UN: Internetsperren schränken Rechte von Millionen Menschen ein

Netzwerkunterbrechung
Regierungen begründen Internetblockaden oft mit der nationalen Sicherheit. Das sei aber in der Regel nicht ausreichend, um diese zu rechtfertigen, kritisieren die Expertinnen und Experten. (Quelle: IMAGO / Panthermedia)

Internetsperren haben “dramatische Auswirkungen” auf das Leben und die Menschenrechte von Millionen Menschen. Das stellt ein neuer Bericht des Büros der UN-Menschenrechtskommissarin fest, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Das Thema bedürfe einer viel größeren Aufmerksamkeit von Staaten, internationalen Organisationen, der Zivilgesellschaft und auch von Unternehmen.

Regierungen setzen Internetsperren um oder ordnen diese an, um absichtlich den Zugriff auf Informationen und Kommunikationssysteme zu unterbinden. Dabei kann es zu flächendeckenden oder regionalen Abschaltungen kommen; oder es werden gezielt einzelne Dienste blockiert. Zunehmend werde jedoch die Übertragungsgeschwindigkeit gedrosselt – Dienste sind dann zwar grundsätzlich weiter erreichbar, lassen sich jedoch kaum noch nutzen.

In dem Bericht heißt es, solche Maßnahmen würden sich stets auf viele Menschen auswirken – und zu “enormen Kollateralschäden” führen. Denn es seien immer auch zahlreiche legitime Aktivitäten betroffen. Außerdem werde direkt die Sicherheit und das Wohlergehen von Menschen gefährdet, weil sie ohne Kommunikationsmöglichkeiten beispielsweise nicht vor Gefahren gewarnt werden können.

Dem Bericht zufolge veranlassen einige Regierungen zudem die Blockade sogenannter VPN-Dienste, mit denen beispielsweise gesperrte Internetseiten weiter erreicht werden können. Teilweise werden Internetsperren auch von einer Abschaltung der Telefonnetze begleitet, sodass es in betroffenen Gebieten gar keine funktionierenden Kommunikationssysteme mehr gibt.

NGOs dokumentieren Internetsperren

Von 2016 bis 2021 haben NGOs über 900 Internetsperren in 74 Ländern dokumentiert – die meisten davon in Asien und Afrika. Die Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl noch höher liegt.

Der Zugang zum Internet, so heißt es im Bericht, sei weithin als Voraussetzung für den Zugang zu einer Reihe von Menschenrechten anerkannt. Eine Internetsperre betreffe unmittelbar das Recht auf Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen. Die UN-Menschenrechtler mahnen, dieses Recht dürfe nach internationalen Menschenrechtsverträgen nur in bestimmten Fällen eingeschränkt werden. Ein allgemeiner Verweis auf die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit reiche in der Regel nicht aus – so begründen Regierungen die Maßnahme aber häufig.

Im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung sei das Internet auch für die Wahrnehmung weiterer Menschenrechte bedeutend: beispielsweise für das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, aber auch für die Rechte auf Bildung und Gesundheit. Nur “sehr selten” sei eine Blockade des Internets verhältnismäßig.

Laut den UN-Experten greifen Regierungen vor allem in Zeiten von Konflikten oder erhöhten politischen Spannungen zu Internetsperren, beispielsweise vor Wahlen oder während großer Protestwellen.

Zwischen 2016 und 2021 haben NGOs 225 Internetsperren während Protesten dokumentiert, die sich gegen soziale, politische oder wirtschaftliche Missstände gerichtet hatten. Das Ziel solcher Blockaden sei, die Demonstrationen zu unterdrücken. Denn zum einen wird die Möglichkeit eingeschränkt, große Gruppen schnell zu mobilisieren. Zum anderen wird auch die Sichtbarkeit der Proteste verringert. Laut internationalen Menschenrechtsabkommen dürfe das Internet aber nicht im Zusammenhang mit friedlichen Protesten blockiert werden.

Wahlbeobachtung wird erschwert

Internetsperren wurden dem Bericht zufolge auch während 52 Wahlen zwischen den Jahren 2016 und 2021 verhängt. Alleine im Jahr 2019 haben demnach 14 afrikanische Länder in Wahlzeiten das Internet blockiert. Die Menschenrechtler kritisieren, dies schränke die öffentliche Diskussion ein und es werde schwieriger, den Wahlprozess zu überwachen. Laut dem Bericht ist dies besonders für Oppositionsparteien problematisch, die aufgrund eingeschränkter Mittel auf einen Online-Wahlkampf angewiesen sind. Auch die Berichterstattung wird behindert – so etwa in Uganda im vergangenen Jahr.

