G20-Staaten streiten über Klimaschutzziele

G20
Wissenschaftlich belegt: Umso länger die Industrienationen ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, umso dramatischer werden die Klimafolgen ausfallen – auch für ihre Bevölkerung. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Die großen Industrienationen (G20) wollen auf ihrem Gipfel am Wochenende in Rom neue Versprechen zum Klimaschutz abgeben. Ob dabei konkrete Ziele festgelegt werden, ist aber höchst unsicher. In einem Entwurf des Abschlusskommuniqués wird zwar zu “sofortigem Handeln” aufgerufen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Doch strittig ist, ob sich die G20-Gemeinschaft auch zu einem gemeinsamen Ziel für Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen oder Kohlenstoffdioxid-Neutralität bis 2050 bekennen wird.

Klimaschützer zeigten sich enttäuscht von dem Textentwurf: Dieser bleibe zu vage. In dem Dokument steht das Zieljahr 2050 noch in Klammern – obwohl die G20-Staaten zusammen für drei Viertel der globalen Emissionen verantwortlich sind.

Die Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem Gipfel in Rom auch das Weltklimatreffen (COP26) vorbereiten, das am Sonntag im schottischen Glasgow beginnt. Dort soll darüber beraten werden, wie das 2015 im Pariser Klimaabkommen formulierte Ziel erreicht werden kann, die gefährliche Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

In dem Entwurf bekräftigt die G20-Gruppe ihr Ziel eines “weitgehend” kohlendioxidfreien Stromsektors in den 2030er Jahren. Ursprünglich war nach dpa-Informationen allerdings von einer “überwältigenden” Mehrheit des Stromsektors die Rede, der kohlendioxidfrei sein sollte. Die Staaten wollen demnach “ihr Äußerstes tun”, um den Bau neuer Kohlekraftwerke zu vermeiden, wobei diese Entscheidung durch Ausnahmen aufgeweicht wird, indem “nationale Umstände berücksichtigt werden”.

Anerkannt wird, dass “die Kluft” zwischen den vorgelegten Aktionsplänen und den Zielen von Paris geschlossen werden müsse. So reichen die Anstrengungen der Staatengemeinde nach einem jüngsten UN-Bericht bei Weitem nicht dafür aus. Mit den jüngsten Klima-Versprechen der Länder würden die Treibhausgase bis 2030 nur um 7,5 Prozent verringert. Für das 1,5-Grad-Ziel würden aber 55 Prozent benötigt – für 2 Grad Celsius noch immer 30 Prozent.

Fehlender Wille

Entwicklungsorganisationen forderten neue Zusagen der G20. “Wir brauchen ein starkes Signal, damit die Weltklimakonferenz auf das richtige Gleis kommt und nicht gleich in einer Sackgasse endet”, sagte Jörn Kalinski von Oxfam. “Wir müssen runter mit den Emissionen und rauf mit der Klimafinanzierung.”

Friederike Meister von der Bewegung Global Citizen sagte, “der G20-Gipfel stellt die Weichen für Erfolg oder Misserfolg der Klimakonferenz”. Als “weltweit größte Umweltverschmutzer” trügen die G20-Staaten besondere Verantwortung.

Strittig ist in dem Entwurf auch, ob sich die G20 dazu verpflichten will, schon “in den 2020er Jahren” weitere Maßnahmen zu ergreifen, nationale Aktionspläne zu formulieren, umzusetzen und regelmäßig zu überprüfen. Aus Sicht von Klimaschützern wäre solch ein beschleunigtes Handeln erforderlich.

“Der Textentwurf drückt leider nicht die notwendige Entschlossenheit aus”, kritisierte der Klimaexperte Jan Kowalzig von Oxfam. “Die G20-Staaten sollten alle Alarmglocken läuten, dass ihre eigene Zögerlichkeit den Planeten zu verbrennen droht.” Zwar werde die Lücke zwischen dem 1,5-Grad-Ziel und den Aktionsplänen anerkannt, “aber der Aufruf zu mehr Klimaschutz ist zu unverbindlich und zu unkonkret”. Der Gipfel müsse eigentlich “das deutliche Signal” senden, dass alle G20-Staaten verbindlich bis nächstes Jahr ihre Klimaschutzbeiträge noch einmal gründlich nachbessern werden – und dafür dann auf der Weltklimakonferenz in Glasgow auch alle übrigen Länder gewinnen.

Die Wirtschaft wird leiden

Währenddessen warnte am Donnerstag eine neue Studie des italienischen Euro-Mittelmeer-Forschungszentrums für Klimawandel (CMCC) im Auftrag der europäischen Klimastiftung vor dramatischen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels für Deutschland und die G20-Staaten. Ohne eine drastische Verringerung der Treibhausgase drohten den Ländern Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen. Die Wissenschaftler prognostizierten, dass die G20-Staaten durch den Klimawandel bis 2050 im Schnitt mindestens vier Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) pro Jahr einbüßen dürften. Bis 2100 wären es sogar acht Prozent.

Selbst in einem Szenario mit massiv gesenkten Emissionen müsste Deutschland 2050 immer noch ein Minus von 1,35 Prozent oder 45 Milliarden Euro hinnehmen. Im ungünstigen Fall müsste Deutschland 2050 auf 1,85 Prozent Wirtschaftsleistung jährlich verzichten – bis 2100 dann 2,95 Prozent. Landwirtschaft, Tourismus und Küstenregionen seien besonders bedroht.

“Es ist an der Zeit, dass die G20 ihre Wirtschaftsagenda zu einer Klimaagenda machen”, meinte Laurence Tubiana, Chefin der europäischen Klimastiftung. “Das Zeitfenster für wirksame Maßnahmen schließt sich schnell.” Die G20-Länder stünden vor einer Entscheidung: “Die Weltwirtschaft zu schützen und einen raschen Übergang in eine klimaneutrale Zukunft einzuleiten – oder die Weltwirtschaft durch klimaschädliche Politik aus den Angeln zu heben.” (dpa / hcz)