Amnesty warnt vor Technologien zur Migrationskontrolle

Grenzüberwachung in Griechenland
Amnesty kritisiert auch Maßnahmen zur Grenzüberwachung innerhalb der EU. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Weltweit verwenden Staaten immer mehr digitale Technologien zur Grenzüberwachung oder um Asylsuchende zu identifizieren. Dazu zählen beispielsweise Drohnen, Gesichtserkennung und Lügendetektoren. Das geht aus einem neuen Kurzbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hervor. Sie führt Beispiele in der Europäischen Union sowie Großbritannien und Nordamerika an – und zeigt Risiken für die Menschenrechte auf.

Amnesty kritisiert in dem Bericht “Verteidigung der Rechte von Geflüchteten und Migranten im digitalen Zeitalter” beispielsweise den Einsatz von Technologien, um Migration abzuwehren. Die Europäische Union (EU) etwa überwache den Luftraum über dem Mittelmeer mit Drohnen, um Flüchtlingsboote zu identifizieren. Die Positionen würden dann an libysche Behörden übermittelt, damit diese die Boote abfangen können.

Für diese Aufgabe würden die Behörden in Libyen auch Schulungen und Finanzmittel von der EU erhalten. Amnesty kritisiert, dass Geflüchtete nach Libyen gebracht werden, wo ihnen willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen drohen würden.

Flüchtende wählen gefährlichere Routen

Es gebe zudem vermehrt Hinweise darauf, dass Menschen auf der Flucht gefährlichere Routen wählen, um der Überwachung zu entgehen. Eine Untersuchung habe beispielsweise gezeigt, dass die Überwachungsinfrastruktur an der Grenze zwischen dem US-Bundesstaat Arizona und dem mexikanischen Bundesstaat Sonora dazu geführt habe, dass sich Fluchtrouten in schwerer zu durchquerende Gebiete verlagert haben. Das könne auch zu zusätzlichen Todesfällen führen.

Amnesty warnt, die Verlagerung von Grenzkontrollen und Asylverfahren weg von den eigenen Grenzen berge erhebliche Risiken für die Menschenrechte. Die Konsequenz sei häufig, dass Geflüchtete in Ländern festgehalten oder zurückgeschickt werden, in denen sie schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt seien.

Urteil zur deutschen Handydurchsuchung

Erreichen Geflüchtete ein Zielland, sind sie unter Umständen mit weiteren Überwachungstechnologien konfrontiert: Die Menschenrechtler berichten von einem zunehmenden Trend, im Rahmen von Migrationskontrollen Daten von den elektronischen Geräten der Geflüchteten auszulesen.

Die NGO verweist etwa auf die Praxis des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Mobiltelefone von Geflüchteten zu durchsuchen, um ihre Identität und Herkunft zu klären. Vor einem Jahr hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Behörde bei Asylantragstellern ohne Pass Geräte nicht regelmäßig zur Identitätsfeststellung durchsuchen darf – und der Praxis damit klare Grenzen gesetzt. Auch in Großbritannien wurde die pauschale Auswertung von Telefonen im Jahr 2022 für rechtswidrig erklärt.

Ähnliche Gesetze gibt es laut Amnesty auch in Belgien, Dänemark, Norwegen und Österreich. Die Organisation kritisiert, das Auslesen von Geräten bedrohe das Recht auf Privatsphäre ebenso wie das Recht, Asyl zu beantragen. Die Praxis könne die bestehende Stigmatisierung und Diskriminierung noch einmal verstärken – und es sei fraglich, ob die Inhalte auf den Telefonen überhaupt die gewünschten Informationen liefern.

Fußfesseln und biometrische Daten

Einige Staaten würden Überwachungstechnik auch als Alternative zur sogenannten Abschiebehaft einsetzen. So müssen alle Betroffenen in Großbritannien beispielsweise elektronische Fußfesseln tragen, berichtet Amnesty. Dabei stelle sich stets die Frage, ob solche Methoden verhältnismäßig sind – insbesondere, wenn die eingesetzten Technologien weitreichende Auswirkungen auf die Privatsphäre haben.

