Iran: Bereits mehr als 700 Hinrichtungen in diesem Jahr
Das iranische Regime hat nach Angaben von Menschenrechtlern in diesem Jahr bereits mehr als 700 Menschen töten lassen. UN-Experten fordern ein Hinrichtungsmoratorium.
Die in Oslo ansässige Organisation Iran Human Rights (IHRNGO) teilte Ende vergangener Woche mit, sie habe in diesem Jahr bereits 707 Hinrichtungen im Iran registriert. Insbesondere seit Anfang Oktober seien diese Zahlen “sprunghaft” angestiegen: mindestens 176 Menschen hätten die Behörden seitdem töten lassen.
Amnesty International hatte 2022 insgesamt 576 staatliche Tötungen im Iran dokumentiert. Die Organisation kritisiert schon lange, das Regime lasse “systematisch” Menschen hinrichten, die in unfairen Gerichtsverfahren verurteilt wurden. Zunehmend werde die Todesstrafe auch als Mittel politischer Unterdrückung eingesetzt.
Laut einem Bericht der britischen Wochenzeitung The Observer werfen Menschenrechtsaktivisten dem iranischen Regime vor, die weltweite Aufmerksamkeit auf den Krieg im Nahen Osten auszunutzen, um vermehrt Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren hinrichten zu lassen.
Mahmood Amiry Moghaddam, Direktor von IHRNGO, sagte gegenüber der Zeitung: “Seit Beginn des Krieges hat sich die internationale Gemeinschaft nur wenig mit der Menschenrechtslage im Iran befasst, und es gab keine nennenswerte Reaktion auf den erheblichen Anstieg der Exekutionen.” Im Oktober und November habe sich die Zahl der vollstreckten Todesurteile gegenüber den beiden Vormonaten verdoppelt.
Auch die beiden Menschenrechtsorganisationen Hengaw und “Human Rights Activists in Iran” erklärten, es habe seit Anfang Oktober einen deutlichen Anstieg der Exekutionen gegeben.
Erneut Demonstrant hingerichtet
Wie IHRNGO berichtet, wurden alleine am 29. November sieben Männer im Ghezelhesar-Gefängnis getötet. Bereits am 1. November seien dort an einem Tag neun Männer exekutiert worden.
Unter den in den vergangenen Wochen von den iranischen Behörden exekutierten Menschen befand sich auch der 22-Jährige Milad Zohrevand – die achte Person, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen das iranische Regime hingerichtet wurde.
Die Demonstrationen waren im September 2022 in Folge des Todes von Mahsa Amini ausgebrochen, die zuvor von der sogenannten Sittenpolizei verhaftet worden war. Laut Amnesty International kamen bei den Protesten Hunderte Demonstrierende und Unbeteiligte ums Leben; Zehntausende Menschen wurden willkürlich verhaftet.
Das UN-Menschenrechtsbüro kritisierte die Hinrichtung von Milad Zohrevand in der vergangenen Woche und erklärte, sein Prozess habe nicht den grundlegenden Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Verfahren nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen entsprochen. Zudem gebe es “beunruhigende Berichte”, wonach Zohrevands Eltern nach seiner Hinrichtung verhaftet wurden.
Das UN-Menschenrechtsbüro informierte zudem über die Hinrichtung des 17-Jährigen Hamidreza Azari, dem angeblicher Mord vorgeworfen wurde. Es handle sich um die erste gemeldete Hinrichtung eines Minderjährigen in diesem Jahr. Durch internationale Abkommen seien die iranischen Behörden jedoch verpflichtet, die Verhängung und Vollstreckung für Verbrechen zu verbieten, die von Minderjährigen begangen wurden. IHRNGO hatte berichtet, Azari sei gezwungen worden, ein Geständnis abzulegen.
Der EU-Sprecher für Außenpolitik, Peter Stano, verurteilte die Hinrichtungen ebenfalls und erklärte, das “derzeitige Tempo” der Hinrichtungen im Iran sei “entsetzlich”. Die Europäische Union lehne die Todesstrafe unter allen Umständen entschieden ab. Es handle sich um eine grausame Strafe, die mögliche Justizirrtümer unumkehrbar mache.
Hunderte Urteile wegen Drogendelikten
Nach Angaben von IHRNGO wurden bisher im Jahr 2023 auch 17 Frauen von den Behörden getötet.
Die Organisation erklärte zudem, in 390 Fällen seien die Getöteten wegen Drogendelikten verurteilt worden. Amnesty International hatte bereits im Sommer erklärt, die Zahl der in diesem Zusammenhang vollstreckten Todesurteile sei stark angestiegen – und vor allem Angehörige von marginalisierten Gruppen seien davon betroffen. Amnesty weist darauf hin, dass die Todesstrafe nach internationalem Recht bei Straftaten verboten ist, die nicht die Schwelle “schwerster Verbrechen” erreichen.
Aktivisten berichteten dem Observer, die nun vollstreckten Todesurteile fielen in eine Zeit, in der die iranischen Behörden entschlossen seien, ihre Macht wieder zu festigen. Ein Aktivist im Iran sagte gegenüber der Zeitung: “Wir sind zunehmend eingeschränkt, weil Dutzende Sittenpolizisten auf den Straßen unterwegs sind. Wir werden schikaniert oder verhaftet, wenn wir auch nur die Nachricht von Hinrichtungen oder Tötungen in den sozialen Medien verbreiten.”
Laut Observer wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Dissidenten verhaftet und langjährige Haftstrafen für Regimegegner verhängt.
Auch Javaid Rehman, der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtssituation im Iran, hatte Ende Oktober erklärt, viele Menschen im Iran seien willkürlich verhaftet oder hingerichtet worden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt hätten.
Dem UN-Menschenrechtsbüro zufolge ist der Iran eines der Länder mit der weltweiten höchsten Zahl an Todesurteilen. Die UN-Einrichtung forderte die iranische Regierung auf, die Todesstrafe nicht mehr zu verhängen und ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen. Zudem fordern sie, Menschen sollten nicht für die Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlungen strafrechtlich verfolgt werden. (js)