Türkei: Twitter nach Sperre wieder erreichbar
Der Kurznachrichtendienst Twitter ist in der Türkei seit dem heutigen Donnerstag wieder erreichbar. Am Mittwoch hatten die Behörden den Zugriff auf die Plattform einschränken lassen.
Am Montag hatte sich in Teilen der Türkei und Syriens ein verheerendes Erdbeben ereignet. Seitdem dauern die Rettungseinsätze in den betroffenen Regionen an. Insgesamt sind durch das Erdbeben mehr als 19.000 Menschen ums Leben gekommen – alleine in der Türkei wurden bisher über 16.000 Tote registriert.
Am Mittwoch war Angaben der Organisation NetBlocks zufolge Twitter in der Türkei nicht mehr erreichbar. Zunächst sei der Zugriff über die Provider TTNet und Turkcell nicht mehr möglich gewesen. Später hätten weitere Anbieter Twitter blockiert.
Zwar hatte das Erdbeben nach Angaben von NetBlocks auch Auswirkungen auf die Internetverbindungen in den betroffenen Regionen. Bei der Twitter-Sperre habe es sich aber um absichtlich umgesetzte Filtermethoden gehandelt. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, hat die Regierung unter Präsident Erdoğan die Blockade mit dem Vorgehen gegen Desinformationen begründet.
In der Nacht auf Donnerstag bestätigte die Organisation dann, dass die Blockade wieder aufgehoben wurde.
Kritik an Twitter-Sperre
Berichten zufolge hatte es zuvor Gespräche zwischen dem stellvertretenden Minister für Verkehr und Infrastruktur, Ömer Fatih Sayan, und Twitter gegeben. Der Minister habe das Unternehmen dabei an seine Verpflichtungen beim Vorgehen gegen Desinformationen erinnert.
An den Einschränkungen hatte es teils heftige Kritik gegeben. Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP, kritisierte am Mittwoch: “Diese wahnsinnige Palastregierung hat die Kommunikation der sozialen Medien unterbrochen.” Dadurch würden Hilferufe weniger gehört werden. Kilicdaroglu erklärte: “Wir wissen, was sie alles zu verbergen versuchen. Wir warten auf eure Erklärung.”
Auch der türkische Schauspieler und Comedian Cem Yilmaz forderte Aufklärung: “Gibt es eine Erklärung dafür, dass Twitter beschränkt wurde, wo es doch nützlich sein kann, Leben zu retten?”
In den vergangenen Tagen hatten verschüttete Menschen wiederholt Hilferufe über die sozialen Medien abgesetzt. Nutzerinnen und Nutzer hatten in den sozialen Medien auch die Aufhebung der Sperre gefordert.
Kenneth Roth, ehemaliger Chef von Human Rights Watch, schrieb am Donnerstag auf Twitter: “Die Regierung des türkischen Präsidenten Erdoğan hat jetzt eingelenkt, aber sie hätte Twitter nie abschalten dürfen. Die Menschen im Erdbebengebiet müssen in der Lage sein, zu kommunizieren. Erdoğans Abneigung gegen Kritik an seiner Reaktion auf das Erdbeben ist keine Entschuldigung für Zensur.”
Die Menschenrechtsorganisation Article 19 erklärte, durch die Twitter-Blockade seien die Hilfsarbeiten und die Berichterstattung erschwert worden. Die Organisation kritisierte zudem, mehrere Medienschaffende seien in den betroffenen Gebieten festgenommen worden. So soll etwa ein Journalist aufgrund seiner kritischen Kommentare in den sozialen Medien verhaftet worden sein.
Kritik gibt es auch an der Reaktion der türkischen Regierung auf das Erdbeben. Medienberichten zufolge klagen vom Erdbeben Betroffene über fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung von verschütteten Personen. Oppositionsführer Kilicdaroglu warf Präsident Recep Tayyip Erdoğans Versagen vor. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten.
Erdoğan selbst wies die Kritik zurück. Im Mai stehen in der Türkei landesweite Wahlen an, bei denen der amtierende Präsident auf eine Wiederwahl hofft. Doch Umfragen zufolge gibt es noch keinen klaren Trend.
Wiederholte Netzsperren
Laut NetBlocks hat die Türkei in der Vergangenheit bei Notlagen wiederholt die sozialen Medien blockiert. So wurden nach einem Anschlag in Istanbul im November 2022 etwa Twitter, Instagram, Facebook und YouTube blockiert.
Im Herbst vergangenen Jahres hatte die türkische Regierung außerdem ein umstrittenes Desinformationsgesetz verabschiedet, das Haftstrafen für die Verbreitung angeblicher Falschnachrichten vorsieht. Menschenrechtsorganisationen hatten gewarnt, die Regierung werde das Gesetz verwenden, um “unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Falschmeldungen” die Meinungsfreiheit weiter einzuschränken. Die sozialen Netzwerke seien einer der letzten Bereiche, in denen die Menschen in der Türkei noch Zugang zu unabhängigen Informationen hätten und sich relativ frei äußern könnten. (js)