Äthiopien: Mindestens 18 Journalisten verhaftet

Polizist in gepanzertem Fahrzeug in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba
Reporter ohne Grenzen befürchtet, die äthiopischen Behörden könnten weiter gegen Medienschaffende vorgehen. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

Bei Massenverhaftungen in Äthiopien wurden Ende Mai mehrere Medienschaffende festgenommen. Zudem droht zwei seit November inhaftierten Journalisten bei einer Verurteilung die Todesstrafe, berichtet Reporter ohne Grenzen (RSF). Die Organisation beklagt eine sich verschlechternde Situation der Pressefreiheit in dem afrikanischen Land.

Nach Angaben von RSF wurden zwischen dem 19. und 28. Mai etwa 6000 Menschen in Äthiopien verhaftet. Darunter befinden sich mindestens 18 Journalistinnen und Journalisten. Viele der Betroffenen würden für unabhängige Medien oder auf YouTube über Inlandsthemen berichten.

Die Verhaftungen hätten am 19. Mai in Bahir Dar begonnen, der Hauptstadt der Region Amhara. Diese grenzt an die Region Tigray, in der seit November 2020 ein bewaffneter Konflikt zwischen der äthiopischen Zentralregierung und Rebellengruppen herrscht. Medienberichten zufolge kommt es auch in Amhara immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

RSF berichtet, in Bahir Dar seien insgesamt neun Medienschaffende festgenommen worden. Ihnen werde vorgeworfen, eine in dem Bundesstaat aktive Miliz zu unterstützten.

Journalisten droht Todesstrafe

Die äthiopische Zentralregierung beschuldige die meisten der festgenommenen Journalisten außerdem, sie hätten angeblich “zu Gewalt aufgestachelt und Unruhe gestiftet”. RSF weist darauf hin, einige der Beschuldigten seien seit Jahren nicht mehr auf ihren YouTube-Kanälen aufgetreten. Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) berichtet zudem, einige Betroffene hätten sich kritisch zu den Massenverhaftungen geäußert.

Mehrere der verhafteten Journalisten befinden sich laut RSF in Isolationshaft. So wurde etwa der Journalist Gobeze Sisay neun Tage lang unter unklaren Umständen festgehalten. RSF kritisiert, die Festnahmen seien ein Verstoß gegen das äthiopische Mediengesetz. Es verbiete die vorläufige Festnahme von Personen, die beschuldigt werden, in den Medien eine Straftat begangen zu haben.

Tarikua Getachew von der Äthiopischen Menschenrechtskommission erklärte, ihre Organisation sei besorgt über “die rechtswidrige Untersuchungshaft, die Verweigerung des Besuchsrechts und einige der Haftbedingungen”. Das Mediengesetz müsse eingehalten und die Beschuldigten freigelassen werden.

RSF kritisiert auch, dass dem Chefredakteur des Oromia News Network, Dessu Dulla, und dem Moderator Bikila Amenu ein “Verfassungsverstoß” vorgeworfen wird – sie könnten zum Tode verurteilt werden. Nach Angaben des CPJ wurden die beiden Journalisten bereits im November 2021 während eines damals verhängten Ausnahmezustands verhaftet. Sie hätten über den Konflikt und Menschenrechtsverletzungen in Tigray und Oromia berichtet.

“Die Situation in Äthiopien ist äußerst besorgniserregend, da zwei Journalisten die Todesstrafe droht, nur weil sie ihre Arbeit machen”, kritisierte Sadibou Marong, Leiter des Westafrika-Büros von RSF. “In einem Land, das unter einer akuten humanitären und politischen Krise leidet, dürfen die Behörden die Konflikte nicht als Vorwand benutzen, um die Pressefreiheit einzuschränken. Wir fordern die Regierung auf, sofort alle Anklagen gegen die beiden Journalisten fallen zu lassen und die Massenverhaftungen zu beenden.”

Weitere Festnahmen befürchtet

RSF befürchtet indes, die Behörden könnten weiter gegen Medienschaffende vorgehen: Ende Mai habe die Bundespolizei mitgeteilt, sie habe über 100 angeblich illegale Online-Medien identifiziert. Die Polizei wirft ihnen vor, Falschinformationen zu verbreiten und Konflikte zu schüren.

Die Organisation bezeichnete die “willkürlichen Verhaftungen und Verfahren” als “besorgniserregend”. Sie seien eine zusätzliche Bedrohung für die Pressefreiheit in Äthiopien. Einige äthiopische Medienschaffende hätten bereits das Land verlassen müssen: So sei etwa die freie Journalistin Lucy Kasa, die unter anderem für Al Jazeera arbeitet, Drohungen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ausgesetzt gewesen – und daraufhin geflohen.

Auch ausländische Pressevertreter seien betroffen: So hatten die Behörden dem Äthiopien-Korrespondenten der Zeitschrift The Economist im Mai die Akkreditierung entzogen und ihn drei Tage später ausgewiesen. Auch Simon Marks, der aus der Hauptstadt Addis Abeba für die New York Times berichtet hatte, sei im Mai ohne Vorwarnung oder offizielle Erklärung zur Ausreise gezwungen worden.

Laut RSF schrumpft der Raum für freie Medien in Äthiopien immer weiter. So habe das Parlament im April neun neue Mitglieder der äthiopischen Medienaufsicht ernannt – und dabei die Vorschläge von Ministerpräsident Abiy Ahmed akzeptiert. Auch das sei ein Verstoß gegen das Mediengesetz gewesen, wonach die Medienaufsicht autonom ist und Mitglieder politischer Parteien in ihrem Vorstand nicht zulässig sind.

Gesetze können Meinungsfreiheit einschränken

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Äthiopien auf Rang 114 von 180 Staaten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet, die Zentralregierung habe auf den bewaffneten Konflikt in Nordäthiopien mit “massiven Repressionen und Gewalt im ganzen Land” reagiert. Seit Anfang 2021 nehme die Polizei willkürlich Menschen fest, die über den Konflikt berichten oder Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Amnesty International wirft allen Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Die Organisation kritisiert auch, das äthiopische “Gesetz gegen Hassrede und Falschinformation” könne missbraucht werden, um freie Meinungsäußerungen einzuschränken. Es verpflichte soziale Medien außerdem dazu, Inhalte zu überwachen und zu entfernen. Amnesty International befürchtet, auch legitime Regierungskritik könnte damit eingeschränkt oder verboten werden.

Im Mai hatte zudem die Bürgerrechtsorganisation Access Now berichtet, das Internet in der Region Tigray sei seit November 2020 durchgängig blockiert. Dies habe verheerende Auswirkungen: Hilfsorganisationen könnten in Konfliktregionen nicht kommunizieren und somit keine lebenswichtigen Güter bereitstellen. Auch könnten Menschenrechtler und Medienschaffende nur erschwert aus der Region berichten. (js)