Predatorgate: Menschenrechtskommissar soll griechischen Spionageskandal untersuchen

Sitzungssaal des griechischen Parlaments
Laut dem Untersuchungsbericht der griechischen Behörden war es Zufall, dass der Geheimdienst die Telefonate von Personen abgehört hat, die auch mit Predator angegriffen wurden. (Archivbild) (Quelle: IMAGO / One Inch Productions)

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Michael O’Flaherty, soll den griechischen Abhörskandal untersuchen. Dazu hat ihn die NGO Homo Digitalis aufgefordert.

Die NGO nimmt in ihrem Brief an den Kommissar unter anderem Bezug auf den als “Predatorgate” bezeichneten Spionageskandal in Griechenland. Die staatlichen Ermittlungen zur Überwachung von Politikern und Journalisten mit Spähsoftware waren im Juli eingestellt worden.

Die NGO schreibt, zentrale Fragen blieben damit unbeantwortet. O’Flaherty solle weitere Informationen von den griechischen Behörden anfordern und die Situation in Griechenland untersuchen.

Mit Predator gegen Journalisten und Politiker

Beim Abhörskandal in Griechenland konnten Sicherheitsforscher im Jahr 2022 nachweisen, dass das Mobiltelefon des Reporters Thanasis Koukakis mit Predator ausspioniert wurde. Im selben Jahr wurde bekannt, dass auch der Vorsitzende der Oppositionspartei PASOK, Nikos Androulakis, mit der Spähsoftware angegriffen wurde. Androulakis hatte deswegen Anzeige erstattet.

Europarat

Der 1949 gegründete Europarat mit Sitz in Straßburg ist eine internationale Organisation, die über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in seinen 46 Mitgliedsstaaten wacht. Er ist keine EU-Institution.

Predator ermöglicht Angreifern, Smartphones komplett zu übernehmen und die darauf gespeicherten Informationen auszulesen. Auch Kamera und Mikrofon lassen sich unbemerkt einschalten sowie der Standort verfolgen.

Unter anderem durch Medienrecherchen war bekannt geworden, dass auch weitere Politiker, Medienschaffende und Unternehmer mit der Spähsoftware angegriffen wurden. Auch eine ehemalige Meta-Angestellte wurde überwacht.

Staatsanwaltschaft spricht von Zufällen

Zudem war bekannt geworden, dass einige der Angriffsziele vom Geheimdienst auch mit klassischer Telefonüberwachung abgehört wurden – darunter der Oppositionspolitiker Androulakis. Die Telefonüberwachung des Oppositionellen hatte die Regierung eingeräumt und von einem Fehler gesprochen.

Den staatlichen Einsatz der Spionagesoftware hatte Premierminister Kyriakos Mitsotakis, dem der Geheimdienst direkt untersteht, jedoch stets bestritten.

Ende Juli hatte die oberste Staatsanwältin des Landes bekannt gegeben, dass die Ermittlungen zu “Predatorgate” eingestellt wurden. Es seien keine Beweise dafür gefunden worden, dass Politiker oder Behörden in den Kauf oder die Verwendung der Spähsoftware Predator involviert waren. Das schließe auch den Nachrichtendienst EYP ein.

Die Nachrichtenseite Politico konnte den Untersuchungsbericht eigenen Angaben zufolge einsehen. Demnach gab es 116 Predator-Angriffsziele in Griechenland – 28 dieser Personen seien zusätzlich rechtmäßig vom Geheimdienst abgehört worden. Laut dem Untersuchungsbericht sei das aber Zufall gewesen und es gebe keinen Zusammenhang zwischen den beiden Überwachungsmethoden.

Die Smartphones des Reporters Koukakis und der Meta-Mitarbeiterin Artemis Seaford wurden dem Bericht zufolge tatsächlich mit Predator ausgeforscht. In allen anderen Fällen habe es sich nur um Angriffsversuche gehandelt. Die Anwälte der Betroffenen hätten dem jedoch widersprochen: Auch andere Mobiltelefone seien nachweislich mit der Spähsoftware infiziert worden.

An den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte es viel Kritik gegeben. Der Anwalt des Journalisten Koukakis hatte sie gegenüber Politico beispielsweise als “unvollständig und oberflächlich” kritisiert.

Helene Hahn von Reporter ohne Grenzen (RSF) hatte bei der Einstellung der Ermittlungen gegenüber Posteo gesagt, die Entscheidung sei zutiefst bedauerlich und suggeriere, dass die politisch Verantwortlichen ungestraft davonkommen können.

Entmachtete Aufsichtsbehörden

Homo Digitalis schreibt, der Europarat habe Griechenland bereits im Dezember 2023 aufgefordert, die Vorkommnisse unabhängig und sofort zu untersuchen. Weil das nicht geschehen sei, werde das Misstrauen in der Bevölkerung größer, ob die Privatsphäre ausreichend geschützt ist.

Die NGO kritisiert zudem, die nationalen Aufsichtsbehörden wie die Datenschutzbehörde DPA würden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben erheblichen Hürden gegenüberstehen. Auch die DPA hatte den Überwachungsskandal untersucht. Homo Digitalis kritisiert insbesondere, dass der Behörde im Jahr 2019 die Befugnis entzogen wurde, die Überwachungstätigkeiten des Geheimdienstes zu kontrollieren. Das stehe im Widerspruch zu ihrem verfassungsmäßigen Auftrag.

Auch beschränkte Finanzmittel und zu wenige Mitarbeiter seien ein Problem für die nationalen Aufsichtsbehörden.

Homo Digitalis weist den Menschenrechtskommissar zudem darauf hin, dass die Verabschiedung eines Präsidialdekrets bevorstehe, das staatlichen Behörden die Beschaffung von Spähsoftware erlauben soll. Dabei seien aber weder die Datenschutzbehörde, die nationale Menschenrechtskommission, noch die Zivilgesellschaft einbezogen worden.

Die Organisation bittet den Menschenrechtskommissar O’Flaherty auch, die griechischen Aufsichtsbehörden zu unterstützen.

O’Flaherty hat seinen Posten am 1. April 2024 angetreten. Seine Vorgängerin Dunja Mijatović hatte im Jahr 2023 ein Moratorium für Spähsoftware gefordert. Sie hatte erklärt, angesichts des starken Eingriffs in die Privatsphäre sei es schwer, sich ein Szenario vorzustellen, in dem der Einsatz solcher Überwachungsprogramme mit den Menschenrechten vereinbar wäre. (js)