Saudi-Arabien: Sprunghafter Anstieg von Hinrichtungen

Saudi-Arabien
Saudi-Arabien rühmt sich selbst für seine Reformbemühungen. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Saudi-Arabien hat in diesem Jahr bereits 198 Menschen hingerichtet, so viele wie seit 1990 nicht mehr. Das teilte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Samstag mit.

So sei die Anzahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten 2024 sprunghaft angestiegen. Allein wegen dieses Tatbestandes seien in diesem Jahr bereits 53 Menschen getötet worden – im Juli hätte durchschnittlich alle zwei Tage eine Exekution stattgefunden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 waren nur zwei Personen wegen Drogendelikten hingerichtet worden.

Amnesty kritisiert der Staat missbrauche die Todesstrafe auch, “um politisch Andersdenkende zum Schweigen zu bringen und Bürger der schiitischen Minderheit des Landes zu bestrafen, die zwischen 2011 und 2013 ‘regierungsfeindliche’ Proteste unterstützt hatten”. Zudem würden bei Verhandlungen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren und den Schutz von Angeklagten nicht eingehalten.

“Die Todesstrafe ist eine abscheuliche und unmenschliche Bestrafung, die Saudi-Arabien gegen Menschen bei einer Vielzahl von Straftaten verhängt, darunter politisch motivierte Taten und Drogendelikte – nach äußerst unfairen Verfahren”, erklärte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.

Die saudischen Behörden hätten wiederholt versprochen, die Anwendung der Todesstrafe einzuschränken. So hatte Kronprinz Mohammed bin Salman im März 2022 erklärt, das Land habe die Todesstrafe abgeschafft, mit Ausnahme von Fällen, in denen sie nach der Scharia vorgeschrieben sei. Dabei habe es sich aber nur um eine Kampagne aus leeren Worten gehandelt, um das Image des Landes aufzupolieren, kritisiert Amnesty.

Die Organisation fordert die Behörden des Landes auf, sofort ein Moratorium für Hinrichtungen zu verhängen. Fälle, in denen die Todesstrafe verhängt wurde, müssten neu verhandelt werden in Prozessen, die im Einklang mit internationalen Standards stehen – und ohne erneute Todesurteile.

Erfundene Vorwürfe

Als Beispiel für den Einsatz der Todesstrafe gegen Oppositionelle nennt Amnesty den Fall des pensionierten Verkehrspolizisten Abdulmajeed Al-Nimr. Die regierungseigene Saudi Press Agency (SPA) hatte am 17. August 2024 die Hinrichtung des Mannes gemeldet. Ihm sei vorgeworfen worden, sich Al-Qaida angeschlossen zu haben. Laut Amnesty legen Gerichtsdokumente jedoch nahe, dass es um die angebliche Unterstützung von “regierungsfeindlichen” Protesten in der schiitisch geprägten Ostprovinz ging.

Ein Sonderstrafgericht hatte Al-Nimr im Oktober 2021 ursprünglich nur zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, weil er versucht haben soll, durch Teilnahme an Demonstrationen und das Rufen von Parolen “das soziale Gefüge und die nationale Einheit zu destabilisieren”. Auch hätte er “gegen die Entscheidung zur Festnahme und strafrechtlichen Verfolgung gesuchter Personen Einspruch erhoben”.

In einem Berufungsverfahren wurde seine Strafe auf die Todesstrafe erhöht. Das Sonderstrafgericht habe Al-Nimrs angebliche Verbindungen zu Al-Qaida mit keinem Wort erwähnt, so Amnesty. Die Diskrepanz zwischen den von der saudischen Presseagentur gemeldeten Anklage und den Gerichtsdokumenten Al-Nimrs zeige einen eklatanten Mangel an Transparenz bei Gerichtsverfahren in Todesstrafenfällen.

Zudem sei Al-Nimr zwei Jahre lang der Zugang zu einem Anwalt verwehrt worden. Er habe drei Monate in Haft verbracht, ohne über den Grund seiner Festnahme informiert worden zu sein. Seine Verurteilung habe allein auf einem Geständnis beruht, das seiner Aussage nach unter Zwang zu Stande gekommen war.

Verurteilte ohne Rechte

Todesstrafen aufgrund von Drogendelikten träfen zu einem großen Teil Ausländer, berichtet Amnesty, beispielsweise aus Ägypten, Syrien oder Niger. Die Betroffenen säßen teils lange in den Gefängnissen, ohne über den Status ihres Verfahrens informiert zu werden. Ein ägyptischer Mann, der wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt, berichtete Amnesty: “Ich sitze seit sieben Jahren in der Todeszelle, weil ich acht Gramm Haschisch besessen habe. Ich wurde auch wegen der Absicht, Drogen zu beschaffen, verurteilt, was ich nicht gestanden und abgestritten habe. Wo sonst auf der Welt wird jemand dafür zum Tode verurteilt?”

Der Mann sei im Jahr 2019 zum Tode verurteilt worden und habe seither bei allen Regierungsstellen nach dem Stand seines Falles gefragt – vom Innenministerium bis zum Obersten Justizrat. Doch keine Instanz habe ihm eine Antwort geben können. Ihm und drei weiteren Männern sei ein Rechtsbeistand verwehrt worden, ebenso wie das Recht, Berufung einzulegen.

Mehr Exekutionen weltweit

Die tatsächliche Anzahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien könnte noch höher liegen, warnte Amnesty. Die saudi-arabische Nachrichtenagentur hätte bereits im Jahr 2022 zu wenige Exekutionen gemeldet. Damals wurden offiziell 196 Menschen hingerichtet – die höchste jährliche Zahl, die Amnesty in den letzten 30 Jahren in dem Land verzeichnet hatte.

Im letzten Jahr sind dem Amnesty Jahresbericht zufolge weltweit so viele Menschen hingerichtet worden, wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Die Organisation dokumentierte 1153 Hinrichtungen in 16 Ländern. Hinzu kommt laut Amnesty eine hohe Dunkelziffer, weil aus einigen Ländern keine Informationen vorlagen – darunter China, wo wahrscheinlich mehr Menschen als in jedem anderen Land hingerichtet werden. Die Zahl der weltweit dokumentierten Exekutionen war 2023 laut Bericht um 31 Prozent gegenüber dem Jahr 2022 gestiegen, als Amnesty 883 Hinrichtungen dokumentiert hatte.

Mit 172 Exekutionen war Saudi-Arabien 2023 für 15 Prozent der von Amnesty erfassten Tötungen weltweit verantwortlich. (hcz)