Klimaneutralität 2050: Deutschlands Plan geht nicht auf
Erstellt am 23.Oktober 2020, 15:34 Uhr | Kategorie: News
Mit den jetzigen Plänen zum Umweltschutz wird Deutschland in 30 Jahren die Klimaneutralität verpassen.
In 30 Jahren soll Deutschlands Treibhausgas-Ausstoß netto bei null liegen. Der Studie “Klimaneutrales Deutschland” zufolge braucht es dafür deutlich mehr Ökostrom als bisher geplant und einen Komplett-Stopp für Investitionen in fossile Technologien ab 2030. “Die Bundesregierung hat Klimaneutralität 2050 beschlossen, aber sie hat keinen Plan dafür”, kritisierte der Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen, am Donnerstag.
Laut Studie müsste der Zubau an Wind- und Solaranlagen schon in den nächsten zehn Jahren in etwa verdreifacht werden. Das deutsche Klimaziel müsste für 2030 auf 65 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 angehoben werden. Das Ökostrom-Ziel für 2030 müsste von 65 auf 70 Prozent korrigiert werden. Statt wie bisher angepeilt 10 Millionen Elektroautos müssten bis dahin 14 Millionen auf der Straße sein. Ähnliche Feststellungen waren auch schon Mitte des Jahres im Klimaschutzbericht der Bundesregierung zu lesen.
Kohleausstieg 8 Jahre zu spät
In einem zweiten Schritt sollten die Emissionen bis 2050 dann um 95 Prozent sinken – was an Treibhausgasen noch übrig bleibt, etwa aus der Zementproduktion oder der Landwirtschaft, müsste über natürliche und technische Lösungen der Atmosphäre entzogen und gespeichert werden.
Der Kohleausstiegist derzeit für spätestens 2038 geplant. Laut Studie müsste er aber bis 2030 abgeschlossen sein. Öl- und Gasausstieg müssten folgen. Ab 2030 sollten fossile Technologien – wie klassische Verbrennungsmotoren oder Öl- und Erdgas-Heizungen – zwar noch genutzt, aber nicht mehr neu verkauft und installiert werden dürfen.
“Im Verkehrssektor ist der Ausstieg aus dem Öl eingeläutet”, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. “Je schneller sich Automobilindustrie und Energielieferanten darauf einstellen, desto besser sind ihre langfristigen Marktchancen. Im Pkw-Markt müssen sich batterieelektrische Fahrzeuge durchsetzen und Verbrenner bis spätestens 2035 europaweit verdrängen, so wie es sich in Kalifornien bereits abzeichnet.”
Zudem zeigt die Studie, dass der Verkehr für die Klimaneutralität zunehmend auf Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad verlagert werden muss. Die von Bus und Bahn erbrachte Personenverkehrsleistung sollte sich nahezu verdoppeln bis zum Jahr 2035, die des Pkw soll bis 2030 um 11 Prozent und bis 2050 um 30 Prozent sinken.
Auch Wasserstoff als Energieträger spielt eine große Rolle in den Überlegungen – allerdings nicht da, wo Strom direkt eingesetzt werden kann wie beim Heizen oder im Straßenverkehr. “Der Wasserstoff ist der ganz teure Champagner der Energiewende”, sagte Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität. Sogenannte strombasierte Kraftstoffe brauche es vor allem im Flug- und Schiffsverkehr, aber etwa auch in der Stahlproduktion und anderen Industrien. Solche Kraftstoffe werden künstlich mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Allerdings kommt es bei den Prozessen zu hohen Umwandlungsverlusten, weswegen sie als ineffizient gelten. Ihr Wirkungsgrad liegt bei der Nutzung als Autokraftstoff bei etwa 13 Prozent. Mit E-Fuels betriebene Autos benötigen pro Kilometer rund fünfmal so viel Energie wie batteriebetriebene Elektroautos,
“Vom Spaziergang in den Sprint”
Die Studienautoren gehen davon aus, dass der deutsche Strombedarf bis 2050 um die Hälfte höher liegen wird als heute, obwohl der Energiebedarf insgesamt um die Hälfte sinkt – weil Strom als Energieträger Kohle, Öl und Gas ersetzt und für die Produktion von Wasserstoff sehr viel Strom nötig ist.
Umweltverbände wie der Deutsche Naturschutzring unterstützen die Ergebnisse: Die Pfade zur Klimaneutralität seien beschreitbar, schrieb Präsident Kai Niebert. “Nun müssen nur alle vom Spaziergang in den Sprint wechseln.” Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sagte der dpa: “Die ökologische Modernisierung unseres Wirtschaftsstandortes Deutschland ist machbar, sie ist finanzierbar, und sie ist absolut realistisch.” Im Verkehr bedeute das, Dieselkraftstoff-Subventionen abzubauen und über ein “echtes Bonus-Malus-System” Spritschlucker zu verteuern und emissionsfreie Fahrzeugen zu fördern.
Auftraggeber der Studie waren Agora Energiewende, Agora Verkehrswende – die beide zur Mercator-Stiftung gehören – und die Stiftung Klimaneutralität, deren Ziel es ist, einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern. (dpa / hcz)