US-Justizministerium spricht sich gegen Immunität für NSO aus
Aus Sicht des US-amerikanischen Justizministeriums kann der Spionagesoftwareanbieter NSO keine Immunität vor US-Gerichten für sich beanspruchen. Das geht aus einer Stellungnahme des Ministeriums an den US-amerikanischen Supreme Court hervor. Hintergrund ist eine Klage von WhatsApp und dessen Mutterkonzern Meta gegen die israelische Firma.
Um das Verfahren abzuwenden, argumentiert NSO damit, das Unternehmen verkaufe Technologien zur Strafverfolgung an staatliche Behörden. NSO sei daher Vertreter ausländischer Regierungen und sollte Anspruch auf Immunität nach US-Recht haben. Nachdem zwei Vorinstanzen NSO die Immunität bereits abgesprochen hatten, hat die Firma einen Berufungsantrag beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten gestellt – über die Annahme der Berufung hat das Gericht noch nicht entschieden.
In seiner Stellungnahme schreibt das US-Justizministerium nun, die vorausgegangenen Entscheidungen seien richtig gewesen. Unabhängig von der Frage, ob eine Immunität für Organisationen, die im Auftrag von Staaten handeln, angemessen sei, habe NSO im vorliegenden Fall “eindeutig keinen Anspruch auf Immunität”. Der Berufungsantrag des Unternehmens solle daher vom Supreme Court abgelehnt werden.
Das US-Außenministerium habe zudem keine Immunität für den Anbieter beantragt. Auch habe bisher kein anderer Staat den Anspruch von NSO auf Immunität unterstützt. Nicht einmal NSO selbst habe die Länder genannt, in deren Auftrag das Unternehmen vorgebe zu handeln.
US-Sanktionen gegen NSO
Zudem verweist das Justizministerium darauf, dass die US-Regierung bereits vor einem Jahr Sanktionen gegen NSO verhängt hat: Das US-Handelsministerium hatte die israelische Firma im November 2021 in die sogenannte Entity List aufgenommen, weil ihre Aktivitäten “den nationalen Sicherheits- oder außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten zuwiderlaufen”. Ohne eine Sondergenehmigung ist es US-Unternehmen verboten, bestimmte Technologien an Firmen auf dieser Liste zu verkaufen.
Laut dem Handelsministerium gibt es Beweise dafür, dass NSO Spionagesoftware entwickelt und an ausländische Regierungen geliefert hat. Diese Programme seien zur böswilligen Überwachung von Regierungsbeamten, Journalisten, Geschäftsleuten, Aktivisten, Wissenschaftlern und Botschaftsmitarbeitern eingesetzt worden. Autoritäre Regierungen hätten mit der Software auch Dissidenten außerhalb ihres Hoheitsgebietes ins Visier genommen, um abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Klage aus dem Jahr 2019
Hintergrund der Stellungnahme ist eine Klage von WhatsApp und der Muttergesellschaft Meta gegen NSO aus dem Jahr 2019: Meta wirft dem Unternehmen vor, an Angriffen auf 1400 WhatsApp-Nutzer beteiligt gewesen zu sein. Unter den Zielpersonen seien Journalisten, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
NSO hatte demnach eine damals bestehende Sicherheitslücke in der Anruffunktion von WhatsApp ausgenutzt, um seine umstrittene Spionagesoftware Pegasus in Smartphones einzuschleusen. Das angerufene Gerät wurde auch dann infiltriert, wenn der Anruf nicht angenommen wurde. Für diese Angriffe seien Server genutzt worden, die mit NSO in Verbindung stehen. Zudem konnte WhatsApp mehrere für die Attacken genutzte Benutzerkonten dem israelischen Unternehmen zuordnen.
Meta argumentiert, NSO habe gegen US-Gesetze wie den “Computer Fraud and Abuse Act”, sowie gegen die WhatsApp-Nutzungsbedingungen verstoßen. Daher fordert der Konzern Schadensersatz und möchte NSO unter anderem untersagen lassen, Konten bei WhatsApp oder Facebook anzulegen. NSO hingegen strebt eine Abweisung des Verfahrens an und beansprucht Immunität für sich.
Vorinstanzen folgen Argumentation von NSO nicht
Im Juli 2020 hatte ein US-Gericht NSO die Immunität jedoch abgesprochen; im November 2021 hielt auch ein Berufungsgericht die Entscheidung aufrecht. Im Urteil hieß es, es sei ein “einfacher Fall”: NSO sei eine private Firma. Der Einsatzzweck für die Überwachungstechnologie mache die Firma nicht zur Vertretung einer ausländischen Regierung.
Daraufhin hatte NSO im April 2022 beim Obersten Gerichtshof der USA einen Berufungsantrag gestellt – und weiterhin argumentiert, das Unternehmen sollte Immunität genießen. Ein WhatsApp-Sprecher hatte damals kommentiert: “Zwei Gerichte in den Vereinigten Staaten haben bereits NSOs konstruierten Antrag auf Immunität abgelehnt. Wir glauben, es gibt für den Obersten Gerichtshof keinen Grund, ihren letzten Versuch, sich der Rechenschaftspflicht zu entziehen, anzuhören.”
Der Oberste Gerichtshof hatte das US-Justizministerium im Sommer um Stellungnahme in dem Fall gebeten.
Die Bürgerrechtsorganisation Access Now begrüßte die nun veröffentlichte Stellungnahme am Dienstag und forderte den Supreme Court auf, den Antrag von NSO abzulehnen. Die Stellungnahme des Justizministeriums und die Sanktionen seien ein klares Zeichen, das Anbieter von Spähsoftware zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Menschenrechte verletzen.
Der Sicherheitsforscher John Scott-Railton vom Citizen Lab an der Universität Toronto, das wiederholt den Missbrauch von Pegasus aufgedeckt hat, nannte die Stellungnahme des Justizministeriums einen “schweren Schlag” für NSO.
David Kaye, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, sprach von “großen Neuigkeiten”. Die Entscheidung liege nun beim Gericht, aber es handle sich um eine bedeutende Zurückweisung der Argumente von NSO.
Verbot von Spähsoftware gefordert
Kaye hatte erst kürzlich vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament ein Verbot von Spähsoftware gefordert. Der Experte erklärte, er habe ernsthafte Zweifel, dass Überwachungstechnologien mit den Fähigkeiten von Pegasus jemals den Anforderungen der internationalen Menschenrechtsabkommen genügen können – ihr Einsatz sollte daher als rechtswidrig angesehen werden.
NSO und die Spionagesoftware Pegasus stehen schon lange in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen. So soll die Spähsoftware auch im Fall des ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Kashoggi eine Rolle gespielt haben. Im Sommer 2021 hatte zudem ein internationales Recherchekonsortium aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden.
Seitdem sind Dutzende weitere Fälle bekannt geworden: So wurden unter anderem Journalisten und Aktivisten in El Salvador ausgespäht, Menschenrechtler in Jordanien, Oppositionelle in Polen – und Mitarbeiter des US-Außenministeriums in Uganda.
Organisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen sowie UN-Menschenrechtsexperten fordern seit längerem ein weltweites Moratorium für den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungstechnologien.
In den USA klagt auch Apple gegen NSO. Ziel dieser Klage ist es, NSO für die Überwachung und die gezielten Angriffe auf Apple-Nutzerinnen und -Nutzer zur Verantwortung zu ziehen. (js)