Großbritannien: Dissident kann Saudi-Arabien wegen Spähsoftware-Einsatz verklagen
Der bekannte Menschenrechtler Yahya Assiri kann Saudi-Arabien wegen des mutmaßlichen Spähsoftware-Einsatzes gegen ihn vor einem britischen Gericht verklagen. Der britische High Court hat eine entsprechende Klage zugelassen, wie Assiris Anwälte in der vergangenen Woche mitgeteilt haben. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem “wichtigen Schritt”.
Wie Assiris Anwaltsteam erklärte, hat das Gericht von ihnen vorgelegte Beweise akzeptiert und ist der Auffassung gefolgt, dass es für den Kläger eine begründete Chance gibt, den Prozess zu gewinnen. Die Klage sei demnach zulässig.
Yahya Assiri wirft dem Königreich vor, ihn zwischen den Jahren 2018 und 2020 mit Spähsoftware überwacht zu haben. Zu dieser Zeit lebte er bereits im britischen Exil.
Menschenrechtsaktivist im Exil
Der Aktivist ist Gründer der auf Saudi-Arabien spezialisierten Menschenrechtsorganisation ALQST mit Sitz in London. Außerdem ist er Gründungsmitglied der saudischen Oppositionspartei “National Assembly Party”, die ihren Hauptsitz ebenfalls im Exil in London unterhält.
Zunächst war Assiri in Saudi-Arabien Offizier der Luftwaffe, wurde aber zunehmend kritisch gegenüber dem saudischen Königshaus. Nachdem er verdächtigt wurde, unter dem Pseudonym “Abu Fares” online regierungskritische Kommentare veröffentlicht zu haben, verließ er im Jahr 2013 sein Heimatland. Im Londoner Exil gab er sich als “Abu Fares” zu erkennen und gründete ALQST. Im Jahr 2017 wurde ihm Asyl in Großbritannien gewährt.
Erste Spähsoftware-Angriffe 2018 nachgewiesen
Sicherheitsforscher von Amnesty International hatten bereits im Jahr 2018 SMS- und WhatsApp-Nachrichten untersucht, die Assiri sowie ein Amnesty-Mitarbeiter erhalten hatte. Die Experten konnten nachweisen, dass mit den Nachrichten versucht wurde, Assiris Smartphone mit der Spähsoftware Pegasus zu infizieren.
Pegasus stammt vom israelischen Unternehmen NSO Group. Angreifer können Smartphones damit komplett übernehmen und gespeicherte Dateien und Nachrichten auslesen sowie Telefonate abhören. Der Standort der Telefone lässt sich ebenfalls verfolgen und es ist möglich, heimlich Kamera und Mikrofon einzuschalten.
Die Firma verkauft ihre Spähsoftware eigenen Angaben zufolge nur an staatliche Stellen. Pegasus wird dabei seit Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht.
Auch das Umfeld des im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi soll vor und nach dem Mord mit Pegasus überwacht worden sein. Recherchen internationaler Medien zufolge soll Saudi-Arabien für diese Überwachungsaktion verantwortlich gewesen sein.
Weitere Spionagesoftware eingesetzt
Assiri wirft Saudi-Arabien außerdem vor, ihn mit der weniger bekannten Spähsoftware Reign des Unternehmens QuaDream überwacht zu haben. Angaben seiner Anwälte zufolge haben auch Sicherheitsforscher vom Citizen Lab in Toronto nachgewiesen, dass seine Mobiltelefone mit Reign und Pegasus infiziert wurden.
Wie ALQST erklärt, muss das britische Außenministerium nach der Entscheidung des Gerichts die Klage nun dem saudischen Außenministerium zustellen.
Assiris Anwältin erklärte gegenüber Amnesty International, das sei ein entscheidender Moment, weil nun offiziell eine Erklärung des saudischen Staates gefordert werde.
Sorge um Kontakte
Assiri sagte: “Mir ist völlig klar, dass die Behörden mich ins Visier nehmen wollen. Es ist jedoch ungeheuerlich, dass sie auch Personen wie die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und ihre Familien in Saudi-Arabien ins Visier nehmen, nur weil diese Menschen mit mir in Kontakt standen. Wir haben keine Ahnung, wie die Behörden die auf meinem Gerät gefundenen Informationen gegen sie verwenden könnten.”
Joey Shea, Saudi-Arabien-Experte bei Human Rights Watch (HRW), kommentierte: “Die saudischen Behörden setzen seit Jahren Spähsoftware gegen Menschenrechtsverteidiger ein, die aus dem Ausland versuchen, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.” Der aktuelle Fall sei ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit.
Klagen gegen Saudi-Arabien und Bahrain
Bereits seit dem Jahr 2020 läuft in Großbritannien die Klage eines weiteren saudischen Dissidenten, der dem Staat ebenfalls den Einsatz von Spähsoftware gegen ihn vorwirft. Der High Court hatte bereits im Jahr 2022 entschieden, dass die saudische Regierung in dem Fall keine Immunität für sich beanspruchen kann. Anfang 2024 hat auch ein Berufungsgericht entschieden, dass der Fall weiterverhandelt werden kann.
Außerdem klagen in Großbritannien lebende Dissidenten aus Bahrain, weil das Königreich sie im Jahr 2011 mit der Spionagesoftware FinFisher ausgespäht haben soll. Erst vor wenigen Wochen hatte ein britisches Berufungsgericht auch in diesem Fall einen Antrag auf staatliche Immunität abgewiesen. Sicherheitsforscher werfen der autoritären Regierung des Landes vor, Aktivistinnen und Aktivisten wiederholt auch mit Pegasus überwacht zu haben. (js)