Amnesty International verlässt Hongkong

Menschen demonstrieren gegen das Sicherheitsgesetz in Hongkong
Gegen das Gesetz hatte es massive Proteste in Hongkong gegeben – dennoch hatte die chinesische Regierung es im Jahr 2020 umgesetzt. (Quelle: IMAGO / ZUMA WIRE)

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zieht sich als Reaktion auf das umstrittene Sicherheitsgesetz aus Hongkong zurück. Bis zum Ende des Jahres sollen beide Büros in der chinesischen Sonderverwaltungsregion geschlossen werden, teilte die Organisation am Montag mit.

Die Entscheidung sei “schweren Herzens” gefallen, erklärte Amnestys Vorstandsvorsitzende Anjhula Mya Singh Bais. Das Sicherheitsgesetz habe es für Menschenrechtsorganisationen “praktisch unmöglich gemacht, frei und ohne Angst vor ernsthaften Repressalien durch die Regierung zu arbeiten”.

Die Organisation unterhält zwei Büros in Hongkong: Zum einen eine lokale Mitgliedersektion, die in der Stadt über Menschenrechte aufklärt. Dieses Büro schließt bereits am 31. Oktober. Zum anderen gibt es ein Regionalbüro, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Forschung und Kampagnen in Ost- und Südostasien sowie dem Pazifikraum durchführen. Es soll bis zum Jahresende geschlossen werden. Die Arbeit des Regionalbüros will die Organisation von anderen Standorten aus fortsetzen.

Gesetz gegen die Opposition

Das von der chinesischen Zentralregierung verhängte Sicherheitsgesetz war im Juni 2020 in Kraft getreten. Es erlaubt den Behörden, gegen Aktivitäten vorzugehen, die die Regierung in Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht.

Hongkong wurde im Jahr 1997 von Großbritannien an China übergeben. Schon im Jahr 1984 hatten sich die beiden Staaten für diese Übergabe auf den Grundsatz “ein Land, zwei Systeme” geeinigt – China hatte Hongkong bis zum Jahr 2047 einen halbautonomen Sonderstatus zugesichert. Dieser garantiert eigentlich bürgerliche Freiheiten wie die Meinungsfreiheit, aber auch ein eigenes Rechtswesen und eigene Gesetze. Mit dem Sicherheitsgesetz hatte China in diese Autonomie eingegriffen.

Amnesty International kritisiert die weitreichende und vage formulierte Definition der “nationalen Sicherheit” in dem Gesetz. Sie werde als Vorwand genutzt, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit einzuschränken sowie abweichende Meinungen und politische Opposition zu unterdrücken.

Als Reaktion auf das Gesetz hatten im vergangenen Jahr mehrere große Internetkonzerne wie Facebook und Twitter angekündigt, nicht mehr mit den dortigen Behörden zu kooperieren und Personenauskünfte verweigert. Die Behörden hatten mehrere Hundert Mitglieder der Demokratiebewegung verhaftet.

Im Juni 2021 hatte Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International Deutschland, kritisiert: “In einem Jahr hat das ‘Nationale Sicherheitsgesetz’ Hongkong einem Polizeistaat nahegebracht und ein Klima der Angst geschaffen, das in allen Teilen der Gesellschaft zu spüren ist – von Politik über Kultur, Bildung bis hin zu den Medien.”

Gewerkschaften aufgelöst

Nach Angaben von Amnesty International haben sich seit Inkrafttreten des Gesetzes mindestens 35 Gruppen aufgelöst, darunter einige der größten Gewerkschaften und Aktivistengruppen Hongkongs. Auch die regimekritische Zeitung Apple Daily musste im Sommer dieses Jahres schließen. Sie war wegen angeblicher Verstöße gegen das Sicherheitsgesetz ins Visier der Behörden geraten.

Amnesty International kritisiert, Razzien, Verhaftungen und strafrechtliche Verfolgung vermeintlicher Kritikerinnen und Kritiker hätten deutlich gemacht, wie sich das Gesetz manipulieren lasse, um gegen all jene vorzugehen, die sich kritisch gegenüber den Behörden äußern.

Finn Lau, Exil-Aktivist aus Hongkong und Mitbegründer der Bewegung “Stand with Hong Kong”, kommentierte Amnestys Ankündigung auf Twitter: Wenn selbst eine angesehene internationale Organisation wie Amnesty International in Hongkong nicht überleben könne, sei es für kleinere zivilgesellschaftliche Organisationen nahezu unmöglich, dort noch tätig zu sein. “Das drakonische Gesetz zur nationalen Sicherheit hat in Hongkong mehr als nur eine abschreckende Wirkung.”

Kenneth Roth, Chef der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, nannte Amnestys Rückzug das “jüngste Beispiel für die Zerstörung dessen, was Hongkong einst ausgemacht hat”.

Agnes Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, warnte: “Es stehen schwierige Tage für die Menschenrechte in Hongkong bevor.” Amnesty International werde den Menschen in Hongkong jedoch weiter beistehen. Die Organisation habe sich 40 Jahre lang für den Schutz der Menschenrechte in und aus Hongkong eingesetzt – und beispielsweise zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe beigetragen. (js)