34 Länder haben im Jahr 2021 Internetsperren verhängt
Wegen Protesten, Wahlen, bewaffneten Konflikten und sogar Schulprüfungen haben Regierungen im Jahr 2021 Internetsperren verhängt. 182 solcher Fälle hat die Organisation Access Now im vergangenen Jahr dokumentiert – die meisten in Indien. Das geht aus dem Bericht “The Return of Digital Authoritarianism” der Organisation hervor.
Unter die von Access Now verwendete Definition von Internetsperren fallen sowohl absichtliche, flächendeckende Netzabschaltungen, als auch die Verlangsamung der Übertragungsgeschwindigkeit und die Blockade einzelner Dienste, wie soziale Medien. Dem Bericht zufolge haben im vergangenen Jahr 34 Staaten zu solchen Mitteln gegriffen. Dies sei ein “dramatischer Anstieg”: Im Jahr 2020 hatte die Organisation noch 159 Internetsperren in 29 Ländern gezählt.
Im vierten Jahr in Folge gab es die meisten Internetsperren in Indien (106). Mit 15 Blockaden verhängte Myanmar am zweithäufigsten entsprechende Einschränkungen, die Access Now als repressiv kritisiert. Der Iran und Sudan griffen jeweils fünfmal zu der Maßnahme.
Internetabschaltungen nach Putsch
Regierungen setzen Internetsperren laut Access Now gezielt ein, um die Bevölkerung zu kontrollieren – und ihre Macht zu sichern. So würden beispielsweise Kritiker zum Schweigen gebracht oder der Informationsaustausch während Wahlen behindert.
Im vergangenen Jahr ließen Regierungen das Internet auch während Protesten, politischen Unruhen oder Putschen sperren: So hatte sich das Militär in Myanmar am 1. Februar 2021 an die Macht geputscht – und sowohl Telefon- als auch Internetverbindungen in Teilen des Landes gekappt. Auch Radio- und TV-Sender wurden abgeschaltet. In der Folgezeit wurden Internetzugänge wiederholt blockiert.
Betroffen waren auch Internetverbindungen über das Mobilfunknetz, die von den meisten Menschen in Myanmar genutzt werden. Zwar habe die Junta die Sperren im Laufe des Jahres größtenteils aufgehoben. Doch komme es bis heute an Orten, an denen das Militär auf Widerstand trifft, wiederholt zu Internetsperren. Access Now kritisiert, dies sei ein Versuch, schwere Menschenrechtsverletzungen in dem Land zu verschleiern. Soziale Netze seien in Myanmar weiterhin blockiert.
Im Sudan hatte das Militär im Oktober ebenfalls geputscht und das Internet abgeschaltet. Als die Bevölkerung gegen den Putsch protestierte, wurde der Internetzugang erneut unterbrochen.
Kaschmir: 551 Tage lang offline
Um die sogenannten Bauernproteste gegen eine Agrarreform zu unterdrücken, habe auch Indien zu Internetsperren gegriffen. Die Behörden hätten versucht, die Kommunikation zwischen den Demonstrierenden und die Berichterstattung der Presse zu verhindern. Insgesamt kommt Indien auf 106 Internetsperren im Jahr 2021; alleine 85 davon in der Region Jammu und Kaschmir. Nach Angaben von Access Now war das Internet dort zwischen August 2019 und Februar 2021 551 Tage lang durchgängig abgeschaltet.
Bereits im Jahr 2020 hatte sich Indiens oberster Gerichtshof damit beschäftigt und die Sperre für rechtswidrig befunden. Laut Bericht wurde diese durchgängige Sperre zwar Anfang vergangenen Jahres aufgehoben, doch zeitweise seien Verbindungen in der Region immer wieder unterbrochen worden.
Der Iran blockierte mobile Internetverbindungen in der südöstlichen Provinz Sistan und Belutschistan – ebenfalls während Protesten. Über 95 Prozent der Bevölkerung in dieser Region sind laut Access Now auf die Mobilfunknetze angewiesen. Durch die Unterbrechung sei versucht worden, Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen. Dies sei eine bekannte Taktik: Um Proteste zu verhindern, hatte es im Iran auch im Jahr 2019 eine landesweite Internetsperre gegeben – Amnesty International hatte damals dokumentiert, wie in dieser Zeit über 300 Menschen durch iranische Sicherheitskräfte getötet wurden.
Auch in Jordanien, Pakistan, Burkina Faso und in Kasachstan wurde das Internet inmitten von Protesten abgeschaltet. In Kuba kam es im Juli ebenfalls zu regierungskritischen Protesten – woraufhin zuerst soziale Netzwerke blockiert und später das Internet abgeschaltet wurden. In Lateinamerika sei Kuba das einzige Land, in dem Access Now im vergangenen Jahr ein solches Vorgehen der Behörden dokumentieren konnte.
