Frankreich: Nationalpolizei soll illegal Gesichtserkennung einsetzen

Fahrzeug der Police Nationale
Laut den Recherchen haben auch Polizeibehörden in anderen Ländern wie Brasilien, den USA und Singapur die Briefcam-Software gekauft. (Quelle: IMAGO / Daniel Scharinger)

Die französische Nationalpolizei soll bereits seit Jahren eine Gesichtserkennungssoftware nutzen. Das berichtet das Investigativmagazin Disclose unter Berufung auf interne Dokumente des Innenministeriums. Die französische Datenschutzbehörde will die Vorwürfe nun untersuchen.

Dem Disclose-Bericht zufolge wurde die Software “Video Synopsis” der israelischen Firma Briefcam bereits im Jahr 2015 angeschafft. Sie soll Videomaterial mithilfe von Algorithmen auswerten und verschiedene Überwachungsmöglichkeiten bieten: So können etwa Fahrzeuge anhand ihres Kennzeichens über Aufnahmen verschiedener Kameras hinweg verfolgt werden – die Software bietet aber auch eine Gesichtserkennungsfunktion.

Der Einsatz von Gesichtserkennung sei in Frankreich jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen erlaubt, so Disclose. Sei er gerichtlich genehmigt, könnten Bilder mit einer polizeilichen Datenbank abgeglichen werden, in der sich im Jahr 2018 acht Millionen Fotos befunden hätten.

Im Falle der Nationalpolizei erfolge der Einsatz aber unrechtmäßig: Unter Berufung auf eine nicht namentlich genannte Quelle innerhalb der Polizei berichtet Disclose, die Gesichtserkennungsfunktion werde dort bereits aktiv ohne Kontrolle und ohne richterliche Anweisung eingesetzt. “Jeder Polizist, dessen Dienststelle damit ausgestattet ist, kann die Nutzung von Briefcam durch Übermittlung eines Videos oder Fotos beantragen”, erläuterte die Person den Journalisten.

Keine Gesichtserkennung während der Olympiade

Die französische Regierung hatte Anfang des Jahres zwar eine Rechtsgrundlage für die Auswertung von Kameraaufnahmen mithilfe von Algorithmen geschaffen. Die Technik soll während der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2024 zum Einsatz kommen. Änderungsanträge zur Einführung von Gesichtserkennung hatte der französische Senat aber abgelehnt.

Dem Bericht zufolge hatte die Polizei bis Mai 2023 auch noch immer keine Datenschutzfolgeabschätzung zu der Software durchgeführt – was eigentlich Voraussetzung für den Einsatz gewesen wäre. Bereits seit dem Jahr 2015 sei die Briefcam-Software jedoch auf Computern in verschiedenen Polizeidienststellen installiert worden, darunter in Paris und Marseille. Auch eine Polizeieinheit, die für Abhörmaßnahmen bei schweren Straftaten zuständig ist, sei mit der Gesichtserkennungssoftware ausgerüstet worden.

Der Anbieter Briefcam erklärte gegenüber den Journalisten, die Behörden von mehr als 100 französischen Städten seien mit der Software ausgestattet worden.

Der potenzielle Einsatz der Gesichtserkennung habe aber auch bei den Behörden selbst für Bedenken gesorgt. So habe ein Mitarbeiter der Direktion für nationale öffentliche Sicherheit (DNSP) des Innenministeriums im Mai 2023 darauf hingewiesen, dass verboten sei, Gesichtserkennung außerhalb strenger rechtlicher Grenzen zu verwenden. Bereits im Jahr 2020 hatte ein Polizeibeamter laut Bericht in einer Nachricht geschrieben, es solle besser nicht über den Einsatz von Briefcam gesprochen werden – weil dieser nicht der Datenschutzbehörde gemeldet wurde.

Das Innenministerium wolle aber am Einsatz der Software festhalten, berichtet Disclose. Demnach wurde die Verlängerung einiger auslaufender Lizenzen bereits genehmigt – und aus einem Fonds finanziert, der durch im Zusammenhang mit Drogenhandel beschlagnahmten Mitteln finanziert wird. Eigentlich sollten diese Mittel dem Kampf gegen Drogenhandel und der Suchtprävention dienen.

Datenschutzbehörde und Innenministerium kündigen Untersuchung an

Die Generaldirektion der Nationalpolizei hat laut Disclose nicht auf Anfragen zu dem Sachverhalt reagiert. Die Datenschutzbehörde CNIL habe erklärt, ihr lägen keine Informationen zum potenziellen Einsatz der Briefcam-Software vor.

Nach Veröffentlichung des Berichts erklärte die Behörde auf X, ehemals Twitter, ein Prüfverfahren einzuleiten.

Der französische Innenminister Gérald Darmanin sagte gegenüber der Zeitung Ouest France am Freitag ebenfalls, er habe eine Untersuchung zu den Vorwürfen beauftragt.

Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net nannte die Enthüllungen “schockierend”. Führungskräfte der Generaldirektion der Nationalpolizei sowie Minister hätten aus Angst vor Kontroversen bewusst Stillschweigen gewahrt, wohlwissend, dass sie sich mit der Praxis außerhalb des Gesetzes befunden hätten.

Die NGO beklagt zudem, die vorgesehenen Kontrollmechanismen von der Datenschutzbehörde bis zum internen Prüfungsausschuss der Polizei hätten nicht funktioniert. Zudem kann die Finanzierung der Briefcam-Software mit Mitteln aus dem “Drogenfonds” nach Einschätzung von La Quadrature du Netz als Veruntreuung öffentlicher Gelder gewertet werden.

Philippe Latombe, französischer Abgeordneter und Vorstandsmitglied der Datenschutzbehörde CNIL, erklärte gegenüber der Nachrichtenseite Euractiv: “Die eigentliche Frage ist: Wie wird die Gesichtserkennung durchgeführt und von wem.” Nach dem aktuellen Stand habe die Polizei die Briefcam-Software offenbar für nachträgliche Ermittlungen verwendet – möglicherweise auch die Gesichtserkennungsfunktion. Dies sei jedoch unter Aufsicht eines Richters geschehen. Es gebe aber auch andere Szenarien: Im schlimmsten Fall seien Gesichter ohne richterliche Aufsicht abgeglichen worden. Dies betrachte Latombe als schwerwiegenden Verstoß gegen bestehende Gesetze. (js)