EuGH-Generalanwalt: Deutsche Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig
Die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung ist weiterhin nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt. Das hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), Manuel Campos Sánchez-Bordona, in seinen am Donnerstag vorgelegten Schlussanträgen noch einmal klargestellt – und damit auch der deutschen Regelung eine Absage erteilt. Das höchste europäische Gericht prüft derzeit erneut, ob die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, Irland und Frankreich mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Der EuGH hatte in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten nicht zulässig ist. Mit seinem Urteil im Oktober 2020 habe das Gericht seine vorige Rechtssprechung bestätigt und nuanciert, heißt es in der Pressemitteilung des EuGH. Es sei eigentlich zu erwarten gewesen, dass “der Debatte damit ein Ende gesetzt wurde” – der Gerichtshof habe sich bemüht, den nationalen Gerichten seine Gründe detailliert zu erläutern.
Der Generalanwalt vertritt in seinen Schlussanträgen die Auffassung, dass die Antworten auf alle von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen bereits gegeben wurden.
Deutsche Regelung ausgesetzt
Hintergrund sind unter anderem die Klagen des Internetproviders SpaceNet und der Telekom gegen die deutsche Vorratsdatenspeicherung. Im Juni 2017 hatte die deutsche Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter vorläufig ausgesetzt – nur wenige Tage vor dem Inkrafttreten der geplanten Vorschriften. Anlass war damals ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, wonach eine verdachtsunabhängige Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Der EuGH hatte schon 2016 entschieden, dass das EU-Recht keine “unterschiedslose” Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten erlaubt.
In Bezug auf Deutschland stellte der Generalanwalt nun fest, dass sich die auferlegte Verpflichtung zu einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf eine Vielzahl von Verkehrs- und Standortdaten erstrecke. Der Gesetzgeber habe die Vorratsdatenspeicherung in der Neuregelung von 2015 zwar zeitlich begrenzt, doch das “heile diesen Mangel nicht”. Der Zugriff auf diese Daten bedeute zudem immer “einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Familien- und Privatleben sowie den Schutz personenbezogener Daten” – unabhängig vom festgelegten Zeitraum.
Auch bei den von einem irischen und einem französischen Gericht vorgelegten Fällen wiederholt der Generalanwalt seine Bewertung der Rechtslage. Selbst die Verfolgung schwerer Straftaten rechtfertige die allgemeine Vorratsdatenspeicherung nicht. In Irland scheine der Zugang zu den gespeicherten Daten außerdem keiner vorhergehenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Stelle zu unterliegen, sondern dem Ermessen eines Polizeibeamten mit einem bestimmten Rang.
Jahrelanger Streit
Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren umstritten: Sicherheitsbehörden und -politiker argumentieren, sie sei im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus ein zentrales Instrument. Bürgerrechtler und Verbraucherschützer hingegen sehen in ihr einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte. Denn die Unternehmen müssten massenhaft Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern – ohne dass es gegen diese einen Tatverdacht gibt. Dies birgt großes Missbrauchspotenzial.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte vor einem Jahr in einem Gutachten festgestellt, dass die deutschen Regeln vor dem Europäischen Gerichtshof “kaum Bestand” haben dürften. Die Gutachter hatten sich auf das EuGH-Urteil aus dem Oktober 2020 bezogen und die Ansicht vertreten, dass das Gericht die Grundsätze für die Vorratsdatenspeicherung “bereits mit beträchtlicher Tiefe herausgearbeitet” habe. Deshalb könne man davon ausgehen, dass es diese Grundsätze auch anwenden wird, wenn es die deutschen Regeln überprüft.
“Finaler Sargnagel”
Angesichts der Schlussanträge sprach der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner vom “finalen Sargnagel für die Vorratsdatenspeicherung” in Deutschland. “Die anlasslose Massenspeicherung der Kommunikationsdaten wird nie mit dem Recht auf Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation vereinbar sein”, sagte Körner.
Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei kritisierte: “Die Vorratsdatenspeicherung ist das erste Überwachungsgesetz, das sich gegen die ganze Bevölkerung richtet. Das ist der Dammbruch.” Die Schlussanträge wertete er als einen “Aufruf an die Spitzen von SPD, Grünen und FDP, die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu begraben.”
Die Generalanwälte des EuGH unterbreiten dem Gerichtshof einen Entscheidungsvorschlag. Diese Schlussanträge sind für die Richter nicht bindend, häufig orientieren sie sich jedoch daran. In den vorliegenden Fällen wird der Gerichtshof erst in einigen Monaten entscheiden. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit, seine Urteile sind für die nationalen Gerichte aber bindend. (dpa / js)