Zur Identifizierung an Grenzen verwenden Staaten zudem häufig biometrische Daten. Auch humanitäre Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und das UN-Welternährungsprogramm (WFP) haben Datenbanken mit Fingerabdrücken und Iris-Scans aufgebaut, um Mehrfachregistrierungen zu vermeiden.

Amnesty weist auf die Sensibilität von biometrischen Daten hin, weil Personen mithilfe dieser Daten ein Leben lang identifiziert werden können. Insbesondere die zentrale Speicherung solcher Daten berge Risiken: Bei einem Datendiebstahl wäre etwa eine große Anzahl Menschen betroffen. Für Geflüchtete bestehe außerdem die Gefahr, dass diese Daten absichtlich oder versehentlich an Behörden ihres Heimatlandes weitergegeben werden – und dort genutzt werden, um die Betroffenen oder ihre Familienangehörigen zu verfolgen.

Fingerabdruckdatenbank wird ausgebaut

Die EU baut laut dem Bericht ihr Eurodac-System aus, in dem derzeit Fingerabdrücke von Asylsuchenden gespeichert sind. Künftig sollen dort auch Gesichtsbilder hinterlegt werden. Außerdem sollen biometrische Daten von allen Betroffenen genommen werden, die älter als sechs Jahre sind – bisher müssen nur Personen ab 14 Jahren ihre Daten abgegeben. Auch der Zugang zu dieser Datenbank für Strafverfolgungsbehörden soll erleichtert werden.

Amnesty kritisiert darüber hinaus, dass die EU “virtuelle Grenzbeamte” getestet hat. Es handelte sich dabei um ein automatisiertes System zur Befragung von Reisenden. Dabei seien von der Software Gesichtsausdrücke ausgewertet worden, um Lügen zu erkennen und eine Befragung durch Beamte einzuleiten. Medienberichten zufolge wurden ähnliche Systeme auch in den USA und Kanada getestet.

In Kanada sollte ein Algorithmus außerdem erkennen, ob bei Visums- oder Asylanträgen ein Risiko von den Antragstellern ausgehen könnte. Und in den USA hatte die Einwanderungsbehörde ein Programm so modifiziert, dass es immer Abschiebehaft empfohlen hatte.

Asylsuchende, die über die südliche Landesgrenze in die USA einreisen wollen, müssen seit dem vergangenem Jahr eine App nutzen, um einen Termin für ihre Ankunft zu vereinbaren und ihren Asylantrag stellen zu können. Amnesty kritisiert unter anderem, dass dabei Gesichtserkennung zum Einsatz kommt – und die Technik etwa bei Menschen mit dunkler Hautfarbe unzuverlässiger funktioniert, was zu Diskriminierung führen könne. US-Behörden könnten außerdem Standortinformationen über die App sammeln.

Verbot von Emotionserkennung gefordert

Matt Mahmoudi von Amnesty International kritisierte, der Einsatz solcher Technologien berge die Gefahr, dass Diskriminierung und Rassismus fortbestehen und verstärkt werden.

Die Organisation fordert von Staaten weltweit, die Rechte von Geflüchteten zu schützen und auf den Einsatz von Technologien zu verzichten, die im Widerspruch zu den Menschenrechten stehen. Außerdem fordert die Organisation ein Verbot von Techniken zur Emotionserkennung – insbesondere im Kontext von Migration, Asyl und Grenzkontrollen. Auch die automatisierte Risikobewertung und Profilerstellung müsse verboten werden.

Wenn digitale Technologien in diesem Zusammenhang verwendet werden, brauche es Folgeabschätzungen zu Menschenrechten und Datenschutz.

Im vergangenen Jahr hatten bereits Expertinnen von der Universität Essex in einer gemeinsamen Studie mit dem UN-Menschenrechtsbüro den zunehmenden Einsatz von Technologien zur Grenzsicherung kritisiert. Sie hatten ebenfalls gewarnt, biometrische Identifikationssysteme wie Gesichtserkennung könnten Menschenrechtsverletzungen begünstigen. Auch ein Verbot bestimmter Systeme, beispielsweise zur Emotionserkennung, wurde in der Studie gefordert. (js)