BGH: Netzsperren nur als allerletztes Mittel erlaubt
Bei Urheberrechtsverletzungen im Internet dürfen Rechteinhaber Netzsperren verlangen – aber nur, wenn sie zuvor alle zumutbaren Mittel ausgeschöpft haben. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am heutigen Donnerstag entschieden.
Der BGH konkretisierte in seinem Urteil die Maßnahmen, die Rechteinhaber vor einer Netzsperre ergreifen müssen. “Eine Sperrung ist das letzte Mittel”, betonte der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch bei der Urteilsverkündung.
Damit waren die klagenden Wissenschaftsverlage mit ihrer Revision in einem Verfahren gegen die Deutsche Telekom erfolglos. Die Verlage aus Deutschland, den USA und Großbritannien hatten eine Sperre der Internetseiten von “LibGen” und “Sci-Hub” verlangt, weil dort Artikel und Bücher ohne Zustimmung der Rechteinhaber veröffentlicht würden. Grundsätzlich ermöglicht das Telemediengesetz Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen, wenn sie “zumutbar und verhältnismäßig” sind.
OLG wies Klage zurück
Das Oberlandesgericht (OLG) München hatte die Klage im vergangenen Jahr abgewiesen: Die Verlage hätten sich zunächst an den in Schweden ansässigen Host-Provider wenden müssen, der die Server für die beiden Dienste bereitstellt.
Der BGH folgte dieser Entscheidung nun, monierte aber zugleich, das Urteil des OLG sei nicht frei von Rechtsfehlern. Denn das Gericht habe offen gelassen, ob die Klägerinnen in Schweden ihren Anspruch gegen den dort ansässigen Host-Provider über einen einstweiligen Rechtsschutz hätten geltend machen können. Dem BGH zufolge dürfen den Rechteinhabern keine Maßnahmen auferlegt werden, die zu einer unzumutbaren zeitlichen Verzögerung der Anspruchsdurchsetzung führen. Welche Anstrengungen zumutbar sind, sei eine Frage des Einzelfalls.
Die Verlage hätten aber zumindest vor einem deutschen Gericht versuchen müssen, mit einer einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen, um so herauszufinden, wer für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist. Bei einem in der EU ansässigen Betreiber sei dies grundsätzlich zumutbar.
BGH hatte bereits früher zu Netzsperren geurteilt
Der BGH blieb damit auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung: Im Jahr 2015 hatte der Gerichtshof entschieden, dass Internetzugangs-Provider nur in engen Grenzen zur Sperrung von illegalen Webseiten verpflichtet werden können – wenn die Rechteinhaber alles unternommen haben, um gegen die Urheberrechtsverletzung vorzugehen. In dem damals verhandelten Fall hatten die Rechteinhaber eine einstweilige Verfügung erwirkt, die aber nicht zugestellt werden konnte. Nach Auffassung des Gerichtshofs hätten sie aber weitere Nachforschungen anstellen müssen.
Bei der Verhandlung vor dem BGH im Juni hatte der Anwalt der Verlage argumentiert: “Die Verletzer sind nicht greifbar.” Sie würden sich auch bei einer mit beträchtlichen Kosten verbundenen Ausschöpfung der Rechtswege und nach vielen überflüssigen Korrespondenzen allen Maßnahmen der Vollstreckung entziehen. Der Telekom-Anwalt hatte dagegen darauf verwiesen, dass mit DNS-Sperren die Verbreitung von Inhalten nicht unterbunden werden könne. Auch habe der Anbieter des Internetzugangs keinen Einblick in die Inhalte der Webseiten.
Netzsperren sind höchst umstritten. Denn sie verletzen den Grundsatz der Netzneutralität, wonach alle Daten im Internet gleichbehandelt werden müssen – unabhängig von Inhalt, Absender oder Empfänger. Es besteht auch das Risiko von sogenanntem Overblocking, also das auch legale Inhalte nicht mehr zugänglich sind. Zudem lassen sich die Sperren mit einfachen Mitteln umgehen, weshalb sie auch als untaugliches Mittel gelten. (dpa / js)