EuGH verbietet anlasslose Vorratsspeicherung erneut
Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag im Fall der irischen Regelung entschieden und damit seine vorausgegangenen Urteile bestätigt.
Das höchste europäische Gericht urteilte, dass nationale Vorschriften, die “präventiv eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten” vorsehen, auch zur Bekämpfung schwerer Straftaten nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Die europäische Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation verbiete insbesondere die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten. Die Speicherung solcher Daten stelle einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten dar.
Die Richter stellten auch klar, dass besonders schwere Kriminalität nicht mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit gleichgestellt werden könne. Bei einer “als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden Bedrohung der nationalen Sicherheit” könne eine Vorratsspeicherung aber für einen begrenzten Zeitraum gerechtfertigt werden.
“Quick Freeze” zulässig
Das Gericht hält jedoch eine “gezielte Vorratsspeicherung” zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für zulässig. Diese könne “unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit” beispielsweise nach geografischen Kriterien erfolgen. Dazu könne die Kriminalitätsrate an einem Ort zählen, ohne dass zwingend konkrete Anhaltspunkte für die Vorbereitung einer schweren Straftat in diesem Gebiet vorliegen – wenn die nationalen Behörden auf Grundlage objektiver und nicht-diskriminierender Faktoren der Auffassung sind, dass dort ein hohes Risiko schwerer Straftaten besteht.
Auch an Orten, die regelmäßig von einer sehr großen Zahl von Personen frequentiert werden oder an strategischen Orten, wie Flughäfen und Bahnhöfen, sei eine gezielte Vorratsspeicherung möglich. Zum Zweck der Bekämpfung schwerer Kriminalität könnten die Behörden so Informationen über Personen erlangen, die dort elektronische Kommunikationsmittel nutzen und daraus Schlüsse über ihre Tätigkeit an diesen Orten ziehen.
Ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren sei ebenfalls zulässig. Bei Ermittlungen zu einer “schweren Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder einer möglichen schweren Straftat” dürften Gerichte eine umgehende Sicherung von beim Provider vorhanden Verkehrs- und Standortdaten anordnen, wenn nationales Recht dies erlaubt.
Der EuGH erklärte es zudem für rechtens, dass nationale Gesetze dazu verpflichten, die Identität von Käufern einer Prepaid-SIM-Karte zu speichern.
Über den Zugriff auf gespeicherte Daten müsse grundsätzlich ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle entscheiden – und nicht, wie in dem Fall in Irland, Polizeibeamte. Auch nicht, wenn diese Entscheidungen später gerichtlich geprüft werden.
EuGH hat Vorratsdatenspeicherung mehrfach für unzulässig erklärt
In dem aktuellen Fall ging es um die nationale Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in Irland aus dem Jahr 2011. Dagegen hatte ein Mann geklagt, der im Jahr 2015 wegen Mordes an einer Frau zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Er war gegen das Urteil in Berufung gegangen, weil seiner Ansicht nach zu Unrecht Verkehrs- und Standortdaten als Beweismittel zugelassen wurden. Zusätzlich hatte er in einem Zivilverfahren gegen das irische Gesetz zur Vorratsspeicherung geklagt – der irische Supreme Court hatte dieses Verfahren dem EuGH vorgelegt.
Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit, seine Urteile sind für die nationalen Gerichte aber bindend.
Die Vorratsdatenspeicherung steht seit Jahren in der Kritik, weil sie einen tiefen Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger darstellt und weil eine große Gefahr zum Missbrauch besteht. Der EuGH hat die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung in der Vergangenheit mehrfach verboten, unter anderem in Fällen in Estland, Frankreich, Großbritannien und in Belgien. Auch in diesen Verfahren hatte das Gericht erklärt, Ausnahmen seien möglich: Sei ein Mitgliedsstaat “mit einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit konfrontiert, die sich als echt und konkret oder vorhersehbar erweist”, dürfe eine Regierung für eine begrenzte Zeit eine Vorratsdatenspeicherung vorschreiben.
Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist seit 2017 ausgesetzt. Auch diesen Fall prüft der EuGH aktuell. Einen Termin für das Urteil gibt es einem EuGH-Sprecher zufolge noch nicht. (dpa / js)