Iran: Amnesty berichtet von staatlicher Gewalt gegen Kinder
Im Zusammenhang mit den anhaltenden öffentlichen Protesten im Iran wurde bereits von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen seitens der staatlichen Sicherheits- und Geheimdienste berichtet. Nun hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dokumentiert, dass auch Kinder in Folge der Proteste systematisch entführt, inhaftiert, gefoltert und traumatisiert wurden. Die Täter seien Mitarbeiter der Revolutionsgarden sowie der Basij-Miliz, der Polizei für öffentliche Sicherheit und anderer Sicherheits- und Geheimdienste.
Die jüngsten Opfer seien im Alter von zwölf Jahren gewesen; es handle sich sowohl um Jungen als auch Mädchen. Wie Amnesty International am Donnerstag berichtete, seien sie unter anderem mit Schlägen, Peitschenhieben, Elektroschocks, Vergewaltigungen und anderer sexualisierter Gewalt – oder deren Androhung – malträtiert worden. Einigen seien auch unbekannte Pillen verabreicht worden oder ihre Köpfe wurden unter Wasser gehalten. Angemessene medizinische Behandlung hätten sie nicht erfahren; unter Folter erlittene Verletzungen seien nicht ausreichend versorgt worden.
Teil des Missbrauchs seien auch “grausame und unmenschliche Haftbedingungen” wie extreme Überbelegung, unzureichender Zugang zu Toiletten und Waschgelegenheiten, Mangel an ausreichender Nahrung und Trinkwasser, extreme Kälte und längere Einzelhaft gewesen. Mädchen seien nur von männlichen Sicherheitskräften bewacht worden, “die keine Rücksicht auf ihre geschlechtsspezifischen Bedürfnisse nahmen”, so Amnesty.
Mithilfe von Zeugenaussagen der Opfer und ihren Familien hat Amnesty sieben Fälle im Detail dokumentiert. Zudem berichteten 19 Augenzeugen – zwei Anwälte und 17 erwachsene Häftlinge, die mit den Kindern zusammen inhaftiert waren – von Dutzenden weiteren Fällen.
Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International sagte: “Iranische Staatsbeamte haben Kinder aus ihren Familien gerissen und sie unvorstellbaren Grausamkeiten ausgesetzt. Es ist abscheulich, dass Beamte ihre Macht auf diese Weise gegenüber schutzbedürftigen und verängstigten Kinder missbrauchen, ihnen und ihren Familien schwere Schmerzen und Ängste zufügen und sie mit schweren körperlichen und seelischen Narben zurücklassen.” Die Gewalt offenbare eine gezielte Strategie, um die Jugend des Landes zu unterdrücken und sie davon abzuhalten, Freiheit und Menschenrechte einzufordern.
Amnesty fordert, sofort alle Kinder freizulassen, die wegen friedlicher Proteste inhaftiert sind.
Einzelhaft in irregulären Gefängnissen
Die Kinder seien im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden, die vor sechs Monaten durch den Tod der Iranerin Mahsa Amini ausgelöst wurden. Unter den dort verhafteten Demonstrantinnen und Demonstranten hätte sich staatlichen Medien zufolge ein “erheblicher Teil” Kinder befunden, schreibt Amnesty. Auch die Organisation schätzt die Anzahl auf Tausende. Auch hätten Agentinnen und Agenten in Zivil Kinder während und direkt nach den Protesten von den Straßen entführt.
Die verhafteten Kinder seien ähnlich behandelt worden wie Erwachsene: Sie seien teils mit verbundenen Augen in Haftanstalten gebracht worden. Oft vergingen Tage oder Wochen, bis die Kinder in reguläre Gefängnisse verlegt wurden. Bis dahin hätten sie auch lange Zeit in Isolationshaft verbringen müssen.
Auch seien Kinder in Lagerhäuser gebracht und dort gefoltert worden. “Diese Entführungen erfolgten ohne ordnungsgemäßes Verfahren und dienten dazu, Kinder zu bestrafen, einzuschüchtern und von der Teilnahme an den Protesten abzuhalten”, erklärte Amnesty. Nach der Prozedur seien die Kinder an abgelegenen Orten ausgesetzt worden.
In den vergangenen sechs Monaten seien die meisten Kinder wieder freigelassen worden. Viele hätten zuvor ihre Reue schriftlich beteuern und versprechen müssen, nicht mehr an politischen Aktivitäten teilzunehmen und stattdessen auf regierungsfreundlichen Kundgebungen zu erscheinen. In einigen Fällen musste Kaution bezahlt werden.
Keine Gerechtigkeit in Sicht
Dass die iranischen Behörden im Zusammenhang mit den Protesten auch brutal gegen Kinder vorgehen, wurde bereits Mitte Oktober 2022 bekannt: Amnesty International hatte damals berichtet, das mindestens 23 Kinder auf den Veranstaltungen von Sicherheitskräften getötet wurden. Bei den Opfern handelte es sich um 20 Jungen und drei Mädchen im Alter von 11 bis 17 Jahren.
Zahlreiche Erwachsene, die auf den regierungskritischen Demonstrationen festgenommen wurden, hat der Iran hinrichten lasen. Das UN-Menschenrechtsbüro hatte die Gerichtsprozesse als unfair kritisiert; das US-Außenministerium sprach von “Scheinprozessen”. Geständnisse seien erzwungen worden.
Eine Hoffnung darauf, dass die Fälle des Kindesmissbrauchs unabhängig untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, gibt es nicht im Iran, so Amnesty. Deswegen fordert die Organisation alle anderen Staaten dazu auf, universelle Gerichtsbarkeit über die iranischen Beamten und ihre Befehlshaber auszuüben – sie erlaubt es, schwere Menschenrechtsverletzungen global zu verfolgen, unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit von Tätern und Opfern. (hcz)