Bericht: 2022 wieder mehr tropischer Urwald verloren gegangen

Entwaldung in Brasilien
Elf Fußballfelder tropischer Urwald sind letztes Jahr vernichtet worden – pro Minute. (Quelle: IMAGO / agefotostock)

In den Tropen sind im vergangenen Jahr rund 4,1 Millionen Hektar Urwald zerstört worden. Damit ist Wald mit einer Fläche der Schweiz verloren gegangen, zu einem kleineren Teil durch Brände, hauptsächlich aber durch andere Gründe wie Abholzung.

Somit sind pro Minute Baumbestände von einer Größe von elf Fußballfeldern verschwunden, wie aus einer neuen Berechnung des World Resources Institute (WRI) in Washington hervorgeht, die am Dienstag veröffentlicht wurde.

Die Gesamtfläche des binnen eines Jahres zerstörten tropischen Urwaldes war laut Bericht in den vergangenen 20 Jahren nur 2016, 2017 und 2020 größer. So seien im vergangenen Jahr zehn Prozent mehr tropischer Urwald zerstört worden als 2021, damals waren es rund 3,75 Millionen Hektar.

“Ohne dringende Maßnahmen zur Eindämmung der Baumverluste wird die Welt ihre Klimaziele überschreiten, mehr Arten werden aussterben und die Menschen werden mit verheerenden Folgen rechnen müssen”, warnen die Expertinnen und Experten.

“Es sind nicht nur die Wälder, die die Menschheit in Rekordzeit zerstört, es ist unsere Lebensgrundlage”, sagte Susanne Winter, Programmleiterin Wald bei der Naturschutzorganisation WWF.

Essenziell als CO2-Speicher

Besonders stark sei weiterhin der tropische Wald in Brasilien und in der Demokratischen Republik Kongo betroffen.

Rund 729.000 Quadratkilometer wurden im brasilianischen Amazonasgebiet nach Angaben des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) bis zum Jahr 2020 insgesamt bereits abgeholzt, was 17 Prozent des Ökosystems entspricht.

Das brasilianische Amazonasgebiet gilt als wichtiger CO2-Speicher, erstreckt sich über neun Bundesstaaten und entspricht flächenmäßig der Größe Westeuropas. Es hat eine wichtige Funktion im internationalen Kampf gegen den Klimawandel.

Nach einem früheren Rückgang waren Abholzung und Brände in der Amtszeit des im Oktober abgewählten rechten Präsidenten Jair Bolsonaro wieder sehr stark angestiegen – von 2021 auf 2022 um 15 Prozent. Bolsonaro sah die Region vor allem als ungenutztes wirtschaftliches Potenzial und wollte weitere Flächen für Landwirtschaft und Bergbau erschließen lassen. Die Umwelt- und Kontrollbehörden wurden geschwächt. 2022 erreichte die Abholzung den höchsten Stand seit 2005.

Bolsonaros Nachfolger, der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva, hat versprochen, den Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. So ging die Polizei zuletzt mit einem Großeinsatz gegen illegale Goldsucher in indigenen Gebieten vor. Allerdings schloss Lula auch eine umstrittene Ölbohrung nahe der Mündung des Amazonas-Flusses in den Atlantik nicht aus.

“Grüne Lunge Afrikas”

Nach dem Amazonas-Regenwald ist das Kongobecken das größte verbliebene tropische Waldgebiet – und eines der außergewöhnlichsten Ökosysteme der Welt.

Die sogenannte Lunge Afrikas erstreckt sich von der Demokratischen Republik Kongo bis in die angrenzenden Länder Gabun, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Äquatorialguinea und die Republik Kongo. Laut der Naturschutzorganisation WWF gibt es im Kongobecken rund 10.000 Arten tropischer Pflanzen, von denen knapp ein Drittel nur in dieser Region vorkommen.

Dank dieser vielfältigen, dichten Vegetation gehört der Regenwald des Kongobeckens zu den wichtigsten Kohlenstoffsenken weltweit. Das heißt, der Wald entzieht der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid – laut Wissenschaftlern der Universität Leeds jährlich 1,5 Milliarden Tonnen.

Allerdings werden im Kongobecken große Mengen an Erdöl und Erdgas vermutet. Das plant die kongolesische Regierung angesichts der massiven Wirtschaftsprobleme künftig zu fördern und hat im vergangenen Jahr trotz Protesten von Natur- und Klimaschützern entsprechende Projekte ausgeschrieben. Das Land ist von bewaffneten Konflikten, flächendeckender Armut und Hungersnöten gebeutelt. “Investitionen, um Menschen aus der Armut zu befreien und die Abhängigkeit von einer ressourcenbasierten Wirtschaft zu verringern, sind dringend erforderlich”, mahnt der Bericht.

