Weltklimarat: Wie die Erderwärmung gebremst werden kann

Kohlekraftwerk
“Wir stehen an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern” – IPCC-Vorsitzender Hoesung Lee (Quelle: IMAGO / Future Image)

Die Erde heizt sich auf. In den Jahren 2010 bis 2019 hat die Menschheit soviel Treibhausgase ausgestoßen wie niemals zuvor. Doch noch gibt es Möglichkeiten den Klimawandel zumindest zu bremsen und den globalen Temperaturanstieg seit Beginn des Industriezeitalters auf kritische Werte wie 1,5 Grad Celsius oder 2 Grad zu begrenzen. Was die Menschheit nun unternehmen muss, um die ganz große Katastrophe zu verhindern, hat der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) im dritten Teil seines sechsten Sachstandsberichts zusammengetragen. Er wurde am Montag veröffentlicht.

Die gute Nachricht: Fortschritte seien zu erkennen. “Wir haben die Instrumente und das nötige Know-how, um die Erwärmung zu begrenzen”, sagte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee. So beobachteten die Wissenschaftler weltweit immer mehr Klimaschutzmaßnahmen.

Als Beispiel nennt der IPCC den ausschlaggebenden Sektor der Energiegewinnung – für einen nachhaltigen Wandel sind vor allem Solar- und Windanlagen nötig und zur Zwischenspeicherung Batterien. Deren Preise seien seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken. Neue Maßnahmen und Gesetze hätten außerdem die Energieeffizienz erhöht, die Abholzung von Wäldern verringert und den Ausbau von erneuerbaren Energien beschleunigt.

Dennoch benötige es weiterhin “große Veränderungen”, die schnell herbeigeführt werden – vor allem bei der Energieerzeugung. “Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssten die Emissionen in einem Ausmaß reduziert werden, wie es bei der Pandemie Jahr für Jahr der Fall war”, schrieb der IPCC auf Twitter. Die Nutzung von fossilen Brennstoffen beispielsweise müsse massiv reduziert werden und eine weitgehende Elektrifizierung einsetzen. Alternative Brennstoffe wie Wasserstoff seien nötig und die Energieeffizienz müsse weiter gesteigert werden.

“Ich bin ermutigt durch Klimaschutzmaßnahmen, die in vielen Ländern ergriffen werden”, so Lee weiter, “Es gibt Regulierungen, Vorschriften und Marktinstrumente, die sich als wirksam erweisen. Wenn diese in größerem Umfang und auf breiterer und gerechterer Basis angewandt werden, können sie zu tiefgreifenden Emissionssenkungen führen und Innovationen fördern.”

Neuer Lebensstil erforderlich

Hunderte Wissenschaftler aus 65 Ländern hatten für den Bericht in den vergangenen Jahren Zehntausende Studien ausgewertet. Der Bericht gilt als umfassendster und international anerkannter Stand der Klimaforschung. In dem aktuellen Teilbericht geht es um Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels.

Die Autorinnen und Autoren sehen es als realistisch an, dass in den meisten Sektoren die Emissionen bis zum Jahr 2030 halbiert werden können – vorausgesetzt, es wird jetzt schnell und entschlossen gehandelt.

Mitautor Priyadarshi Shukla plädierte dafür, Lebensstil und Verhaltensweisen anzupassen. Dazu gehört, weniger Fleisch zu essen oder sich klimafreundlicher fortzubewegen. So könne der Treibhausgasaustoß bis 2050 sogar um 40 bis 70 Prozent gesenkt werden. Aber auch dafür brauche es die richtigen politischen Maßnahmen, Infrastrukturen und Technologien. Als positiver Nebeneffekt eines nachhaltigen Lebenswandels werde die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen verbessert.

Wandel in Städten, Industrie und Landwirtschaft

Rund ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen stammen aus der Industrie. Um diese zu reduzieren, werde es nötig sein, weniger Müll zu produzieren und Materialien effizienter und durch Recycling mehrfach zu verwenden.

Treibhausgasarme und -freie Produktionsverfahren für Grundstoffe wie Stahl, Baustoffe und Chemikalien seien entweder in der Pilotphase oder nahezu marktreif. Dennoch werde es schwierig, den Industriesektor CO2-neutral zu gestalten. Es brauche neue Produktionsverfahren, emissionsarmen und -freien Strom und Wasserstoff. Dennoch anfallendes Kohlendioxid müsse in Speichern aufgefangen werden.

