Staaten können sich nicht auf Regeln für Tiefseebergbau einigen
Dass der unberührte Meeresboden der Tiefsee bald von großen Bergbaumaschinen beackert und umgewälzt wird, ist ein wenig wahrscheinlicher geworden. Denn die Staatengemeinschaft konnte sich bislang nicht auf gemeinsame Regeln einigen: In gut drei Monaten verstreicht eine Frist, Regeln für den kommerziellen Bergbau am Meeresboden aufzustellen. Zum Abschluss ihrer letzten Sitzung vor Ablauf der Frist vereinbarten die 36 Ratsmitglied-Staaten der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) auf Jamaika am Freitag kein solches Regelwerk.
Stattdessen einigten sich sich nur darauf, bis zu ihrer nächsten Sitzung im Juli einen informellen Dialog fortzusetzen – einen Tag nach Ablauf der Frist.
Nach Verstreichen der Frist am 9. Juli wird die ISA aber etwaige Anträge zur Genehmigung kommerzieller Bergbauprojekte in der Tiefsee internationaler Gewässer bearbeiten müssen. Wie damit umzugehen ist, solange kein Regelwerk vorliegt, soll nun im Dialog zwischen den Sitzungen besprochen werden.
Angesichts bereits dokumentierter Umweltschäden unabsehbaren Ausmaßes forderten viele Experten und Staaten – darunter Deutschland – keinen Tiefseebergbau zuzulassen und stattdessen eine vorsorgliche Pause einzulegen. Die Bundesregierung hatte im November 2022 erklärt, bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu unterstützen. Zuerst müssten die Folgen besser erforscht werden.
Im November 2022 sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke noch: “Tiefseebergbau würde die Meere weiter belasten und Ökosysteme unwiederbringlich zerstören. Deshalb werben wir als ersten Schritt für ein Innehalten und keine vorschnellen Entscheidungen auf Kosten der Meeresumwelt.” Es gäbe nun die Chance, eine weitere Umweltkrise abzuwenden und dem Erhalt der Natur Vorrang zu geben.
Auch Naturschutzverbände und Meeresforscher wie Greenpeace halten den Tiefseebergbau für katastrophal: Bei dem Abbau wird durch große Spezialmaschinen die oberste Schicht des Meeresbodens abgetragen. Das kann einzigartige Ökosysteme schädigen und ganze Arten auslöschen. Denn das Sediment beinhaltet viele Lebewesen.
Greenpeace zeigte sich in einer Stellungnahme enttäuscht, dass kein Regelwerk beschlossen wurde. “Für die Juli-Sitzung bedeutet das, dass wirklich Druck im Kessel ist, dass es dort zu einer Entscheidung kommen muss”, sagte Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker am ISA-Sitz in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. “Den Regierungen muss klar sein, dass sie die Menschheit in eine gefährliche neue Industrie treiben, die massive Schädigungen für die Ökosysteme mit sich ziehen wird.” Greenpeace befürchtet einen großen Rückschlag für den Meeresschutz.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) weist darauf hin, dass die Folgen des Tiefseebergbaus kaum reversibel sind. Sie wären noch nach mehreren Jahrtausenden beobachtbar. Der Abbau könnte seltene Arten und Habitate unwiederbringlich zerstören.
Rohstoffe für das Wachstum
Als sogenannter Sponsor eines Tochterunternehmens des kanadischen Konzerns The Metals Company hatte der Inselstaat Nauru im Jahr 2021 angekündigt, einen Antrag auf Tiefseebergbau zu stellen. Nach einer Klausel des UN-Seerechtsübereinkommens wurde damit die zweijährige Frist ausgelöst, in der Regularien verabschiedet werden müssen.
Konkret geht es um den Abbau von Manganknollen auf dem Meeresboden in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik zwischen Mexiko und Hawaii. Diese enthalten Rohstoffe, die in der Herstellung von Batterien, etwa für Elektroautos oder Smartphones, verwendet werden könnten – wie Kupfer, Cobalt, Zink und Nickel. Auch für den Umstieg auf erneuerbare Energien könnten sie genutzt werden. Die Preise für diese Rohstoffe sind in den vergangen Jahren rasant gestiegen, weshalb sich der aufwändige Abbau in der Tiefsee mittlerweile ökonomisch lohnen könnte.
Die Knollen bilden sich aber nur extrem langsam; sie wachsen etwa um 5 Millimeter in eine Million Jahre. Typischerweise haben sie in etwa die Ausmaße einer Kartoffel und liegen in Tiefen von 2000 bis 6000 Meter. Sie selbst sind dem UBA zufolge bereits “Grundlage einzigartiger Lebensräume”.
Berichte von Greenpeace und der Umweltorganisation WWF stellen die Notwendigkeit des Abbaus der Metalle infrage. Meereswissenschaftler und Experten für Meerespolitik starteten 2021 einen gemeinsamen Aufruf, den Bergbau in der Tiefsee vorerst zu pausieren, weil Wissenslücken über die Folgen bestünden und irreversible Schäden entstehen könnten. Ähnlich argumentieren große Unternehmen wie BMW, Volvo, Samsung und Google, die gemeinsam im Frühjahr 2021 ebenfalls ein Moratorium gefordert haben. Sie wollen für ihre Produktion auf Metalle aus der Tiefsee verzichten.
Eine Ende Februar veröffentlichte Greenpeace-Studie belegte zudem, dass Ressourcen aus der Tiefsee für eine nachhaltige Wende zu E-Mobilität und grünen Technologien nicht nötig sind. Zentrale Batterierohstoffe wie Lithium und Graphit könnten nicht aus Manganknollen gewonnen werden; der Trend entwickle sich zudem zunehmend weg von Kobalt und Nickel – und eine Manganknappheit sei nicht zu erwarten. Die Organisation spricht von einer Täuschung der Tiefseebergbau-Lobby, um ihre Pläne zu rechtfertigen.
Kritik an Entscheidungsträgern
Einige Beobachter hatten dem Sekretariat der Internationalen Meeresbodenbehörde zuletzt mangelnde Neutralität und eine Nähe zur Industrie vorgeworfen. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, kritisierte in einem Brief an Generalsekretär Michael Lodge, dass dieser gegen Vorschläge von Mitgliedstaaten öffentlich Position bezogen habe. Lodge wies die Kritik zurück.
Zu einem wichtigen Thema wird nun die Rolle der Rechts- und Technikkommission der ISA bei der Bearbeitung der bald möglichen Abbauanträge, wie Pradeep Singh vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit des Helmholtz-Zentrums Potsdam erklärte. Einige Staaten wollten, dass der ISA-Rat den Empfehlungen der als undurchsichtig kritisierten Kommission vorgreift, um die Genehmigung von Anträgen auf zweifelhafter Grundlage zu verhindern. Diese Fraktion scheine in der Mehrheit zu sein, sagte Singh in Kingston – während der Sitzungen dort wurden keine Journalisten in den Saal gelassen. Es brauche jetzt mehr Dialog, damit sich zeige, wer wo steht.
Die Tiefsee gehört zu den am wenigsten erforschten Gebieten der Erde; der Kenntnisstand ist laut UBA “sehr gering”. Gleichzeitig seien die dort lebenden Arten hoch empfindlich, weil Lebensprozesse in der Tiefsee sehr langsam abliefen. “Kommerzieller Tiefseebergbau wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu Artensterben führen”, so das UBA. (dpa / hcz)