Urteil: Datenweitergabe durch den Verfassungsschutz muss eingeschränkt werden
Der Verfassungsschutz darf künftig nicht mehr so viele heimlich gesammelte persönliche Daten an Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Das geht aus einem am heutigen Donnerstag veröffentlichten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hervor. Nach Auffassung des Gerichts sind die bisherigen Übermittlungsbefugnisse zu weitgehend und verstoßen gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Dabei geht es um Vorschriften im Bundesverfassungsschutzgesetz, in denen die Übermittlung von Daten an Polizeien und Staatsanwaltschaften geregelt ist. Sie betreffen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Nach den bisherigen Regeln übermittelt das Bundesamt für Verfassungsschutz von sich aus personenbezogene Daten und Informationen, wenn dies zur Verhinderung oder Verfolgung sogenannter Staatsschutzdelikte erforderlich ist.
Die Richterinnen und Richter betonten, die Befugnisse dienten zwar dem legitimen Zweck, die Sicherheit des Staates sowie Leib, Leben und Freiheit der Bevölkerung zu schützen. Doch einige Regeln seien nicht klar genug und unverhältnismäßig. Der Erste Senat hatte schon früher für den Austausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizei besonders strenge Vorgaben gemacht.
Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei
Grund dafür sind die unterschiedlichen Aufgabenbereiche der Behörden: Die verdeckt arbeitenden Geheimdienste haben weitreichende Überwachungsbefugnisse, müssen sich aber auf Beobachtung und Aufklärung beschränken. Für das Eingreifen bei Straftaten ist die Polizei zuständig, für die andere Vorgaben gelten. Dieses sogenannte informationelle Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei verhindert, dass die Polizei mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobene Daten erhält, die sie selbst nicht erheben darf.
Einschränkungen der Datentrennung seien nur ausnahmsweise zulässig, urteilten die Richterinnen und Richter. Die Datenübermittlung an Gefahrenabwehrbehörden setze voraus, dass sie “dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts” diene. Bei infrage kommenden Straftaten könne es grundsätzlich auch um reine Vorbereitungen gehen, stellten die Richter klar – also zum Beispiel für einen Terroranschlag. Es müsse aber sichergestellt sein, dass die Gefahr im Einzelfall hinreichend konkret sei.
Die vom BVerfG beanstandeten Regelungen müssen nun reformiert werden. Dafür hat das Gericht dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2023 eingeräumt. Bis dahin gelten die Regeln eingeschränkt weiter: Eine Datenübermittlung ist nur noch “zum Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichem Interesse zulässig”. Dem entspricht laut Urteil eine Begrenzung auf besonders schwere Straftaten. Im Gesetz war bisher auch eine Weitergabe bei bestimmten anderen Straftaten vorgesehen.
Urteil bestätigt Reformbedarf
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums (BMI) teilte auf Anfrage von Posteo mit: “Das Gericht hat einerseits die grundsätzliche Übermittlungsmöglichkeit von Verfassungsschutzbehörden zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bestätigt, gleichzeitig aber normenklare Eingrenzungen verlangt.” Im Koalitionsvertrag sei eine Reform des Nachrichtendienstrechts vereinbart – das jetzt ergangene Urteil bestätige diesen Reformbedarf.
Inhaltlich bleibe das Gericht “auf der Linie” des im April ergangenen Urteils zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz, es sei “im Kern also nicht überraschend”.
Damals hatte das Bundesverfassungsgericht etliche Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes als zu weitgehend beanstandet. Unter anderem ging es dort auch um das informationelle Trennungsprinzip. Die Richter hatten entschieden, die entsprechende Vorschrift zur Datenübermittlung müsse auf den “Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern” beschränkt sein.
Die BMI-Sprecherin erklärte, auf Bundesebene müsse nun bis zum 31. Dezember 2023 ein Reformgesetz in Kraft sein. Die Umsetzung solle schnell angegangen werden: “Für ein solches umfassendes Reformprojekt ist dies ein herausfordernder, aber in konstruktiver Zusammenarbeit auch gestaltbarer Zeitrahmen. Das Bundesinnenministerium strebt nunmehr an, in der Koalition die nötigen politischen Vorklärungen der Reformeckpunkte möglichst rasch abzusprechen.”
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, kritisierte: “Die Bedenken bestehen seit Jahren und sind deutlich vorgetragen worden. Mir ist es völlig unverständlich, warum sich die politisch Verantwortlichen jedesmal vom Gericht korrigieren lassen, statt selbstbestimmt Gesetze zu verbessern.”
Die Verfassungsbeschwerde war bereits im Jahr 2013 eingereicht worden. Dabei ging es um die 2012 neu geschaffene Rechtsextremismus-Datei (RED), über die die zuständigen Behörden in Bund und Ländern Informationen zu gewaltbezogenen Rechtsextremisten austauschen. Das RED-Gesetz verweist auf die Übermittlungsbefugnisse im Verfassungsschutzgesetz.
Geklagt hatte ein Mann, der 2018 im Münchner NSU-Prozess wegen Beihilfe zu einer dreijährigen Jugendstrafe verurteilt worden war. Er hatte gestanden, den Rechtsterroristen des “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) die Pistole übergeben zu haben, mit der später neun rassistisch motivierte Morde begangen wurden. (dpa / js)