Geofence Warrants: Anordnungen zur Standortdaten-Herausgabe sind laut US-Gericht verfassungswidrig

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Google will Standortdaten künftig nur noch auf den Geräten der Nutzerinnen und Nutzer speichern – wodurch es für Strafverfolger schwieriger werden könnte, an diese Daten zu gelangen. (Quelle: IMAGO / VectorFusionArt)

Sogenannte “Geofence Warrants” sind “kategorisch” verfassungswidrig. Das hat ein US-Berufungsgericht in der vergangenen Woche festgestellt. Diese richterlichen Anordnungen zur Herausgabe von Standortdaten sind seit Jahren umstritten.

US-Behörden können mit einem “Geofence Warrant” von Anbietern Informationen zu allen Geräten verlangen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Gegend aufgehalten haben. Anders als gewöhnliche Durchsuchungsbeschlüsse richten sie sich also nicht gegen eine bestimmte Person. Bürgerrechtler kritisieren deshalb, dass potenziell zahlreiche Unbeteiligte betroffen sind.

Laut der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) richten sich solche richterlichen Anordnungen in der Regel gegen Google. Der Anbieter erfasst solche Daten etwa in Google Maps.

Standortdaten führten zu Verdächtigen

In dem aktuellen Fall ging es um einen bewaffneten Raubüberfall auf einen Lieferwagen der Post im US-Bundesstaat Mississippi im Jahr 2018. Die Polizei hatte damals bei ihren Ermittlungen zunächst keine Verdächtigen ausmachen können. Daher erwirkten die Beamten einen “Geofence Warrant”, um Informationen über Smartphones zu erhalten, die sich innerhalb einer Stunde in einem Gebiet rund um den Tatort aufgehalten hatten.

Wie die rechtswissenschaftliche Zeitschrift Harvard Law Review erklärt, liefert Google als Antwort auf solche Anordnungen im ersten Schritt anonymisierte Daten. Die Behörden prüfen diese, um aus ihrer Sicht relevante Geräte herauszufiltern. Anschließend verlangen sie gegebenenfalls weitere Informationen zu einzelnen Nutzerinnen und Nutzern: Beispielsweise Namen und E-Mail-Adressen, die mit einem Google-Konto verknüpft sind.

Im aktuellen Fall stießen die Ermittler so auf die Verdächtigen, die schließlich verurteilt wurden. In ihrem Berufungsverfahren hatten die Verurteilten die Verfassungsmäßigkeit des “Geofence Warrants” angefochten – und beantragt, die daraus resultierenden Beweise nicht zuzulassen.

Nicht verfassungskonform

In seinem Urteil stellte das Gericht nun fest, dass sich Personen mithilfe von Standortdaten in Bereiche verfolgen lassen, die normalerweise als privat und intim gelten.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der vierte Zusatzartikel der US-Verfassung solche Anordnungen “kategorisch verbietet”. Der Verfassungszusatz soll Menschen vor staatlichen Übergriffen schützen und verlangt beispielsweise, dass Durchsuchungsbeschlüsse von Richtern ausgestellt und begründet werden und dabei nur für einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Gerät gelten.

Weil das bei den Anordnungen zur Standortdaten-Herausgabe nicht der Fall ist, kritisieren Bürgerrechtler sie schon lange als verfassungswidrig.

Die Richter führten aus, dass die von den Anordnungen betroffenen Anbieter immer ihren gesamten Bestand an Standortdaten durchsuchen müssen, während die Strafverfolgungsbehörden nicht wissen, nach wem sie suchen. Das Kernproblem dabei sei, dass kein Verdächtigter genannt wird, sondern ein zeitlich und geografisch beschränkter Bereich – und das sei verfassungsrechtlich unzureichend.

Urteil hat Auswirkungen in drei US-Bundesstaaten

Dem US-Onlinemagazin TechCrunch zufolge hat das Urteil Auswirkungen auf die Bundesstaaten Louisiana, Mississippi und Texas, für die das Gericht zuständig ist. Dort seien die “Geofence Warrants” nun vorerst unzulässig.

Für die Verurteilten war diese Entscheidung in ihrem Berufungsverfahren dennoch nicht erfolgreich: Das Gericht stellte fest, die Behörden hätten im Jahr 2018 einen solchen Durchsuchungsbefehl in “gutem Glauben” (“in good faith”) beantragen dürfen, etwa weil diese Möglichkeit noch neu gewesen sei – die erste Anfrage habe Google 2016 bekommen. Die so gewonnenen Beweise sind in dem Verfahren also zulässig.

Die EFF wertet die Entscheidung dennoch als wichtig. Es sei begrüßenswert, dass ein Berufungsgericht den Eingriff in die Privatsphäre anerkennt. Außerdem sei es wichtig, dass alle Menschen ihr Mobiltelefon bei sich tragen können, ohne befürchten zu müssen, einer Straftat verdächtigt zu werden.

Weitere Urteile

Im vergangenen Jahr hatte ein US-Berufungsgericht laut der EFF erstmals einen sogenannten “Geofence Warrant” überprüft. Auch damals hatte das Gericht in einem Fall aus Kalifornien einen Verfassungsverstoß festgestellt.

Erst im Juli hatte ein US-Gericht in einem anderen Fall hingegen entschieden, eine solche Anordnung sei nicht verfassungswidrig . Zur Begründung hieß es, der Betroffene habe die Standortdaten “freiwillig an Google weitergegeben”.

Wiederholt hatte es Berichte gegeben, wonach Personen durch Standortabfragen fälschlicherweise ins Visier von Ermittlern geraten sind: So wurde im Jahr 2020 etwa ein Unschuldiger eines Einbruchs verdächtigt. Der Betroffene war regelmäßig in der Nähe des Tatorts Fahrrad gefahren und hatte seine zurückgelegten Strecken mit einer App aufgezeichnet.

Indes will Google Standortdaten künftig nur noch lokal auf den Geräten der Nutzerinnen und Nutzer speichern. Nach Einschätzung der EFF wird diese Änderung es Strafverfolgern in den USA erschweren oder gar unmöglich machen, Standortdaten von Google zu erhalten. Die Organisation hatte erklärt, sie sei “vorsichtig optimistisch”, dass damit das Ende der “Geofence Warrants” eingeläutet werde. (js)