UN-Weltnaturkonferenz: Unverbindliche Abschlusserklärung in der Kritik

Lemur
“Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu. Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.” – NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger(Quelle: Benherz – CC BY-SA 3.0

Parallel zur globalen Klimakrise verschärft sich zunehmend auch die Biodiversitätskrise: Viele Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Deswegen haben rund zwei Wochen lang Vertreter von rund 200 Staaten auf dem Weltnaturgipfel im kanadischen Montreal um ein neues Abkommen für den Artenschutz gerungen. 

Lange sah es nicht so aus, als ob ein Kompromiss zustande kommen würde, nun wurde am Montag doch noch eine Abschlusserklärung verabschiedet: Sie setzt sich aus mehreren Dokumenten zusammen, die insgesamt 4 Vorsätze und 23 Zielsetzungen umfassen. Unter anderem sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden. Weitere 30 Prozent sollen renaturiert werden. 

Reichere Länder sollen ärmeren Staaten zum Erhalt der Artenvielfalt bis 2025 rund 20 Milliarden US-Dollar jährlich zukommen lassen. Bis 2030 soll dieser Betrag auf 30 Milliarden US-Dollar erhöht werden. 

Die Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Pestizide soll bis 2030 halbiert und umweltschädliche Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar abgebaut werden. Darüber hinaus soll die Rate, mit der Arten aussterben, bis 2050 auf ein Zehntel verringert werden.

Umweltschutzorganisationen blicken kritisch auf die Ergebnisse. Für Greenpeace, NABU & Co. bleiben noch viele Fragen ungeklärt, besonders in Bezug auf die Umsetzung. Greenpeace teilte mit, das Abkommen reiche nicht aus, um das “Massensterben der Arten” aufzuhalten. “Es schließt schädliche Aktivitäten wie industrielle Fischerei oder Holzeinschläge in Schutzgebieten nicht prinzipiell aus”, schrieb die Organisation. “Damit existiert der Schutz zunächst nur auf dem Papier.”

30-Prozent-Ziel

Mit dem sogenannten 30-Prozent-bis-2030-Ziel soll “sichergestellt und ermöglicht” werden, so heißt es im Text der Erklärung, dass bis zum Jahr 2030 auf der Erde mindestens 30 Prozent der Landflächen, der Binnengewässer und der Küsten- und Meeresflächen “wirkungsvoll konserviert” werden. 

Das soll nach Möglichkeit auch in Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften passieren. Die “30 bis 30”-Zielsetzung galt schon im Vorfeld als herausragend wichtig, ihre Verabschiedung feiern Umweltschützer als großen Erfolg. “Ein Biodiversitäts-Ziel von diesem Ausmaß gab es noch nie”, sagt Brian O’Donnell von der Organisation Campaign for Nature.

Kritisiert wird allerdings, dass im Text zu wenig spezifiziert sei, was “wirkungsvoll konserviert” eigentlich genau bedeute.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schrieb von einer “verpassten Gelegenheit, die Rechte der Indigenen Völker” zu schützen. “Die auf der Konferenz anwesenden Staaten haben die Forderung der indigenen Völker nicht berücksichtigt, ihr Land vollständig als eine Kategorie von Naturschutzgebieten anzuerkennen”, sagte Chris Chapman, Berater von Amnesty. Das setze Indigene einem größeren Risiko von Menschenrechtsverletzungen aus. Das Land indigener Völker beherberge 80 Prozent der Biodiversität.

Meinungsverschiedenheiten

Während der Verhandlungen in Montreal hatte es Berichten zufolge zahlreiche Meinungsverschiedenheiten gegeben: Einige Länder wollten die Formulierungen gerne vage halten, andere wünschten sich klare, messbare Ziele. 

Vor allem aber gab es Differenzen bei Fragen der Finanzierung. Viele ärmere Länder forderten deutlich mehr finanzielle Unterstützung von reicheren Ländern. Diese seien nicht ausreichend ernst genommen worden. Aus Protest hatte eine Gruppe von Entwicklungs- und Schwellenländern, angeführt von Brasilien, die Verhandlungen sogar zeitweise verlassen. 

Letztendlich wurde zum Schluss ein Kompromiss gefunden. Nach dessen Verabschiedung mitten in der Nacht drückte der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo aber noch einmal sein Unbehagen über die Finanzierung aus.

