Japan leitet kontaminiertes Wasser aus Fukushima ins Meer
Japan hat damit begonnen, gefiltertes und verdünntes Kühlwasser aus dem havarierten Atomkraftwerk in Fukushima im Meer zu entsorgen. Wie der Betreiber des Kraftwerks Tepco bekannt gab, leitet das Unternehmen seit Donnerstag 13 Uhr die erste Charge des aufbereiteten Wassers durch einen eigens zu diesem Zweck gebauten unterseeischen Tunnel ab. Das Rohr reicht rund einen Kilometer ins Meer.
Für die Verklappung des gesamten gesammelten Kühlwassers sind mehrere Jahrzehnte veranschlagt; es müssen mehr als 1,3 Millionen Tonnen Wasser entsorgt werden, die auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerks seit der Havarie gesammelt und eingelagert wurden.
Japan startete den Prozess trotz Protesten von Anrainerstaaten wie China und Südkorea und entgegen der Sorgen von ortsansässigen Fischern. Sie befürchten, dass Fische und Meeresfrüchte kontaminiert werden und sich nicht mehr zum Verzehr eignen könnten – oder zumindest von Konsumenten gemieden werden.
“Wir sind zutiefst enttäuscht und empört über die Ankündigung der japanischen Regierung, radioaktiv belastetes Wasser in den Ozean zu leiten”, sagte Hisayo Takada von Greenpeace Japan am Dienstag. Die Regierung habe sich über die Bedenken von Fischern, Bürgern und der internationalen Gemeinschaft, insbesondere in der Pazifikregion und den Nachbarländern, hinweggesetzt.
Die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sieht in der Verklappung hingegen kein Problem, sondern die Aktion im Einklang mit internationalen Sicherheitsstandards. Tepco will innerhalb der nächsten 17 Tage rund 7800 Tonnen des Wassers in die offene See leiten. Bis Ende März 2024 sollen dann 31.200 Tonnen verklappt sein.
Atomkatastrophe mit jahrzehntelangen Folgen
Der Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi gilt als die schlimmste Atomkatastrophe seit der in Tschernobyl im Jahr 1986: Am 11. März 2011 kam es dort in Folge eines schweren Erdbebens und eines gewaltigen Tsunami zu einem Super-GAU mit Kernschmelzen.
Noch heute, 12 Jahre nach der Katastrophe, müssen die Reaktoren mit Wasser gekühlt werden, weil der geschmolzene Kernbrennstoff weiterhin im Inneren der Anlage liegt. Das Wasser wird dabei kontaminiert; es enthält anschließend hohe Konzentrationen an radioaktiven Stoffen.
Zusätzlich dringt Grund- und Regenwasser in die beschädigten Reaktorgebäude ein, das sich mit dem Kühlwasser vermischt. Dadurch fallen täglich etwa 100 Tonnen kontaminiertes Wasser an. Es wird inzwischen in mehr als 1000 Tanks gelagert. Doch der Platz geht nach Angaben des Betreibers Tepco aus; die Kapazität liege bereits bei etwa 98 Prozent. Immer mehr Tanks würden die Stilllegungsarbeiten behindern. Sie seien zudem der Gefahr von Lecks zum Beispiel in Folge erneuter Erdbeben ausgesetzt.
Gefahrenbewertung
Wie viel Gefahr von dem kontaminierten Wasser ausgeht, ist umstritten. Tepco nutzt ein Flüssigkeitsaufbereitungssystem, um die Konzentration von radioaktiven Stoffen in dem Wasser zu reduzieren. Das System kann viele Gefahrstoffe herausfiltern, allerdings nicht das radioaktive Isotop Tritium.
Daher verdünnt Tepco das behandelte Kühlwasser mit einer großen Menge Meerwasser und reduziert so die Konzentration des radioaktiven Tritiums auf rund 1500 Becquerel pro Liter – was weniger als einem Vierzigstel der nationalen Sicherheitsnorm entspreche. Auch liege der Wert damit unter dem Richtwert von 10.000 Becquerel pro Liter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Trinkwasser.