In sechs Ländern hat die Organisation zudem Internetsperren im Zusammenhang mit Wahlen dokumentiert, dies sei eine “Katastrophe für die Demokratie”. Demnach wurden im Tschad, der Republik Kongo, dem Iran, in Niger und Uganda die Verbindungen während oder nach Wahlen unterbrochen. In Sambia waren soziale Netzwerke während der Wahlen blockiert.
Internetsperre hielt über 2000 Tage an
Die Organisation berichtet außerdem, einige Regierungen würden Internetsperren immer weiter verlängern und so den angerichteten Schaden verschlimmern. Zwei Regionen begannen das vergangene Jahr demnach bereits mit lang anhaltenden Einschränkungen: So wurden in den an Afghanistan grenzenden, sogenannten Stammesgebieten unter Bundesverwaltung in Pakistan die Mobilfunknetze bereits im Jahr 2016 abgeschaltet. Nach Angaben von Access Now wurde diese Blockade erst im Dezember 2021 vollständig aufgehoben – nach insgesamt 2026 Tagen. Dies habe die wirtschaftliche Entwicklung in der ohnehin isolierten Region um Jahrzehnte zurückgeworfen.
In der äthiopischen Region Tigray wurde das Internet bei Beginn eines bewaffneten Konflikts im November 2020 blockiert. Nach Angaben von Access Now hält dieser Zustand bis heute an – seit mehr als 500 Tagen. Und auch angrenzende Regionen seien zeitweise betroffen gewesen. Dies habe verheerende Auswirkungen: So hätten die Konfliktparteien in der Region schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Hilfsorganisationen könnten in Konfliktregionen nicht kommunizieren und somit keine lebenswichtigen Güter bereitstellen. Auch könnten Menschenrechtler und Medienschaffende nur erschwert aus der Region berichten.
Und selbst um Betrug während Schulprüfungen zu verhindern, greifen einige Regierungen zu Internetsperren: In Algerien beispielsweise wurde das Internet im Juni für mehrere Stunden abgeschaltet, während über 700.000 Schülerinnen und Schüler ihre landesweiten Prüfungen ablegten. Und auch der Sudan unterbrach den mobile Internetzugang während landesweiter Prüfungen.
Negative Auswirkungen auf Betroffene
Access Now kritisiert, durch Internetsperren sei es für Menschen in betroffenen Gebieten schwierig, an Informationen zu gelangen. Außerdem könnten sie nicht in Kontakt mit der Außenwelt treten.
118 der Sperren im vergangenen Jahr hätten bestimmte Orte betroffen. Dies sei häufig ein Zeichen dafür, dass Regierungen versuchten, bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Schweigen zu bringen. Bereits gefährdete Gemeinschaften würden dadurch weiter marginalisiert. Solche Maßnahmen hätten verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte der Betroffenen.
Zudem hat die Organisation in zehn Fällen beobachtet, dass die Übertragungsgeschwindigkeit reduziert wurde. Dadurch sah es so aus, als sei das Internet weiter verfügbar – während sich bestimmte Dienste praktisch nicht mehr nutzen ließen. Dies könne auch eine Strategie sein, um Internetabschaltungen zu “verstecken”. Denn in vielen Teilen der Welt sei es aufgrund schlechter Netzinfrastruktur schwierig, zwischen absichtlicher Verlangsamung und einer unzuverlässigen Internetverbindung zu unterscheiden. Regierungen könnten dies dann als technische Probleme abtun.
Access Now begrüßt aber auch Fortschritte auf internationaler Ebene: So hätten die Außenminister der G7-Staaten Internetsperren ebenso verurteilt wie der UN-Menschenrechtsrat. Außerdem sei gerichtlich gegen Internetsperren vorgegangen worden. Im Sudan beispielsweise hatte eine Verbraucherschutzorganisation die Telekommunikationsbehörde aufgrund der Internetsperre im Oktober 2021 verklagt. Im November hatte ein Gericht die Sperre für rechtswidrig erklärt. Zunächst ohne Erfolg: Erst als das Gericht Haftbefehle für die Leiter der lokalen Internetprovider ausgestellt hatte, wurde die Blockade tatsächlich aufgehoben.
Auch als in Nigeria der mobile Twitter-Zugriff gesperrt wurde, hatten zivilgesellschaftliche Organisationen Klage vor dem Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft eingereicht. Der Fall sei noch nicht entschieden – allerdings habe der Gerichtshof zuvor schon eine Internetsperre in Togo für rechtswidrig erklärt, berichtet Access Now. Nigeria hatte die Sperre indes zu Beginn dieses Jahres aufgehoben.
Außerdem hätten Länder wie Benin, der Irak und Gambia in vergangenen Jahren während wichtiger nationaler Ereignisse das Internet blockiert – bei den Wahlen im Jahr 2021 aber darauf verzichtet. (js)