Wenig Schnee in den Alpen: Dürren drohen
In den Alpen liegt vielerorts nur ein Bruchteil des üblichen Schnees – und auch geregnet hat es kaum. Betroffen sind Frankreich, Schweiz, Italien und Teile Österreichs. Laut Experten droht bald massive Trockenheit.
In Italien beispielsweise schlägt die Umweltschutzorganisation Legambiente Alarm und warnt, in den dortigen Alpen sei in den vergangenen Monaten 53 Prozent weniger Schnee als im langjährigen Mittel gefallen. Ein Problem sei zudem der ausbleibende Regen: Im Becken des Po, des größten Flusses Italiens, sind die Niederschläge um 61 Prozent gesunken.
Auch in Frankreich wird nach mehreren praktisch regenfreien Wochen schon jetzt ein zweiter Dürre-Sommer in Folge befürchtet.
Verantwortlich für den geringen Niederschlag sind blockierende Hochdruckgebiete über Westeuropa, die Regenfronten abdrängen. Es sei nicht das erste Mal, dass solche Wetterlagen für extrem regenarme Jahre sorgten, sagte Meteorologe Klaus Haslinger von Geosphere Austria. Doch gebe es Indizien, dass die globale Erwärmung diese Temperatur-Muster begünstigt.
“Ein zu milder Winter allein macht noch keinen Klimawandel. Wohl aber der zwölfte zu warme Winter in Folge”, warnt Peter Hoffmann, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gegenüber Posteo. Es sei eine Tendenz, die sich in den letzten Jahren verstärkt abzeichne und sich ohne den menschengemachten Klimawandel nicht erklären ließe.
“Die Kammlagen der Mittelgebirge, die bislang noch als schneesicher galten, werden immer öfter infolge von zu milden Witterungsbedingungen mit Schneemangel konfrontiert”, so Hoffmann weiter. Nicht nur die Wintertourismusbetreiber stelle diese Entwicklung vor existenzielle Herausforderungen, sondern auch die natürlichen Wasserkreisläufe: Flusspegel könnten bereits früh im Jahr durch zu wenig Schmelzwassereintrag Niedrigwasser führen, vor allem wenn zudem erneut der Regen im Frühjahr über Wochen ausbleibt."
Wassermangel im Sommer erwartet
“Wenn im Frühjahr das Wetter so ähnlich ist wie 2022 wird sich die Trockenheit deutlich verschärfen”, warnt auch der Agrarmeteorologe an der Universität für Bodenkultur in Wien, Josef Eitzinger. Es zeichne sich ab, dass die Flüsse viel weniger Schmelzwasser transportieren werden. “Damit fehlt die Frühjahrsspitze, die auch wichtig für das Auffüllen von Grundwasser wäre.”
“Das Schneedefizit von heute ist die Trockenheit im nächsten Sommer und Herbst”, sagte Manuela Brunner, Leiterin Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos. Die Auswirkungen haben über die Jahrzehnte deutlich zugenommen.
Sie hat in einer Studie festgestellt, dass die Zahl der Dürren, die durch Schneeschmelzdefizite ausgelöst wurden, im Zeitraum 1994 bis 2017 um 15 Prozent höher war als in den Jahren 1970 bis 1993. Sie geht davon aus, dass der Trend sich fortsetzt, weil die Schneefallgrenze steige. Damit sinke die Menge an Wasserreserven, die im Schnee gespeichert seien.
Historischer Regenmangel in Frankreich
In Frankreich weisen nach aktuellen Daten des nationalen Wassermonitorings von 422 beobachteten Grundwassergebieten schon jetzt 125 ein sehr niedriges Niveau auf, 120 ein niedriges Niveau und 97 ein mäßig niedriges Niveau.
Der französische Umweltminister Christophe Béchu rief in einem Interview mit dem Sender FranceInfo dazu auf, Wasser zu sparen. “Der Klimawandel bedeutet, dass die Wasserreserven in Frankreich um 15 bis 40 Prozent sinken”, sagte Béchu.
Vier Departements ergriffen bereits Maßnahmen gegen den Wassermangel und verboten beispielsweise Autowäschen. In Frankreich hatte es bis Mitte letzter Woche 32 Tage lang am Stück nicht geregnet – die längste Periode seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1959, teilte der französische Wetterdienst am Mittwoch mit.
Nahrungsmangel droht
Auch ganz Norditalien leidet unter langanhaltender Trockenheit. Nach dem regenfreien Februar im italienischen “Food Valley” drohe ein Minus bei der nationalen Lebensmittelproduktion um 40 Prozent, schrieb die Zeitung La Repubblica. Niemand könne sich dort an eine schlimmere Trockenheit erinnern. Es bräuchte nun mehr als einen Monat Regen, um die Bodenbearbeitung für die Frühjahrsaussaat zu ermöglichen. Zusätzlich würden Mandel-, Pfirsich- und Kirschbäume aktuell durch einen abrupten Temperaturabfall geschädigt.
Der Lago Maggiore ist laut Presseberichten nur noch zu 38 Prozent gefüllt und somit 3,2 Meter vom Nullpunkt entfernt; auch Gardasee und Comer See weisen niedrige Pegelstände auf.
Aber auch weiter südlich in Italien macht sich die Trockenheit bemerkbar. Am Tiber in Rom sei der Wasserstand schon um 1,50 Meter gesunken, meldete die Hauptstadtzeitung “Il Messaggero”.
“Den Notfällen hinterherlaufen”
Angesichts des “nicht enden wollenden Dürrenotstands” rief die Umweltschutzorganisation Legambiente die italienische Regierung dazu auf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Organisation legte vergangene Woche acht Vorschläge für eine nationale Wasserstrategie vor. Unter anderem schlägt sie vor, Boden zu entsiegeln, um mehr Regenwasser zu speichern und im Agrarsektor vermehrt gereinigte Abwässer einzusetzen.
“Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, werden wir Notfällen immer hinterherlaufen”, kritisierte Legambiente. Die Regierung müsse eine nationale Wasserstrategie definieren, die die Anpassung an den Klimawandel und die Reduzierung von Entnahmen und Wasserverschwendung zum Ziel hat.
Gletscher in Mitleidenschaft
Wegen Rekord-Tiefstständen beim Grundwasser südlich von Wien müssten sich auch dort viele Landwirte auf Einschränkungen bei der Bewässerung der Felder einstellen, meint Agrarmeteorologe Eitzinger. Der Pegel des ökologisch besonders wertvollen Neusiedler Sees an der Grenze zu Ungarn – er wird vor allem von Regenwasser gespeist – ist so niedrig wie nie.
“Die Alpen sind eine der ‘Wolkenkratzer-Gebiete’ Europas”, sagt der Hydrogeologe Johannes Barth von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. “Es ist eine Region mit den erfahrungsgemäß höchsten Niederschlagsraten, weil hier die Wolken einfach ausgebremst werden und vor Ort abregnen.” Dabei könnten die Alpen im Vergleich zum Tiefland weniger Wasser im Grundwasser speichern.
Vielmehr bestehen saisonale Wasserspeicher in Form von Schnee und Eis. “Bleiben diese Speicher wegen eines schneearmen Winters aus, so werden Gletscher weiter reduziert und angrenzende Wassersysteme wie Flüsse und Seen und auch Grundwasser weniger gespeist.” (dpa / hcz)