EU ringt um neue Klimaziele

Vertrocknetes Feld
Die Landwirtschaft ist hierzulande einer der größten CO2-Emittenten, leidet aber gleichzeitig unter den zunehmenden Dürresommern. (Quelle: imago images / Countrypixel)

Vor fünf Jahren hatte sich die EU im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Nun müssen Taten folgen und die bisherigen Klimaziele nachgeschärft werden. Das will die EU auf dem heutigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs erreichen. Einfach wird es nicht.

Bis zum Jahr 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 – diesen Vorschlag der EU-Kommission greift der Entwurf der Gipfelerklärung auf, der bereits der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die 55 Prozent sollen jetzt abgesegnet und später im EU-Klimagesetz festgeschrieben werden. Die EU will ihre neuen Klimaziele bis zum Jahresende außerdem verbindlich den Vereinten Nationen melden. Bisher ist dort ein Ziel von minus 40 Prozent hinterlegt. Zur geplanten Umsetzung heißt es: “Das Ziel wird von der EU kollektiv auf die Art und Weise erreicht, die am kosteneffizientesten ist.”

Ein Kraftakt

Dass das neue Klimaziel erreichbar ist, hat die EU-Kommission bereits bestätigt. Aber es wäre ein gewaltiger Kraftakt: So müsste der Anteil Erneuerbarer Energien am gesamten Verbrauch bis 2030 nicht nur auf 32 Prozent steigen, sondern auf 38 bis 40 Prozent. Bei der Energieeffizienz soll die bisherige Zielmarke von 32,5 auf 36 bis 39 Prozent erhöht werden. In den Umbau der Energieversorgung und -nutzung müssten jährlich 350 Milliarden Euro mehr investiert werden, im Vergleich zu den Werten der vergangenen zehn Jahre.

Was das für Deutschland bedeutet, lässt sich noch nicht sagen. Die Kommission will erst im Juni 2021 ein Gesetzespaket vorlegen, wie das Ganze umgesetzt wird. Zur Debatte stehen etwa strengere Energieanforderungen an Gebäude und schärfere CO2-Grenzwerte für Autos.

Deutschlands Autoindustrie müsste dann mehr Tempo machen bei der Umstellung auf Elektro-Pkw. Die Energiekonzerne könnten über den EU-weiten Handel mit Verschmutzungsrechten schneller in Richtung Ökostrom gedrängt werden – ein steigender CO2-Preis bedeutet, dass sich Kohlekraftwerke weniger lohnen. Inwiefern Deutschland sein nationales Klimaziel von 55 Prozent weniger CO2 bis 2030 – nach oben schrauben muss, ist offen.

Bisherige Pläne verfehlen 2-Grad-Ziel

Die EU-Regierungen kommen zusammen, weil das Paris-Abkommen vorsieht, dass die Mitglieder nach fünf Jahren ihre Pläne nachbessern. Derzeit weisen die bisher vereinbarten Maßnahmen eher Richtung 3 Grad Celsius Erderwärmung als “deutlich unter 2”, wie das Abkommen vorschreibt.

Staaten wie Großbritannien, China, Japan und Südkorea wollen nun ehrgeiziger werden. Die EU stehe jetzt unter Druck, mahnte Kanzlerin Angela Merkel. Die UN-Klimadiplomatie ist wegen der Corona-Pandemie ins Stocken geraten, der diesjährige Klimagipfel wurde auf 2021 verschoben. Aber an diesem Samstag soll ein digitaler Mini-Gipfel stattfinden. Dort könnte Merkel das neue EU-Ziel vorstellen.

Ungarn und Polen blockieren noch

Noch stehen nicht alle 27 EU-Staaten hinter dem Ziel und es gebe noch keine Einigung, sagte ein hochrangiger EU-Vertreter am Mittwoch. Der Entwurf der Gipfelerklärung versucht deswegen Brücken zu bauen: Man müsse die “unterschiedlichen Ausgangspositionen und nationalen Umstände” berücksichtigen. Einige Staaten im Osten wie Polen haben bei der Energiewende einen weiteren Weg. Sie wollen finanzielle Hilfe beim Umbau.

Dafür sind Milliardentöpfe geplant: vor allem der Fonds für einen gerechten Wandel, aber auch der 750 Milliarden schwere Corona-Aufbaufonds, der zu mindestens 30 Prozent zur Umsetzung der Klimaziele genutzt werden soll. Das gesamte Paket war zuletzt wegen eines Streits mit Ungarn und Polen blockiert, aber es bahnte sich eine Lösung an. Das dürfte entscheidend dafür sein, dass auch beim Klimaziel eine Einigung gelingt.

Ein weiteres Streitthema ist die Atomkraft. Tschechien setzt sich dafür ein, sie als CO2-freie Energieform zu akzeptieren. Andere Staaten wie Österreich und Luxemburg schließen Beihilfen für Atomkraft jedoch kategorisch aus.

Auch neues Ziel zu wenig

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace verlangt von der Europäischen Union mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz. Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, warnte vor dem EU-Gipfel vor “Betrug am Klima”. “Um eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius mit großer Wahrscheinlichkeit zu erreichen, wären 65 Prozent weniger Treibhausgase in der EU nötig”, sagte Kaiser der Deutschen Presse-Agentur.

Aus Sicht von Greenpeace trägt Merkel besondere Verantwortung. “Die Kanzlerin muss jetzt zeigen, auf welcher Seite der Geschichte sie beim Klimaschutz stehen will”, sagte Kaiser. “Sie hält die Ratspräsidentschaft, sie kennt die Fakten. Sie kann jetzt nicht wieder einem mageren Kompromiss gegen die Atmosphäre zustimmen.”

Kaiser warf der EU vor, sich das neue Klimaziel schönzurechnen. “Es kann nicht sein, dass jetzt ein Netto-Ziel beschlossen wird, bei dem Wälder mit eingerechnet werden”, sagte er. Dann würden aus den 55 Prozent weniger Treibhausgasen in Wirklichkeit nur etwa 50,5 Prozent. “Dieser Buchungstrick wäre ein Betrug am Klimaschutz.” Wälder müssten geschützt werden, dürften aber nicht das große Klimaziel verwässern.

Der Grünen-Politiker Sven Giegold kritisierte darüber hinaus, dass sich die EU-Staaten das neue Ziel nur “kollektiv” vornehmen, aber keine nationalen Klimaziele festlegten. Dies sei ein Skandal. “Ohne nationale Klimaziele können sich nationale Regierungen hinter dem europäischen Ziel verstecken”, warnte der Europaabgeordnete.

“Wenn die Regierungen von Ungarn und Polen blockieren, dann sollten die anderen 25 Staaten über einen Beschluss der Umweltminister zeigen, dass sie vorangehen”, forderte Kaiser. Auch Länder, die auf Atomkraft und Erdgas setzen, dürften sich nicht durchsetzen. “Da muss die Kanzlerin gegenhalten.” (dpa / hcz)