Saudi-Arabien richtet 81 Menschen an einem Tag hin

Flagge Saudi-Arabiens
Der Auswärtige Dienst der EU fordert ein Moratorium als ersten Schritt zur Abschaffung der Todesstrafe. (Quelle: IMAGO / Shutterstock)

In Saudi-Arabien wurden am vergangenen Samstag 81 Männer hingerichtet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet, es habe sich um die größte Massenhinrichtung seit Jahren gehandelt. Aufgrund von Missständen im saudischen Strafrechtssystem sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Männer ein gerechtes Verfahren erhalten haben.

Das saudische Innenministerium hatte am Samstag die Namen der Männer veröffentlicht und erklärt, sie seien unter anderem wegen Mordes und Verbindungen zu ausländischen Terrororganisationen hingerichtet worden. Anderen wurde vorgeworfen, Waffen geschmuggelt zu haben, um “die Sicherheit zu destabilisieren”.

Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei HRW, kritisierte: “Saudi-Arabiens Massenhinrichtung von 81 Männern an diesem Wochenende war eine brutale Demonstration der autokratischen Herrschaft und eines Justizsystems, das ernsthafte Zweifel an der Fairness der Prozesse und Urteile aufkommen lässt.”

Folter und erzwungene Geständnisse

Nach Angaben von Human Rights Watch gehörten 41 Männer der schiitischen Minderheit an. Diese leide unter systematischer Diskriminierung und Gewalt durch die Regierung. Viele saudische Schiiten verbüßen demnach lange Haftstrafen, sitzen in Todeszellen oder wurden nach unfairen Prozessen hingerichtet. Auch sieben Jemeniten und ein Syrer seien unter den Getöteten gewesen.

Nur drei der 41 Schiiten seien wegen Mordes verurteilt worden. In den anderen Fällen wurden Urteile beispielsweise wegen versuchtem Mordes an Polizeibeamten “durch Angriffe auf Polizeistationen” gefällt oder weil die Angeklagten die Verhaftung gesuchter Personen behindert hätten.

Fünf Gerichtsurteile konnte HRW einsehen. Die Organisation urteilt, dass gegen das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren verstoßen wurde. In allen Fällen hatten die Männer vor Gericht ausgesagt, dass sie gefoltert und ihre Geständnisse erzwungen wurden. Ähnliche Verfahrensverstöße hat HRW nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren wiederholt bei Prozessen gegen Angehörige der schiitischen Gemeinschaft Saudi-Arabiens festgestellt.

Angehörige erfuhren durch die Medien von Hinrichtungen

Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, verurteilte die Tötungen. Sie berichtete, die getöteten Schiiten hätten sich in den Jahren 2011 und 2012 an Protesten gegen die Regierung beteiligt und eine stärkere politische Beteiligung gefordert. Bachelet kritisierte ebenfalls, einige der Hingerichteten seien in Prozessen verurteilt worden, die nicht die erforderlichen Garantien für ein faires Verfahren geboten hätten. Nach internationalem Menschenrecht und humanitärem Recht sei dies verboten – und könne ein Kriegsverbrechen darstellen.

Nach Angaben von Human Rights Watch wurden die Angehörigen nicht im Voraus über die Hinrichtungen informiert – und hätten sich somit nicht verabschieden können. Der Bruder eines Getöteten sagte, er habe erst durch die Medien von den Hinrichtungen erfahren: “Wir haben keine Ahnung, wie und wann sie getötet wurden, wie und wo sie begraben wurden.”

Michael Page von HRW kritisierte: “Die schockierende Härte, mit der sie behandelt wurden, wird durch die Tatsache verstärkt, dass viele Familien vom Tod ihrer Angehörigen genau wie wir alle erst im Nachhinein und durch die Medien erfahren haben.”

Auch der Auswärtige Dienst der Europäischen Union verurteilte die jüngsten Hinrichtungen in Saudi-Arabien. Die EU lehne die Todesstrafe grundsätzlich und unter allen Umständen ab und fordere ein Moratorium als ersten Schritt zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe in Saudi-Arabien. Auch die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen fordert ein solches Moratorium. Die saudischen Behörden müssten alle Hinrichtungen stoppen und Todesurteile umwandeln.

Human Rights Watch lehnt die Todesstrafe ebenfalls “in allen Ländern und unter allen Umständen” ab. Sie sei in ihrer Grausamkeit und Endgültigkeit einzigartig – und mit Willkür und Fehlern behaftet.

Weit gefasste Terrorismus-Definition

Die Organisation kritisiert, in Saudi-Arabien gebe es kein formelles Strafgesetzbuch. In dem Land gilt die Scharia – zusätzlich habe die Regierung Gesetze erlassen, die bestimmte Taten unter Strafe stellen. Richter und Staatsanwälte könnten Menschen wegen weit gefasster Anschuldigungen wie “Treuebruch gegenüber dem Herrscher” verurteilen. Regelmäßig komme es zu willkürlichen Verhaftungen. Menschen würden über lange Zeit ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Sie bekämen keinen Rechtsbeistand und würden gezwungen, Geständnisse zu unterschreiben.

Michelle Bachelet äußerte zudem Sorge über weit gefasste Definitionen von Terrorismus in der saudischen Gesetzgebung. Diese würden auch gewaltlose Handlungen einschließen, die angeblich “die nationale Einheit gefährden” oder “das Ansehen des Staates untergraben”. Dadurch könnten Menschen kriminalisiert werden, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung oder friedliche Versammlung wahrnehmen.

Wie HRW berichtet, hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im Jahr 2020 angedeutet, die Todesstrafe für einige Straftaten abschaffen zu wollen. Im selben Jahr sei eine Gesetzesänderung bestätigt worden, mit der die Todesstrafe für minderjährige Straftäter ausgesetzt wurde. Dennoch könnten Staatsanwaltschaften etwa bei Mord weiterhin die Todesstrafe beantragen, wenn die mutmaßlichen Straftäter noch minderjährig sind.

Menschenrechtler haben wiederholt auf die hohe Anzahl an Hinrichtungen in Saudi-Arabien hingewiesen. Im Jahr 2019 hatte Saudi-Arabien 37 Menschen an einem Tag hingerichtet. Laut HRW waren mindestens 33 von ihnen Schiiten, die in unfairen Verfahren verurteilt wurden. Die damalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, hatte kritisiert: “Mit diesen Hinrichtungen verstärkt sich in Saudi-Arabien leider der Trend immer weiter steigender Hinrichtungszahlen.”

Im vergangenen Jahr hatte Amnesty International berichtet, nach einem Rückgang während der G20-Präsidentschaft des Landes seien wieder mehr Menschen hingerichtet worden: Im Jahr 2021 wurden 67 Menschen in Saudi-Arabien exekutiert – nach 27 Menschen im Vorjahr. (js)