EU-Parlament stimmt für mehr erneuerbare Energien

Windrad
Die EU-Staaten streben bislang weniger ambitionierte Ziele für erneuerbare Energien an als das Parlament. (Quelle: IMAGO / Jochen Tack)

Das Europaparlament hat sich für ambitioniertere Ziele beim Ausbau von erneuerbaren Energien wie Wind-, Solar- oder Wasserkraft ausgesprochen. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Mittwoch in Straßburg für eine Gesetzesvorlage, die vorsieht, bis 2030 insgesamt 45 Prozent der Energie in der EU aus erneuerbaren Quellen stammen soll – statt wie bisher vorgesehen 40 Prozent.

Dieses Vorhaben wird auch von der EU-Kommission im Rahmen ihres “RepowerEU”-Pakets unterstützt, das zum Ziel hat, die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen bis 2030 zu beenden.

Die Richtlinie sieht auch Unterziele für Branchen wie Verkehr, Gebäude und Fernwärme vor. Beispielsweise sollen die Treibhausgasemissionen im Verkehr um 16 Prozent sinken. Hierzu wird eine aus erneuerbaren Quellen gestützte Elektrifizierung als am effizientesten angesehen. Aber auch Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe wie Wasserstoff sollen vermehrt eingesetzt werden. Ob diese Energieträger effektiv zum Klimaschutz beitragen können, ist allerdings höchst umstritten. Holz soll vorerst weiterhin als Ersatz für fossile Brennstoffe bei der Strom- und Wärmeerzeugung dienen. Die Industrie soll ihre Nutzung erneuerbarer Energien um 1,9 Prozentpunkte pro Jahr steigern, die Fernwärmenetze um 2,3 Prozentpunkte.

Der Deutsche Naturzschutzring (DNR) sieht den Beschluss als die “Grundlage für die bevorstehenden UN-Klimakonferenz in Ägypten” Anfang November. “Das EU-Parlament hat heute deutlich gemacht, dass die einzig sinnvolle Antwort auf die gegenwärtige Energiekrise lautet, die Energiewende weiter zu beschleunigen, fossile Abhängigkeiten noch schneller zu beenden und die Energieeffizienz drastisch zu erhöhen”, schrieb die Organisation am Mittwoch.

Greenpeace wertet die Parlamentsentscheidung hingegen als verpasste Chance, “ein großes Schlupfloch in der europäischen Klimabilanz zu stopfen”.

Uneinigkeit mit EU-Rat

Die EU-Staaten hatten sich noch im Juni eigentlich darauf geeinigt, das bisherige Ziel von 40 Prozent beizubehalten. Der Rat stehe nun allein da, stellte der DNR fest, “mit seiner bisherigen Weigerung, die Energiewende deutlich anzukurbeln”. Das Parlament und die EU-Staaten müssen nun über das Gesetz verhandeln, bevor es in Kraft treten kann. Eine Einigung wird noch in in diesem Jahr erwartet.

Das Ziel zum Ausbau erneuerbarer Energien ist in der sogenannten Erneuerbare-Energien-Richtlinie festgelegt. Umsetzen sollen die EU-Länder sie durch nationale Maßnahmen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge kommen momentan 22 Prozent der verbrauchten Energie in der EU aus erneuerbaren Quellen, in Deutschland sind es nur 19 Prozent.

Holz soll weiter verfeuert werden

Die Abgeordneten stimmten unter anderem dafür, dass Biomasse etwa aus Holz weiterhin als erneuerbare Energiequelle gilt – und auf die Zielwerte angerechnet wird. Allerdings sieht die neue Richtlinie vor, die Menge zu deckeln und staatliche Förderung dafür bis 2030 auslaufen zu lassen.

Umweltorganisationen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren, dass für das Verbrennen von Holz Wälder gerodet werden und viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) entsteht, das sonst von den Bäumen gebunden würde. Greenpeace kritisierte: “Der bis 2030 angestrebte Ausstieg aus der Holzverbrennung kommt für das Klima und die schon jetzt unter der Klimakrise leidenden Wald-Ökosysteme viel zu spät.” Minister Habeck müsse nun in Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen, indem er der Holzverbrennung klare Grenzen setzt.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), nannte es ein “fatales Signal für den Umwelt- und Klimaschutz und die Transformation des Energiesektors”, das Verbrennen von Holz weiterhin unter erneuerbare Energie zu fassen. Der internationale Raubbau werde nicht durch die “vage” Obergrenze für den Anteil der Waldholzverbrennung am Energieverbrauch gestoppt. Der industriellen Holzverfeuerung bleibe weiterhin “Tür und Tor geöffnet”, so Müller-Kraenner.

Zwar begrüßte die Umweltschutzorganisation NABU das nun beschlossene Ende der Unterstützung für die Holzverbrennung als richtige Entscheidung. “Dieses Vorhaben wird allerdings durch riesige Schlupflöcher untergraben”, so NABU. Nach wie vor könne die Holzverbrennung bei reinen Strom-Kraftwerken gefördert werden, die nicht auf Kraft-Wärme-Kopplung umgerüstet werden können.

Dass die Holzverbrennung bis zu einer Obergrenze weiterhin auf die Ziele für erneuerbare Energien angerechnet werden soll, stehe im direkten Widerspruch zur Empfehlung des Umweltausschusses des EU-Parlaments vom Mai. “Das Parlament muss sich fragen lassen, ob es mit solchen Entscheidungen Klimakrise und Artensterben weiter befeuern will”, schrieb NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.