Auch inmitten bewaffneter Konflikte schalten Regierungen das Internet ab. Dies erschwere ebenfalls die Berichterstattung und es sei schwieriger, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Eine Internetsperre könne sogar bewusst erfolgen, um Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen.

Als Beispiel nennt der Bericht Myanmar: Dort hatte sich das Militär im Februar 2021 an die Macht geputscht – und sowohl Telefon- als auch Internetverbindungen in Teilen des Landes gekappt. Nach Angaben der Organisation Access Now kommt es in Myanmar auch weiterhin zu Internetsperren, beispielsweise an Orten, an denen das Militär auf Widerstand trifft. Die Organisation kritisiert, Menschen erhalten so keine Informationen über Militäreinsätze und können sich nicht in Sicherheit bringen. Auch der Transport von lebenswichtigen Gütern ist eingeschränkt, da sich sichere Routen nur schwer planen lassen.

Im UN-Bericht heißt es auch, Regierungen ließen das Internet sogar während Prüfungsphasen abschalten, um Betrug zu verhindern. Erst im Juni hatte der Sudan deshalb das Internet an elf aufeinanderfolgenden Tagen landesweit jeweils für mehrere Stunden blockiert.

Gesundheitsbereich betroffen

Die UN-Experten kritisieren, dass durch Internetsperren auch die Gesundheitsversorgung, soziale Dienste und der Bildungsbereich eingeschränkt werden. So könnte medizinisches Personal beispielsweise keine Informationen mehr austauschen und es könne zur Unterbrechung von Medikamentenlieferungen kommen. In Zeiten wie der Covid-19-Pandemie würden Menschen von wichtigen Gesundheitsinformationen abgeschnitten.

Fernunterricht wird durch Blockaden ebenfalls eingeschränkt – so etwa in der Kaschmir-Region in Indien. Nach Angaben von Access Now war das Internet dort zwischen August 2019 und Februar 2021 mehr als 500 Tage lang durchgängig abgeschaltet.

Auch die Wirtschaft spürt die Auswirkungen der Blockaden laut dem UN-Bericht. Nach Berechnungen der Weltbank haben Internetabschaltungen in Myanmar zwischen Februar und Dezember 2021 fast 2,9 Milliarden US-Dollar gekostet. Dies habe die wirtschaftlichen Fortschritte der vergangenen zehn Jahre zunichte gemacht.

Die UN-Experten begrüßen zwar, dass Gerichte Internetsperren in der Vergangenheit bereits für rechtswidrig erklärt oder Behörden verboten haben, diese in Zukunft anzuordnen. Allerdings benennt der Bericht auch praktische Probleme beim Vorgehen gegen Internetabschaltungen auf dem Klageweg: So dauerten Verfahren oft Jahre. Manche Richter würden dann von einem Urteil absehen, weil die Blockade nicht mehr in Kraft ist.

Staaten sollen keine Internetsperren verhängen

Grundsätzlich sollten Staaten keine Internetsperren verhängen, fordern die Experten. Würden sie dennoch zu diesem Mittel greifen, so müsse die Maßnahme mit öffentlich zugänglichen Gesetzen begründet werden. Auch müsse die Öffentlichkeit im Vorfeld informiert werden und es brauche die vorherige Genehmigung eines Gerichts oder einer anderen unabhängigen Stelle.

Laut dem Bericht veröffentlichen die zuständigen Behörden häufig keine Informationen oder geben nicht zu, dass eine Internetsperre angeordnet wurde: In 228 Fällen in 55 Ländern zwischen 2016 und 2021 habe es keine offizielle Begründung gegeben.

Die UN-Experten fordern Telekommunikationsunternehmen zudem dazu auf, alle rechtlich zulässigen Mittel zu ergreifen, um Abschaltungen zu verhindern. Auch sollten sie über die Blockaden informieren. Die Zivilgesellschaft solle Blockaden weiter dokumentieren und Betroffenen Wege aufzeigen, wie sie Internetsperren umgehen können. (js)