Misserfolge und Erfolge beim Waldschutz

In Ghana, Bolivien und Angola habe der Verlust des Waldes am stärksten zugenommen, hieß es vom WRI. Kakaoanbau, Goldförderung und Brände haben die Baumverluste in Ghana innerhalb eines Jahres um fast 70 Prozent gesteigert. Der Großteil der Verluste habe sich in Schutzgebieten ereignet. Bolivien erlebte im Jahr 2022 einen Rekordverlust an Primärwald, mit einem Anstieg von 32 Prozent gegenüber dem Niveau von 2021. Haupttreiber der Abholzung ist dort die Landwirtschaft. Infolge des Sojaanbaus seien seit der Jahrhundertwende fast eine Million Hektar Wald abgeholzt worden. Weitere Treiber der Entwaldung waren der Anbau von Zuckerrohr, Mais und Sorghum sowie die Viehzucht. Außerdem waren – teils gelegte – Brände für ein Drittel der vernichteten Bäume in Bolivien verantwortlich.

Länder wie Indonesien und Malaysia hätten den Verlust ihrer Wälder dagegen auf niedrigem Niveau halten können. In Indonesien hätten politische Maßnahmen und Regulierung wie ein Moratorium für Abbaulizenzen für Primärwälder und Torfland, Waldbrandverhütung und -überwachung, Sanierung von Torfböden und Mangroven und Strafverfolgung Wirkung gezeigt. Auch hätte es funktioniert, Unternehmen gesetzlich und auf freiwilliger Basis in die Pflicht zu nehmen.

Costa Rica und China hätten den Waldverlust zumindest stark verringert – um 63 Prozent beziehungsweise 60 Prozent.

Weniger Brände, keine Entwarnung

Weltweit gesehen sei zwar der Baumverlust im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021 um 10 Prozent zurückgegangen, doch sei dies größtenteils auf die mild verlaufene Waldbrandsaison in den Wäldern Russlands nach Rekordverlusten 2021 zurückzuführen. Dort wurden 34 Prozent weniger Bäume als im Vorjahr vernichtet. Der Bericht betont aber, dass es sich um keinen Hinweis auf einen positiven Trend handelt. 2022 verlor Russland dennoch 4,3 Millionen Hektar Baumbestand, wovon 73 Prozent auf Brände zurückzuführen waren und ein deutlich kleinerer, aber dennoch signifikante Teil auf Abholzung.

Generell sei 2022 ein relativ brandarmes Jahr weltweit gewesen; brandbedingte Verluste hätten sich um 28 Prozent verringert gegenüber 2021 – obwohl die Zerstörung in einigen Gebieten immer noch erheblich gewesen sei. Langfristig, seit dem Jahr 2000 betrachtet, sei die Menge feuerbedingter Baumverluste, etwa durch menschliche Aktivitäten und den Klimawandel, weltweit gestiegen.

Waldschutz ist preiswerter Klimaschutz

Mit Hilfe der Plattform Global Forest Watch beobachten zahlreiche Naturschutzorganisationen unter Leitung des WRI seit 2014 unter anderem mit Satellitentechnik Veränderungen von Waldlandschaften weltweit. Das WRI erstellt den darauf basierenden Report jährlich gemeinsam mit Forschenden der Universität Maryland.

Urwald, also vom Menschen weitgehend unberührter Naturwald, hat eine große Bedeutung bei der Erhaltung von Biodiversität und ist bei der Speicherung von Kohlendioxid essentiell wichtig. Die Reduzierung der Baumverluste sei eine der kostengünstigsten landbasierten Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, so der Bericht. Durch die 2022 zerstörte Fläche seien 2,7 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt worden, rechneten die Autorinnen und Autoren der Studie vor. Dies entspreche ungefähr den jährlichen Emissionen durch fossile Brennstoffe in Indien.

Ende 2021 hatten sich 145 Länder auf der UN-Klimakonferenz dazu bereit erklärt, die Entwaldung weltweit bis zum Jahr 2030 zu stoppen. Aktuell läuft der Trend aber in die entgegengesetzte Richtung. 2022 seien mehr als eine Million Hektar Wald zu viel vernichtet worden, um das Ziel zu erreichen. Laut Bericht sei es aber noch nicht zu spät, das Waldsterben weltweit aufzuhalten – die Entwaldung müsse sich jedes Jahr um 10 Prozent verringern. (dpa / hcz)