In einem an die Regierungen gerichteten offenen Brief hatten vergangenes Jahr mehrere Hundert Wissenschaftler aus aller Welt dazu aufgerufen, fossile Brennstoffe nicht mit Bäumen als Brennmaterial zu ersetzen. “In den letzten Jahren gab es einen fehlgeleiteten Schritt, ganze Bäume zu fällen oder große Teile von Stammholz für Bioenergie abzuzweigen, wodurch Kohlenstoff freigesetzt wird, der sonst in den Wäldern eingeschlossen bleiben würde”, erklärten die Verfasser.

Staatliche Subventionen für die Verbrennung von Holz sollten gestoppt werden und stattdessen für die Umstellung auf Sonnen- und Windenergie genutzt werden. Kontroversen um die aktuelle Parlamentsabstimmung nahmen die Briefautoren damals vorweg: “Die Europäische Union muss aufhören, die Verbrennung von Biomasse in ihren Standards für erneuerbare Energien und in ihrem Emissionshandelssystem als CO2-neutral zu behandeln.”

Nahrung im Tank

Ebenso gibt die neue Richtlinie weiterhin Anreize für den Anbau von Energiepflanzen zur Herstellung von Treibstoffen. In Verbrennerfahrzeugen sollen laut Richtlinie verstärkt als erneuerbar deklarierte Kraftstoffe eingesetzt werden. Dazu zählen auch Kraftstoffe aus Agrarprodukten.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, schrieb dazu am Mittwoch: “Die Abgeordneten haben heute die Chance vertan, den fatalen Irrweg der Verbrennung von Lebensmitteln im Tank als Agrosprit endlich zu beenden. Für den größten bislang noch […] geförderten Klimakiller unter den Agrosprit-Rohstoffen – Soja – stoppen die Parlamentarier zwar die Förderung. Indem sie aber ermöglichen, den bisherigen Soja-Teil zukünftig durch andere Nahrungsmittel wie Mais, Weizen oder Rapsöl ersetzen zu lassen, ignorieren sie die wissenschaftlich belegten ”https://posteo.de/news/umweltverb%C3%A4nde-palm%C3%B6l-diesel-verursacht-millionen-tonnen-treibhausgase" target="_blank">katastrophalen Auswirkungen aller Agrokraftstoffe.

Resch bezeichnete Agrokraftstoffe als Katastrophe für die Nahrungsmittelsicherheit, das Klima und die Biodiversität. “Wir fordern deshalb die Bundesregierung dazu auf, sich im Trilog dafür stark zu machen, die Anrechenbarkeit von Agrosprit im Rahmen der Erneuerbare-Energie-Richtlinie endlich europaweit zu beenden.”

Auch Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik beim NABU, kritisierte, dass weiterhin große Mengen Biomasse in Tanks von Autos und Lkw landen sollen. Das hätte “fatale Folgen” für Klima und Biodiversität. Als “Lichtblick” bezeichnet NABU die Entscheidung, Palmöl und Soja nicht mehr auf die Quoten für Erneuerbare Energien anzurechnen. Diese beiden Importprodukte seien bisher für großflächige Entwaldung in besonders artenreichen Regionen der Welt verantwortlich.

Zudem wirke sich der Einsatz von Nahrungs- und Futtermitteln wie Getreide oder Pflanzenölen als Kraftstoffe “schwerwiegend” auf die Welternährungslage aus. Der NABU hatte gefordert, nur noch Biokraftstoffe zu fördern, die gegenüber fossilen Kraftstoffen mindestens 50 Prozent der Treibhausgase einsparen.

Grüner Wasserstoff und Energieeffizienz

Umstritten unter den Abgeordneten war auch, wann Wasserstoff als “grün” gilt. Wasserstoff kann klimafreundlich erzeugt werden, wenn der Strom für die Synthetisierung aus erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind produziert wurde. Die Abgeordneten einigten sich auf flexiblere Kriterien für “grünen” Wasserstoff als die Kommission, etwa soll auch anderer Strom für die Produktion genutzt werden, wenn kein erneuerbarer verfügbar ist.

Separat stimmten die Parlamentarier über Energieeffizienz-Ziele ab. Der Energieverbrauch soll nach ihrem Willen bis Ende des Jahrzehnts um mindestens 14,5 Prozent gesenkt werden, statt wie bisher vorgesehen um 9 Prozent im Vergleich zu 2020. Auch hier wollen die Staaten bei dem niedrigeren Ziel bleiben.

Angesichts der Schlupflöcher forderten die Umweltschutzorganisationen die deutsche Regierung auf, Nachschärfungen in den Verhandlungen zu bewirken. “Jetzt muss Wirtschaftsminister Habeck mit seinen europäischen Kolleg*innen im Energierat nachziehen, damit der bestehende Rückenwind nicht auf den letzten Metern zur Flaute verkommt”, schrieb DNR-Geschäftsführer Florian Schöne.

Der NABU erklärte, die EU und die Bundesregierung sollten “schnellstmöglich die Anrechenbarkeit von Biokraftstoffen beenden und klimafreundliche Technologien, insbesondere die Elektromobilität, wesentlich stärker als bisher unterstützen”.

Die DUH forderte die Bundesregierung auf, “Fehlentscheidungen” des EU-Parlaments bei den anstehenden Trilog-Verhandlungen zu korrigieren. (dpa / hcz)