Clearview schränkt Verkauf von Gesichtserkennung in den USA ein
Clearview AI hat zugestimmt, seine Gesichtserkennungsdatenbank in den USA nicht an Unternehmen zu verkaufen. Im US-Bundesstaat Illinois wird Clearview sie zudem vorerst auch Strafverfolgungsbehörden nicht mehr anbieten. Das hat das umstrittene Unternehmen mit der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) vereinbart, die gegen die Firma geklagt hatte. Der Vergleich muss noch von einem Gericht in Illinois bestätigt werden. Das US-amerikanische Unternehmen sammelt Fotos von Menschen im Internet und soll inzwischen eine Gesichtserkennungsdatenbank mit mehreren Milliarden Einträgen zusammengestellt haben.
Laut dem am Montag veröffentlichten Vergleich, hat Clearview zugestimmt, Unternehmen und anderen privaten Einrichtungen in den USA keinen Zugang zu der Gesichtserkennungsdatenbank zu gewähren. Das betrifft sowohl kostenpflichtige als auch kostenlose Zugänge.
Nur in wenigen Ausnahmen soll dies weiter möglich sein, die der Biometric Information Privacy Act vorsieht – ein Datenschutzgesetz des US-Bundesstaates Illinois. Wie die New York Times berichtet, betrifft dies Banken und andere Finanzinstitute. In Illinois selbst kann sich Clearview in den nächsten fünf Jahren allerdings nicht auf diese Ausnahmen berufen.
Vorübergehend kein Zugang für Strafverfolger
Außerdem darf Clearview fünf Jahre lang nicht mit Behörden in Illinois zusammenarbeiten – auch nicht mit Strafverfolgern. Das Unternehmen stellt zudem in den USA einzelnen Polizeibeamten keine kostenlosen Testzugänge mehr zur Verfügung, ohne dass deren Vorgesetzte zustimmen. Der US-Rechnungshof hatte im vergangenen Jahr festgestellt, dass Behörden aufgrund solcher Testangebote teils keinen Überblick hatten, welche nicht-staatlichen Gesichtserkennungsdatenbanken ihre Beamten einsetzen.
Bürgerinnen und Bürgern von Illinois muss Clearview außerdem ermöglichen, ihre Daten aus den Suchergebnissen entfernen zu lassen. Sie können zu diesem Zweck ein Foto über ein Online-Formular hochladen – dem Unternehmen ist es untersagt, diese Bilder für andere Zwecke zu nutzen. Den “Opt-Out-Mechanismus” muss Clearview mit Online-Anzeigen im Wert von 50.000 US-Dollar bewerben.
Bürgerrechtler hatten geklagt
Mit dem Vergleich wird ein zweijähriger Rechtsstreit beigelegt: Die ACLU und weitere Organisationen hatten Clearview vorgeworfen, gegen den Biometric Information Privacy Act zu verstoßen – und deshalb im Mai 2020 gemeinsam Klage gegen das Unternehmen in Illinois eingereicht. Das Gesetz verbietet das Sammeln biometrischer Daten ohne Einverständnis der Betroffenen.
Biometrische Daten sind besonders sensibel, da sie sich nicht verändern lassen. Personen können ein Leben lang über sie identifiziert werden. Die Organisationen hatten argumentiert, die Gesichtserkennung gefährde insbesondere Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt sowie Einwanderer ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Das System sei sogar “lebensbedrohlich” – denn es könne von Gewalttätern genutzt werden, um ihre Opfer zu verfolgen. Auch die Einwanderungsbehörde könne die Software verwenden, um Personen zu finden.
Linda Xóchitl Tortolero von der Organisation Mujeres Latinas en Acción nannte die Einigung einen “großen Sieg” für schutzbedürftige Menschen.
Nathan Freed Wessler von der ACLU kommentierte: “Indem Clearview verpflichtet wird, das wegweisende biometrische Datenschutzgesetz von Illinois nicht nur in diesem Bundesstaat, sondern im ganzen Land einzuhalten, zeigt dieser Vergleich, dass starke Datenschutzgesetze einen echten Schutz vor Missbrauch bieten können.” Clearview könne die biometrischen Daten nun nicht mehr uneingeschränkt als “Profitquelle behandeln”. Er forderte außerdem, andere Bundesstaaten sollten biometrische Daten ebenfalls gesetzlich schützen.
Clearview war im Jahr 2020 durch eine Recherche der New York Times in den Fokus der Öffentlichkeit geraten: Clearview sammelt automatisiert öffentlich zugängliche Bilder in den sozialen Medien und auf Internetseiten und hat so eine umfassende Datenbank zur Gesichtserkennung aufgebaut. Nach eigenen Angaben befinden sich darin inzwischen mehr als 10 Milliarden Bilder.
Der Anwalt des Unternehmens sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, die Einigung erfordere keine wesentliche Änderung des Geschäftsmodells. Denn nach eigenen Angaben verkauft das Unternehmen seine Software nur an Strafverfolgungsbehörden. Allerdings hatte die New York Times damals berichtet, auch private Unternehmen setzten sie ein. Die Nachrichtenseite Buzzfeed News hatte im Jahr 2020 ebenfalls berichtet, Firmen wie Walmart hätten die Software genutzt.
Die Washington Post hatte im Februar zudem über eine an Investoren gerichtete Unternehmenspräsentation berichtet: Demnach hatte Clearview geplant, die Datenbank gezielt an Konzerne der sogenannten Gig Economy zu vermarkten. Außerdem sollte sich die Anzahl der gesammelten Gesichtsbilder innerhalb eines Jahres auf 100 Milliarden erhöhen. Das Unternehmen behauptet, so ließe sich “fast jeder Mensch auf der Welt” identifizieren.
Clearview muss Strafen bezahlen
Auch in anderen Ländern steht das Unternehmen unter Druck: Im März hatte die italienische Datenschutzbehörde eine Strafe in Höhe von 20 Millionen Euro gegen Clearview verhängt, weil die Firma Daten ohne Rechtsgrundlage verarbeitet hat. Bereits im November hatte die britische Datenschutzbehörde eine vorläufige Strafe von umgerechnet ebenfalls 20 Millionen Euro verhängt. Bis Mitte 2022 soll in Großbritannien eine endgültige Entscheidung fallen. Und im Dezember hatte die französische Datenschutzbehörde das Unternehmen angewiesen, alle gespeicherten Daten von Einwohnern Frankreichs zu löschen.
Kanadische Datenschutzbehörden hatten Ende vergangenen Jahres ebenfalls verfügt, das Unternehmen müsse alle Daten löschen, die von Bewohnerinnen und Bewohnern aus drei Provinzen erhoben wurden. Zuvor hatte die australische Datenschutzbehörde einen Verstoß von Clearview gegen die Privatsphäre festgestellt – und die Datenlöschung angeordnet. In den USA sind zudem noch weitere Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen anhängig. (js)