Europarat: Menschenrechtskommissarin fordert Moratorium für Spähsoftware

Dunja Mijatović
Neben Mijatović fordern inzwischen etliche Organisationen und Menschenrechtsexperten ein Moratorium für den Handel und den Einsatz von Spähsoftware. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, fordert ein Moratorium für den Einsatz von Spähsoftware wie Pegasus. Angesichts des starken Eingriffs in die Privatsphäre sei es schwer, sich ein Szenario vorzustellen, in dem der Einsatz solcher Überwachungsprogramme mit den Menschenrechten vereinbar wäre.

Mijatović schreibt, mehr als 18 Monate seien seit der Veröffentlichung der Recherchen des Pegasus-Projektes inzwischen vergangen. Internationale Medienorganisationen hatten darin aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden. Die Spähsoftware des israelischen Entwicklers NSO ermöglicht Angreifern den vollständigen Zugriff auf das Smartphone der Spionageopfer. Auf einer Liste mit potenziellen Ausspähzielen standen auch hochrangige Politiker.

Europarat

Der 1949 gegründete Europarat mit Sitz in Straßburg ist eine internationale Organisation, die über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in seinen 46 Mitgliedsstaaten wacht. Er ist keine EU-Institution.

Mijatović erklärte, Regierungen hätten zwar die Pflicht, die Sicherheit in ihrem Land zu gewährleisten – auch Überwachungstechnologien könnten in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz von Rechten und Freiheiten notwendig sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in seiner Rechtsprechung aber Voraussetzungen dafür aufgestellt: So müsse jede Überwachungsmaßnahme im Einklang mit dem Gesetz erfolgen, einem legitimen Ziel dienen sowie notwendig und verhältnismäßig sei. Heimliche Überwachung dürfe außerdem nur im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung eingesetzt werden, wenn sich herkömmliche Ermittlungsmittel als unwirksam erwiesen haben.

Spähsoftware-Missbrauch

Es gebe jedoch zahlreiche Beweise dafür, dass Pegasus illegal eingesetzt wurde – auch von Mitgliedsstaaten des Europarats. Menschen seien außerhalb der demokratischen Kontrolle zu politischen Zwecken überwacht worden. Immer neue Enthüllungen über den gezielten Einsatz von Spähsoftware, etwa gegen Medienschaffende, deuten der Menschenrechtskommissarin zufolge darauf hin, dass bisher nur die “Spitze des Eisbergs” bekannt ist. Spähsoftware sei zu einem “festen Bestandteil staatlicher Repression” geworden, die unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit verwendet wird.

Die Menschenrechtskommissarin kritisiert, Regierungen hätten auch nicht erklärt, welche angeblichen Gefahren mit dem Einsatz von Spähsoftware abgewehrt werden sollten. Demgegenüber stehe eine lange Liste von Menschenrechtlern, Medienschaffenden und Oppositionellen, die ins Visier genommen wurden.

Was ist Pegasus?

Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.

Mijatović zeigt sich alarmiert über die Auswirkungen leistungsfähiger Überwachungswerkzeuge wie Pegasus: Das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Privatsphäre stehe auf dem Spiel. Die Verwendung könne aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Außerdem werde ein Klima “der Selbstzensur und der Angst” geschaffen.

Laut Mijatović kann der Einsatz von Spähsoftware wie Pegasus nicht auf bestimmte Personen oder einen bestimmten Zeitraum beschränkt werden. Es sei immer auch das Umfeld der Zielperson betroffen. Die gezielte Ausspähung von Medienschaffenden etwa gefährde auch deren Quellen. Deshalb könnte eine solche Überwachungsmaßnahme auch nicht kontrolliert werden, selbst wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen die Auflagen des Europäischen Gerichtshofs erfüllen würden.

Mijatović zufolge ist es daher “unvorstellbar”, dass der Einsatz von Pegasus und ähnlichen Werkzeugen jemals im Einklang mit dem Gesetz und den Vorgaben des Menschenrechtsgerichtshofs stehen kann.

Überwachungsindustrie verkauft an “Meistbietenden”

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats kritisiert aber auch die hinter den Überwachungsprogrammen stehende Industrie, die seit Jahrzehnten floriere. Die Spähsoftware-Entwickler würden ihre Software an die “Meistbietenden” verkaufen – oft ohne ordnungsgemäße Ausfuhrlizenz oder andere Prüfverfahren. Die Enthüllungen über den Verkauf von Überwachungstechnik durch das griechische Unternehmen Intellexa an Paramilitärs im Sudan seien daher zwar schockierend, aber “leider nicht überraschend”.

Der Pegasus-Spionageskandal sei “mehr als nur eine beschämende Episode”. Mijatović warnt, ohne Restriktionen werde die Überwachung weiter zunehmen. Es sei lobenswert, dass Untersuchungen zum Einsatz von Spähsoftware laufen, doch würden auch weiterhin Menschenrechtler, Medienschaffende und Politiker gezielt überwacht. Um weiteren Missbrauch zu verhindern, müssten jetzt Maßnahmen ergriffen werden.

Mijatović fordert die Mitgliedsstaaten des Europarats daher auf, ein striktes Moratorium für den Export, den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Spähsoftware wie Pegasus zu verhängen. Die Staaten müssten außerdem einen menschenrechtskonformen Rechtsrahmen für die Verwendung moderner Überwachungstechnologien schaffen, der etwa die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle vorsieht. Spionageopfern müsse es ermöglicht werden, Rechtsmittel einzulegen.

Rufe nach Moratorium und Verbot

Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen fordern seit längerem ein solches Moratorium.

Im November 2022 hatte der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, sogar ein Verbot von Spähsoftware gefordert. Vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament hatte Kaye erklärt, er habe ernsthafte Zweifel, dass diese Technologien jemals den Anforderungen von internationalen Menschenrechtsabkommen genügen können. Ein Moratorium bezeichnete er als Mindestmaßnahme.

Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte, Wojciech Wiewiórowski, hatte sich Mitte Februar 2022 für ein Verbot von Spionagesoftware mit den Fähigkeiten von Pegasus in der EU ausgesprochen. Solche Programme gefährdeten die Grundrechte und -freiheiten der Menschen, aber auch die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ihre Verwendung sei daher mit den demokratischen Werten der EU unvereinbar.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats schreibt, Medienschaffende und zivilgesellschaftliche Organisationen hätten die Gefahr von Spähsoftware ans Licht gebracht – nun brauche es politischen Willen um weiteren Missbrauch zu verhindern. (js)