nordatlantik-Temperaturen der letzten Monate verursacht haben könnte: Durch die globale Erwärmung schwächt sich seit Jahrzehnten das Golfstrom-System ab. Eigentlich sei hierdurch eher eine Abkühlung im Nordatlantik zu erwarten. Doch womöglich komme es zu einem Wärmestau, weil eines der beiden zusammenwirkenden Fließbänder versagt, die von der US-Ostküste hinaus in den Nordatlantik strömendes warmes Wasser weiter nördlich in die Tiefe bringen.
Das erste Band funktioniere noch, wenn auch abgeschwächt, das zweite aber könnte dabei sein auszufallen, erläutert der Klimaforscher zu seiner Theorie. "Es könnte sein, dass die Wärme nur noch durch das südliche Band bis südlich von Island transportiert wird. Wenn die Tiefenwasserbildung im hohen Norden stark abgeschwächt ist, dann wird die Wärme nicht mehr weitergetragen und staut sich vor der spanischen und französischen Küste, wie wir es derzeit erleben. Das ist zumindest eine Möglichkeit", sagt Levermann.
Fatale Folgen
Für die Ökosysteme im Meer sei die Entwicklung fatal. “Sie sind Stabilität gewohnt, viel mehr noch als Lebensräume an Land.” Entsprechend empfindlich reagierten viele von ihnen, sagt der PIK-Forscher. Folgen habe das wiederum für die Fischerei. “Es gibt unzählige Nahrungsketten und -netzwerke, die wir damit durcheinanderbringen.”
Die zusätzliche Strömungsänderung im Nordatlantik bringe zudem wie auch der El Niño mehr Wärme in die Atmosphäre – mit einem weiter steigenden Risiko für Extremwetter-Ereignisse als Folge, wie Levermann erklärt. Die Erwärmung bringe mehr Bewegung ins System, das eigentlich kreisrund um die Erde reichende Jetstream-System beginne auszubeulen – was wiederum Hitzewellen oder Starkregen verursache.
Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hatte Ende Juli bezüglich der Extremtemperaturen der Weltmeere gewarnt: “Einerseits stresst die Erwärmung die Meeresökosysteme, zum Beispiel die tropischen Korallen – es kommt immer öfter zur gefürchteten Korallenbleiche.” Andererseits führe die Erwärmung zu einem Rückgang des Sauerstoffgehalts in den Ozeanen.
Es bestehe auch die Gefahr, dass die Meere weniger CO2 aufnehmen können; in der Folge beschleunige sich die globale Erwärmung weiter. Außerdem trage die mit der Erwärmung verbundene Ausdehnung des Wassers zum Anstieg der Meeresspiegel bei, sagte der Forscher.
Hitze an unerwarteter Stelle
Dem IPCC zufolge haben sich marine Hitzewellen zwischen 1982 und 2016 verdoppelt und sind seit den 1980er Jahren intensiver und länger geworden.
Auch in diesem Jahr wurden bereits eine Reihe von Temperaturrekorden in den Weltmeeren registriert – unter anderem vor dem Vereinigten Königreich, im Nordatlantik, im Mittelmeer und im Golf von Mexiko. "Die Meereshitzewellen, die wir sehen, ereignen sich an ungewöhnlichen Orten, wo wir sie nicht erwartet haben“, hatte Samantha Burgess vom Copernicus Anfang August gegenüber der BBC erklärt.
Der Europäischen Weltraumorganisation zufolge waren die Temperaturen beispielsweise in britischen Gewässern im Juni 3 bis 5 Grad höher als im Durchschnitt. In Florida, wo die Meeresoberflächentemperaturen Ende Juli normalerweise zwischen 23 und 31 Grad liegen sollten, erreichten die Meeresoberflächentemperaturen in dem Zeitraum über 38 Grad.
Keine Entwarnung ohne Klimaneutralität
Laut einer Anfang des Jahres vorgestellten Studie hat sich die Geschwindigkeit, mit der sich die Meere erwärmen, seit den späten 1980er Jahren mindestens verdreifacht. Die Wärmemenge in Meeresschichten bis zu einer Tiefe von 2000 Metern erreichte 2022 einen Höchststand, wie das Forschungsteam im Fachjournal “Advances in Atmospheric Sciences” berichtete. 2023 dürfte neue Rekordwerte bringen.
“Solange wir keine Klimaneutralität erreichen, wird sich der Trend des Aufheizens fortsetzen, und wir werden jedes Jahr neue Wärmerekorde in den Ozeanen messen”, sagte Mitautor Michael Mann von der Universität von Pennsylvania.
Aufgrund der Wärmespeicherung im Ozean hat auch das Klimasystem ein langes Gedächtnis, betont Levermann. “Wir müssen aufhören, Gas, Öl und vor allem Kohle zu verbrennen, denn die Temperaturen in der Atmosphäre werden lange nicht heruntergehen, lange nachdem wir aufgehört haben, CO2 zu emittieren.” (dpa / hcz)