Die IAEA kam Anfang Juli in ihrem abschließenden Überprüfungsbericht zu dem Ergebnis, dass Japans Vorhaben mit internationalen Sicherheitsstandards übereinstimme. Die radiologischen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind “vernachlässigbar”, so die Behörde.
Der jährliche Grenzwert für das aus Fukushima ins Meer fließende Tritium soll bei 22 Billionen Becquerel liegen. Diese Zahl ist geringer als das, was viele andere Kernkraftwerke auf der Welt freisetzen. Nach Angaben der IAEA ist es auch in China, Südkorea, den USA und in Frankreich übliche Praxis, radioaktiv belastetes Kühlwasser ins Meer zu leiten.
Auf diesen “völlig akzeptierten Vorgang” verwies auch Clemens Walther, Professor am Institut für Radioökologie und Strahlenschutz in Hannover, gegenüber der Tagesschau. Er habe keine Bedenken gegen das Ableiten des Wassers ins Meer. Es gäbe aus seiner Sicht keine radioökologischen Gründe, die Einleitung zu verbieten.
Fischer fürchten um Existenz
Aus Deutschland kam auch Kritik an der Vorgehensweise. Julian Bothe von der Antiatomkraftorganisation ausgestrahlt sagte: “Die japanische Regierung missbraucht den Ozean als nukleare Müllkippe.” Mit der Einleitung verschleiere die japanische Regierung, dass sie die Katastrophe noch immer nicht im Griff habe. Denn auch biologisch aktiver Kohlenstoff-14 werde neben Tritium nicht herausgefiltert, heißt es in einer Stellungnahme vom Donnerstag. Andere strahlende Stoffe wie Strontium-90 würden nur teilweise entfernt. “Ein weiteres Mal lädt sie [die japanische Regierung] die Gefahren der Atomkraft auf die Umwelt, auf Nachbarländer, Anwohner*innen und nachfolgende Generationen ab”, kritisierte Bothe.
Auch Greenpeace Deutschland wies im Juli darauf hin, dass das kontaminierte Wasser noch weitere gefährliche Radionuklide wie Strontium-90 enthält. “Was an radioaktivem Strontium nun ins Meer gelangen soll, entspricht etwa der Menge, die ein Druckwasserreaktor im Normalbetrieb in 120.000 Betriebsjahren einleiten würde”, erklärte die Organisation.
Örtliche Fischer befürchten zudem weitere Reputationsschäden und Umsatzeinbußen und sind gegen die Verklappung. Am Donnerstag demonstrierten Bürgerinnen und Bürger in der Nähe des Kraftwerks mit Transparenten und Sprechchören.
Auch China forderte Japan auf, kein Kühlwasser aus Fukushima ins Meer zu leiten. “Das gewaltsame Einleiten in den Ozean ist ein extrem egoistischer und unverantwortlicher Akt, der das globale öffentliche Interesse missachtet”, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Peking. In Reaktion auf die Verklappung hat China die Einfuhr von Meeresfrüchten aus zehn japanischen Präfekturen bis auf Weiteres gestoppt.
Um die Unbedenklichkeit der Entsorgung zu belegen, will Japans Fischereibehörde zunächst einen Monat lang jeden Tag Meeresfrüchte auf radioaktives Tritium hin testen und die Testergebnisse veröffentlichen.
Bis zu 40 Jahre wird es nach amtlichen Angaben dauern, bis die Atomruine in Fukushima vollständig stillgelegt ist, doch Kritiker halten diesen Zeitrahmen für viel zu optimistisch. Die geplante Ableitung des Wassers ins Meer wird laut Schätzungen alleine rund 30 Jahre in Anspruch nehmen. (dpa / hcz)