Auch die Land- und Forstwirtschaft könne noch in “großem Umfang” zur Emissionsminderung beitragen. Land müsse anders genutzt werden, damit es Kohlendioxid bindet. CO2-speicherndes Land könne aber die verzögerten Emissionssenkungen in anderen Sektoren nicht ausgleichen.

Urbane Gebiete böten ebenfalls Möglichkeiten zur Emissionsreduzierung. Städte müssten kompakter und zu Fuß begehbar, der Verkehr elektrifiziert und Energiequellen emissionsarm sein.

“Wir sehen Beispiele für Null-Energie- oder Null-Kohlenstoff-Gebäude in fast allen Klimazonen”, sagte der IPCC Co-Vorsitzende Jim Skea. “Maßnahmen in diesem Jahrzehnt sind entscheidend, um das Minderungspotenzial von Gebäuden zu nutzen.”

CO2-Speicherung allein reicht nicht

Die Wissenschaftler halten es für immer wahrscheinlicher, dass die Erhitzung der Erde zeitweise die kritische Schwelle von 1,5 Grad übersteigen wird, bevor sie durch entsprechende Maßnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts wieder darunter absinken könnte. Um die Erderwärmung wieder senken zu können, müssten die Treibhausgasemissionen spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 um 43 Prozent verringert werden. Gleichzeitig müsste auch der Methanausstoß um etwa ein Drittel reduziert werden.

Bei der Treibhausgasreduktion könnte auch die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eine Rolle spielen, die vom Weltklimarat erstmals ausführlicher betrachtet wurde. Die Experten befürworten zwar die Entwicklung und Erforschung solcher Techniken, warnen aber davor, sich darauf zu verlassen. Keine Technologie dieser Art könne auffangen, was an notwendigen Einsparungen in anderen Bereichen ausbleibe.

Klimaschutz macht unabhängig

Die Klima-Allianz Deutschland, ein Bündnis zahlreicher Organisationen, rief zu einer Drosselung des Verbrauchs fossiler Energien auf. “Zur Eindämmung der Klimakrise ist ein Sprint beim Abschied von Kohle, Öl und Gas notwendig”, erklärte Chefin Christiane Averbeck. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine zeige, dass ein solcher Abschied auch die Abhängigkeit von autoritären Regimen verringere.

Die Bewegung Fridays for Future zeigte sich alarmiert. Der Bericht zeige klar: “Das Zeitfenster für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens schließt sich rasant.” Bereits jetzt müsse zum Einhalten der 1,5-Grad-Grenze Kohlenstoffdioxid wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Doch das Warten auf ein “technologisches Wunder” werde vergebens sein. “Es gibt keine Möglichkeit zur CO2-Entfernung, die die Notwendigkeit radikaler Emissionsreduktion ersetzt.” Mit der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ging die Bewegung hart ins Gericht – deren Klimaschutzpläne reichten nicht aus.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) will in Kürze ein Gesetzespaket vorstellen, dass die Energiewende in Deutschland massiv beschleunigen soll. Im vergangenen Jahr hat Deutschland sein Klimaziel verfehlt.

“Dokument der Schande”

Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, reagierte beunruhigt: “Der heutige Bericht zeigt mit erschreckender Klarheit erneut: die Welt steht in Flammen und die Staatengemeinschaft tut noch nicht genug, um den Brand zu löschen. Alle Staaten müssen jetzt mehr tun, um den 1,5-Grad-Pfad offen zu halten und somit noch dramatischere, irreversible Folgen für unser Leben und die Umwelt auf unserem Planeten abzuwenden”, forderte sie.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres machte Wirtschaft und Politik schwere Vorwürfe. “Es ist ein Dokument der Schande, ein Katalog der leeren Versprechen, die die Weichen klar in Richtung einer unbewohnbaren Erde stellen”, betonte er in einer Videobotschaft. “Sie ersticken unseren Planeten”, sagte Guterres über Regierungen und Firmen, die für hohe Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Guterres rief die Weltbevölkerung auf, selbst aktiv zu werden: “Fordert, dass erneuerbare Energie jetzt eingeführt wird – und zwar schnell und in großem Rahmen.” (dpa / hcz)