Dokumente decken Amazons Überwachungssystem auf

Amazon-Lagerhaus
Amazon möchte wissen, was die Lagermitarbeiter umtreibt. (Quelle: Álvaro Ibáñez – CC BY 2.0)

Der Online-Händler Amazon.com überwacht seine Angestellten in großem Umfang, wie die IT-Nachrichtenseite Motherboard unter Berufung auf interne E-Mails aus Amazons Sicherheitsabteilung berichtet. Hierfür habe Amazon sogar bei der berüchtigten Spionage-Agentur Pinkerton Detektive angeheuert. Die Unterlagen belegen außerdem, dass der Konzern systematisch Gewerkschaftstreffen sowie Umweltschutz- und Sozialbewegungen wie Fridays For Future oder Greenpeace ins Visier nimmt – auch wenn diese keinen direkten Bezug zum Unternehmen haben. Amazon hat die Echtheit der Unterlagen bestätigt.

Die 2019 verfassten Schreiben stammen von Analysten des sogenannten “Global Security Center”. Die Sicherheitsabteilung ist zuständig für den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Partner und Anlagen in den firmeneigenen Niederlassungen.

Laut Motherboard bieten die Dokumente “einen beispiellosen Einblick in den internen Sicherheits- und Überwachungsapparat eines Unternehmens, das energisch versucht hat, Dissens mit den Mitarbeitern zu unterbinden”.

Protokollierung von Gewerkschaftsaktivitäten

Die internen E-Mails beinhalten Informationen über Gewerkschaftsaktivitäten und Berufsgenossenschaften in den weltweiten Lagerhäusern des Konzerns. Unter anderem wird die exakte Zeit, der Ort, die Anzahl der Teilnehmer und die Quelle der Information erwähnt. Auch die Art der Aktion wird benannt, wie “Streik” oder “die Verteilung von Flugblättern”. Beschrieben wird beispielsweise der Streik in einem Amazon-Lager in Leipzig am 28. Februar 2020. Laut der Mails nahmen 339 Mitarbeiter an dem Streik teil.

Die Mitarbeiter des Sicherheitscenters haben ein Auge darauf, welche Unzufriedenheiten bei den Angestellten bestehen, wie beispielsweise übermäßige Arbeitsbelastung. Um an diese Informationen zu gelangen, erstellen sie auch Social-Media-Accounts mit falschen Angaben und ohne Fotos. Über diese Accounts werden laut Motherboard ganze Unterhaltungen der Angestellten auf Social-Media-Kanälen mitgelesen.

Diebstähle der Arbeitnehmer werden systematisch dokumentiert – laut Motherboard wird von einer Flasche Tequila bis hin zu Smartwatches im Wert von 15.000 US-Dollar alles erfasst.

Umweltschutzorganisationen als Feind

Die Berichte dokumentieren außerdem, dass Amazons Sicherheitsteam auch soziale Netzwerke nutzt, um Umweltschutzaktivisten und andere soziale Bewegungen in Europa zu beobachten. Zu den Organisationen zählen außer Greenpeace und Fridays For Future auch die Gelbwesten in Frankreich.

Laut Motherboard werden diese Gruppen als Bedrohung für die Aktivitäten des Unternehmens angesehen. Der erklärte Zweck eines der internen Dokumente bestehe darin, “potenzielle Risiken und Gefahren hervorzuheben, die sich auf den Betrieb von Amazon auswirken können”. Die Überwachung finde besonders intensiv während der “Hochsaison” zwischen dem sogenannten Black Friday Ende November und Weihnachten statt.

Zusammenarbeit mit Privatdetektiven

In Polen hat Amazon Privatdetektive der US-Agentur Pinkerton angeheuert, um verdeckte Untersuchungen in einem Lagerhaus in Breslau durchzuführen. Sie wurden in das vom Vertragspartner ADECCO betriebene Lagerhaus eingeschleust (“inserted”).

Pinkerton ist unter anderem dafür bekannt, Ende des 19. Jahrhunderts US-amerikanische Gewerkschaften infiltriert zu haben. Betreiber von Fabriken hatten damals die Agentur engagiert, um Streiks der Belegschaft zu brechen. Heute gehört sie zur schwedischen Sicherheitsfirma Securitas AB.

Die Unternehmenssprecherin Lisa Levandowski bestätigte die Zusammenarbeit mit Pinkerton gegenüber Motherboard und kommentierte: “Wir nutzen unsere Partner nicht, um Informationen über Lagerarbeiter zu sammeln.”

Christy Hoffman, Generalsekretär des globalen Gewerkschaftsverband UNI Global Union, hält dagegen: “Es reicht Amazon nicht aus, seine marktbeherrschende Macht zu missbrauchen […]. Jetzt exportieren sie amerikanische gewerkschaftsfeindliche Taktiken des 19. Jahrhunderts nach Europa.” Seit Jahren würden die Leute Big-Tech-Bosse mit Raubrittern des 19. Jahrhunderts vergleichen. Und jetzt, da Amazon-CEO Jeff Bezos die Pinkertons für seine Drecksarbeit verwende, stelle er selbst diese Verbindung sogar her.

Die Überwachung beschränkt sich nicht nur auf die Aktivitäten im eigenen Unternehmen. Amazon untersucht auch die Umgebungen seiner Niederlassungen. So wird unter anderem die Kriminalität unter die Lupe genommen. Als Beispiel nennt Motherboard den Drogenhandel. Amazons Sicherheitsdienst untersucht dabei auch, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die eigenen Angestellten am jeweiligen Standort Drogen konsumieren werden.

Gewerkschaften wehren sich

Nachdem es Ende September in den USA bereits zu ähnlichen Enthüllungen über die Bespitzelung von Amazon-Mitarbeitern gekommen war, hatten Gewerkschafts-Vertreterinnen und Vertreter aus 15 europäischen Ländern in einem gemeinsamen Schreiben an die EU-Kommission gegen die Überwachung protestiert. In dem Brief, der auch von der deutschen Verdi unterzeichnet wurde, wird die Kommission aufgefordert, “eine Untersuchung über möglicherweise illegale Tätigkeiten von Amazon gegen Beschäftigte dieses Unternehmens in Europa” einzuleiten.

Die von Amazon geplante Intensivierung der Arbeitnehmer-Überwachung in Europa und in der ganzen Welt sei laut Brief ein weiterer Beleg dafür, dass die EU-Einrichtungen die Geschäfts- und Arbeitsplatzpraktiken von Amazon auf dem ganzen Kontinent genauer untersuchen müssten. (hcz)