Spionageskandal: Griechische Regierung in Erklärungsnot

Premier Mitsotakis mit Flagge
Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert, die Ermittlungen zum griechischen Spähsoftware-Skandal würden von der Regierung unter Premier Mitsotakis (Bild) verschleppt. (Quelle: IMAGO / ANE Edition)

Elf Angriffe mit der Spähsoftware Predator in Griechenland wurden von der Telefonnummer von Grigoris Dimitriadis versendet – dem Neffen des Premierministers. Das zeigt eine neue Recherche des griechischen Investigativportals Reporters United gemeinsam mit dem Spiegel und weiteren internationalen Medien. Dimitriadis bestreitet, mit den Angriffen etwas zu tun zu haben.

Laut den Recherchen hatte Dimitriadis am 25. Januar 2021 zahlreiche Glückwünsche zu seinem Namenstag erhalten. Am darauffolgenden Tag erhielten elf der Absender als Antwort eine Dankesnachricht von seiner Telefonnummer mit einem Link zu einer digitalen Grußkarte – der beim Öffnen eine Infektion mit Predator ausgelöst hätte.

Predator ermöglicht Angreifern, Mobiltelefone komplett zu übernehmen und die darauf gespeicherten Informationen auszulesen. Auch Kamera und Mikrofon lassen sich unbemerkt einschalten und der Standort verfolgen. Hinter der Software steht die Intellexa-Allianz – ein Zusammenschluss von Firmen, der auch Niederlassungen innerhalb der Europäischen Union hat, darunter Griechenland.

Zu den elf Personen, die im Januar 2021 eine infizierte Nachricht erhalten haben, zählte unter anderem die stellvertretende Direktorin des Büros von Premierminister Kyriakos Mitsotakis, Elina Kypreou. Auch Dimitris Avramopoulos, ehemaliger EU-Kommissar für Migration, erhielt eine solche Nachricht; ebenso wie Vasiliki Vlachou, die für den Geheimdienst zuständige Staatsanwältin. Aber auch der Chef der Polizei, ein Oppositionspolitiker sowie der Betreiber eines Athener Cafés, das bei Politikern und Journalisten beliebt ist, wurden laut Bericht mit Predator angegriffen.

Medienschaffende und Politiker angegriffen

Der als “Predatorgate” bezeichnete Spionageskandal war Anfang 2022 ins Rollen gekommen. Damals konnten Sicherheitsforscher nachweisen, dass das Telefon des griechischen Reporters Thanasis Koukakis mit Predator ausspioniert wurde. Später wurde bekannt, dass auch der Oppositionspolitiker Nikos Androulakis angegriffen wurde.

Die griechische Datenschutzbehörde DPA hat bei ihrer Untersuchung des Spionageskandals inzwischen 92 Telefonnummern als Angriffsziele identifiziert. Darunter sind Politiker, Medienschaffende, aber auch eine ehemalige Meta-Angestellte.

Der griechische Geheimdienst hatte einige der Predator-Ziele auch mit einer klassischen Telefonüberwachung belauscht – darunter den Oppositionellen Androulakis. Premier Mitsotakis bestreitet jedoch einen staatlichen Einsatz von Predator.

Mitsotakis hatte den Geheimdienst nach seinem Amtsantritt 2019 direkt unter seine Verantwortung gestellt. Seinen Neffen Dimitriadis hatte er als Generalsekretär angestellt und ihm die Aufsicht über den Geheimdienst EYP übertragen – auch Dimitriadis bestreitet den staatlichen Einsatz der Spähsoftware.

Nachdem bekannt geworden war, dass der Chef der sozialdemokratischen Partei PASOK und EU-Parlamentsabgeordnete Nikos Androulakis mit Predator angegriffen und vom Geheimdienst abgehört wurde, war Dimitriadis im August 2022 zurückgetreten. Oppositionspolitiker hatten dies als Schuldeingeständnis gewertet.

Angreifer weiter unbekannt

Ob Grigoris Dimitriadis die Predator-Nachrichten aber wirklich selbst versendet hat, bleibt laut den Recherchen unklar. Wie der Spiegel berichtet, hatte die griechische Datenschutzbehörde die infizierten Nachrichten gefunden. Der Behörde zufolge haben die Angreifer in Griechenland Prepaid-Karten genutzt, die sich nicht zurückverfolgen lassen und die Herkunftsdaten der jeweiligen Nachrichten verändert. Bei den elf Empfängerinnen und Empfängern wurde demnach zumindest die Telefonnummer von Dimitriadis als Absender angezeigt.

Dimitriadis hat auf Anfrage der Journalisten jede Beteiligung an den Angriffen zurückgewiesen. Die Journalisten weisen jedoch darauf hin, dass der oder die Angreifer wussten, von wem Dimitriadis am Tag vor den Angriffen Glückwünsche erhalten hatte. Premierminister Mitsotakis äußerte sich “inhaltlich nicht zu dem Sachverhalt”.

Wie brisant die Enthüllungen aber für ihn und seinen Neffen sind, zeige möglicherweise der Umgang mit den Untersuchungsergebnissen der unabhängigen griechischen Datenschutzbehörde, heißt es im Spiegel-Bericht. Denn die Behörde hatte ihren Abschlussbericht im Sommer an die zuständige Staatsanwaltschaft in Athen übergeben. Die wollte prüfen, ob die 92 identifizierten Predator-Ziele mit denen übereinstimmen, die auch Ziel einer klassischen Telefonüberwachung durch den Geheimdienst waren. Denn das könnte ein weiteres Indiz für eine systematische Staatsspionage sein – und Premierminister Mitsotakis sowie seinen Neffen belasten.

Kritik an stockenden Ermittlungen

Doch Griechenlands oberste Staatsanwältin hat der Staatsanwaltschaft in Athen den Fall entzogen. Die Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs will stattdessen selbst ermitteln. Der Spiegel schreibt, es wirke, als werde damit “die letzte Hoffnung auf eine unabhängige Untersuchung” zunichte gemacht: die oberste Staatsanwältin werde von der Regierung eingesetzt und gelte als linientreu.

Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) spricht von einer “vorsätzlichen Lähmung” der Ermittlungen. Es wirke, als seien die griechischen Behörden entschlossen, sie nicht weiter voranzubringen, kritisiert die Organisation.

“Die schamlose politische Sabotage der Ermittlungen muss aufhören”, forderte Pavol Szalai von RSF.

Die Organisation befürchtet, die Verweisung des Falls an den Obersten Gerichtshof könnte dazu führen, dass die Verjährungsfrist abläuft und eine Strafverfolgung unmöglich wird.

RSF kritisiert zudem, dass ehemalige und aktuelle Mitarbeitende der griechischen Behörde für Kommunikationssicherheit ADAE als Verdächtige vorgeladen wurden, weil sie angeblich Staatsgeheimnisse an den mit Predator überwachten Journalisten Thanasis Koukakis weitergegeben haben sollen. Auch diese Behörde hatte den Spionageskandal untersucht – laut RSF werden die Ermittlungen auch durch diese Vorladungen politisch behindert. (js)