EuGH: Staat muss bei Luftverschmutzung keinen Schadenersatz zahlen

Paris
Rund 240.00 Menschen sterben jedes Jahr in der EU an den Folgen von Schadstoffen in der Luft. (Quelle: IMAGO / Andia)

Wer wegen verschmutzter Luft krank geworden ist, kann vom Staat keinen Schadenersatz verlangen. Das hat der der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg entschieden. Die europäischen Richtlinien zur Luftqualität verleihen dem Einzelnen keine Rechte, die zu Schadenersatz führen könnten, teilten die Richter mit. Bürgerinnen und Bürger müssen jedoch erreichen können, dass nationale Behörden Maßnahmen für saubere Luft ergreifen.

Die Generalanwältin am EuGH war in ihren Schlussanträgen vor einigen Monaten der Ansicht des Klägers gefolgt. Der EuGH teilte die Ansicht seiner Gutachterin jedoch nicht und verneinte nun einen Anspruch auf Schadenersatz.

Die Luftqualitätsrichtlinien verpflichteten zwar die EU-Staaten, für saubere Luft zu sorgen. Diese Verpflichtungen dienten jedoch dem allgemeinen Ziel, die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt zu schützen.

Einzelnen Bürgern würden dadurch keine Rechte zugewiesen. Daher müsse der Staat seine Bürger auch nicht entschädigen. Die EU-Länder könnten aber unter Umständen nach nationalen Vorschriften haftbar sein. Das schloss der EuGH ausdrücklich nicht aus. 

Außerdem erinnerte das Gericht daran, dass Einzelpersonen das Recht haben müssen, von den Behörden Maßnahmen zu erstreiten. Dazu zählt zum Beispiel ein Luftreinhaltungsplan.

Hintergrund war die Klage eines Parisers. Er verlangte vom französischen Staat 21 Millionen Euro Schadenersatz, weil die zunehmende Luftverschmutzung im Pariser Ballungsraum seine Gesundheit geschädigt habe. Seiner Ansicht nach muss der Staat haften, weil er nicht dafür gesorgt habe, dass EU-weite Grenzwerte eingehalten werden.

Ein französisches Gericht hatte den Fall an den EuGH weitergegeben und um Auslegung des EU-Rechts gebeten.

EU reißt WHO-Empfehlungen

Die Generalanwältin stellte schon in ihrem Schlussantrag klar, dass für Klagende einige Hürden zu nehmen sind: Der Klagende hätte demnach beweisen müssen, dass der Gesundheitsschaden durch die Grenzwertüberschreitung bei Luftschadstoffen entstanden ist und sich die Person ausreichend lang in einer Umgebung mit erhöhten Schadstoffwerten aufgehalten hat. 

In diesem Zusammenhang hatte die Generalanwältin darauf hingewiesen, dass die in der EU vorgeschriebenen Grenzwerte nicht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen. Die Luft könne demnach gesundheitliche Schäden verursachen, ohne dass Grenzwerte überschritten wurden – und der Staat haftbar gemacht werden könnte.

Die EU und Deutschland halten sich bei ihren Vorgaben aktuell nicht an die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Luftschadstoffe. Im September hatte die WHO ihre Grenzwerte sogar noch verschärft – die EU hielt aber bereits die alten, weniger strengen Werte nicht ein.

Im Jahr 2019 wurde Frankreich vom EuGH verurteilt, weil seit 2010 der Grenzwert für Stickoxide in zwölf Ballungsgebieten überschritten wurde. Aus Sicht des Gerichts hatte das Land nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen, um die Schadstoffkonzentration wieder zu senken.

Umweltbundesamt begrüßt Klärung

Die Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe hatte im aktuellen Fall auf ein Urteil zugunsten des Klägers gehofft. “Natürlich hätten Luftreinhaltewerte ein ganz anderes Gewicht, wenn der Staat Millionenzahlungen leisten müsste”, sagte Geschäftsführer Jürgen Resch vor der Urteilsverkündung. Nach dem Urteil sieht die Organisation dennoch ihre Strategie bestätigt, Luftreinhaltepläne einzuklagen und, sofern Urteile nicht beachtet werden, Zwangsvollstreckungsverfahren zu führen, teilte sie auf Anfrage von Posteo mit. 

Aktuell unterstützt die DUH eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht: Die Kläger wollen die Bundesregierung dazu bringen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Konzentration von Luftschadstoffen zu mindern.

Das Umweltbundesamt (UBA) sieht in der EuGH-Entscheidung eine wichtige Klarstellung. Der Gerichtshof habe hier für “Klärung und Orientierung gesorgt”, schrieb ein Sprecher am Donnerstag. Gleichwohl müsse es Bürgerinnen und Bürgern möglich sein, nationale Behörden zu Maßnahmen für saubere Luft zu bewegen, hieß es weiter. Dies sei in Deutschland gewahrt: Wenn etwa kommunale Behörden keine ausreichenden Luftreinhaltepläne aufstellten, stehe Betroffenen der Rechtsweg offen.

Unabhängig vom Schadenersatzanspruch für den Einzelnen bestehe für den Staat nach wie vor die Verpflichtung, die Luftqualitätsgrenzwerte der EU einzuhalten, betonte der Sprecher weiter. Die Bundesregierung unterstütze darüber hinaus die Annäherung an die strengeren Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Handlungsbedarf sieht die Behörde vor allem bei den Grenzwerten für Feinstaub. Hier seien die gesundheitlichen Auswirkungen am stärksten, hieß es. Das Problem mit Feinstaub entstehe vor allem, weil weiterhin mit Holz geheizt werde. Hauptverursacher von Stickoxiden in Städten sei der Straßenverkehr – und hier vor allem Diesel-PKW. 

Jedes Jahr sterben nach WHO-Schätzungen weltweit sieben Millionen Menschen frühzeitig infolge von Luftverschmutzung. In der EU lag der Wert nach Angaben der EU-Umweltagentur EAA im Jahr 2020 bei etwa 240.000 Toten, in Deutschland laut UBA bei rund 53.000. Millionen Menschen würden gesunde Lebensjahre geraubt, so die UN-Organisation. Schadstoffe in der Luft können Herzkrankheiten und Schlaganfälle begünstigen; bei Kindern kann das Wachstum der Lunge gestört werden oder Asthma auftreten. (dpa / hcz)