Auch Greenpeace sieht die 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr – und später 30 Milliarden – nur als einen Anfang für die Finanzierung des Naturschutzes an; sie reichten “bei weitem nicht”. Die Organisation warnte: “Bei einer Finanzierungslücke von 700 Milliarden Dollar für Naturschutz ist unklar, woher der Rest des Geldes kommen soll.” Es ginge nicht nur darum, wie viel, sondern auch wie schnell Geld bereitgestellt werden kann.

Fehlende Sanktionen in der Kritik

Dass es überhaupt zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung gekommen ist, wird von Teilnehmern, Experten und Beobachtern als Erfolg gewertet. Aber während die chinesische Gipfelpräsidentschaft von einem “historischen Moment” sprach und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) von einem “guten Tag für den weltweiten Natur- und Umweltschutz”, sahen andere das deutlich kritischer. 

Viele Umwelt- und Naturschützer halten die vereinbarten Ziele für nicht weitgehend genug und vermissen Sanktionen für den Fall, dass die Zielmarken verfehlt werden. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, bemängelte deshalb: “Das Abkommen hat keine scharfen Zähne.” Zudem seien viele Formulierungen recht vage und schwammig – ganz abgesehen davon, dass das Dokument rechtlich ohnehin nicht bindend sei.

“Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu”, warnte der Präsident des Naturschutzbundes NABU, Jörg-Andreas Krüger. “Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.” Vereinbarte Ziele seien in den vergangenen Jahren konsequent verfehlt worden. Auch im neuen Abkommen sei kein Mechanismus vorhanden, der die Mitgliedsstaaten zu Transparenz, Verbindlichkeit und Umsetzung zwingt. “Ein grüner Wandel ist notwendig bei unserem Konsum, im Finanzsektor, der Fischerei und der Land- und Forstwirtschaft”, fordert der NABU.

Florian Titz von der Umweltschutzorganisation WWF sprach von einem “lückenhaften, aber letztlich überraschend guten Rahmenwerk”. Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), würdigte die ambitionierten Ziele, mahnte aber zugleich deren Umsetzung an: Noch sei es “zu früh, um in echten Jubel auszubrechen”.

Aufgaben für Deutschland

In Deutschland ist das 30-Prozent-Ziel nach Angaben des Umweltministeriums schon erreicht. Hierzulande seien 45 Prozent der Meeresflächen geschützt. An Land liege die Quote – wenn man Landschaftsschutzgebiete einbezieht – ebenfalls deutlich über 30 Prozent, erläuterte ein Ministeriumssprecher in Berlin. 

Mit Bezug auf Deutschland wies Greenpeace darauf hin, dass allerdings nur drei Prozent der Wälder “strikt vor industrieller Ausbeute” geschützt seien. “In den meisten Schutzgebieten werden bisher einfach weiter Bäume gefällt oder es wird industriell gefischt”, erklärte die Umweltschutzorganisation.

Es gebe “Hausaufgaben” für die Bundesregierung, erklärte auch das Umweltministerium – etwa beim Abbau klimaschädlicher Subventionen. Deutschland will diese bis zum Jahr 2025 beenden – getroffen wurde diese Entscheidung bereits 2016. 

Eine Greenpeace-Studie hatte noch im vergangenen Jahr schädliche staatliche Zahlungen von rund 50 Milliarden Euro jährlich errechnet. Auch das Umweltbundesamt bescheinigte Deutschland noch Ende 2021 “nur geringe Fortschritte” beim Abbau umweltschädlicher Subventionen. Ausgelaufene Unterstützungen, wie etwa Hilfen für die Steinkohleförderung, seien durch neue ersetzt worden – beispielsweise im Verkehrssektor.

Größte Herausforderung steht noch bevor

Der 15. Weltnaturgipfel – der auch unter dem Kürzel COP15 läuft – hätte ursprünglich schon 2020 in China stattfinden sollen, wurde dann aber wegen der anhaltenden pandemischen Lage dort verschoben und zerteilt. Der erste Verhandlungsteil fand im vergangenen Oktober hauptsächlich online im chinesischen Kunming statt, der Abschluss nun in Montreal.

Das Abkommen ist nun erst der Anfang, um Tier- und Pflanzenarten weltweit vor dem Aussterben zu bewahren. Jeder Teilnehmerstaat muss nun die Ziele konkret für sich umsetzen. 

Das sei das wirklich Wichtige, hatte die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention, Elizabeth Maruma Mrema, schon im Vorfeld angemahnt. Ansonsten sei die Abschlusserklärung nicht mehr als “ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können”. (dpa / hcz)