Urteil: Twitter muss auch Varianten von Falschbehauptungen löschen

Michael Blume
Der Antisemitismusbeauftrage von Baden-Württemberg, Michael Blume, hatte gegen die Plattform geklagt, weil sie diffamierende Beiträge nicht gelöscht hatte. (Quelle: Staatsministerium Baden-Württemberg)

Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Beiträge über sie gelöscht werden. Das hat das Landgericht Frankfurt am Main am Mittwoch entschieden. Die Richter stellten zudem fest, dass Twitter auch kerngleiche Äußerungen entfernen muss. Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume hatte eine einstweilige Verfügung gegen die Plattform beantragt.

“Die Entscheidung zeigt, das Internet ist kein rechtsfreier Raum”, sagte die Vorsitzende Richterin Ina Frost bei der Urteilsverkündung. In dem Eilverfahren hatten Blume und die unterstützende Organisation HateAid Twitter vorgeworfen, für die Verbreitung von Verleumdungen mitverantwortlich zu sein.

Konkret war in den Tweets behauptet worden, Blume gehe fremd. Außerdem wurde verbreitet, er habe “eine Nähe zur Pädophilie” und sei in “antisemitische Skandale” verstrickt.

Wie HateAid mitteilte, hatte Blume die fraglichen Beiträge mehrfach im durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eingeführten Verfahren gemeldet. Die Tweets seien erst eine Woche später verschwunden. Allerdings habe Twitter diese nicht gelöscht, sondern nur das für die Verbreitung hauptsächlich verantwortliche Konto gesperrt.

Twitter hätte löschen müssen

Laut der Gerichtsentscheidung sind diese “ehrenrührigen Behauptungen unwahr”. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. In dem gewählten Kontext sei sie aber rechtswidrig, weil sie nicht zur öffentlichen Meinungsbildung beitrage und erkennbar darauf abziele, Stimmung gegen Blume zu machen.

Twitter hätte daher die Verbreitung der Tweets unverzüglich unterlassen und einstellen müssen, nachdem der Antisemitismusbeauftragte ihre Entfernung verlangt hatte.

Darüber hinaus entschied die zuständige Pressekammer des Landgerichts auch, dass das Unterlassungsverbot nicht nur greift, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird. Vielmehr greife es auch, “wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden”. Twitter müsse daher sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern ebenfalls entfernen.

Prüfung nur nach Beanstandung

Das Gericht erklärte aber auch, dass Twitter keine allgemeine Monitoring-Pflicht mit Blick auf seine rund 237 Millionen Nutzer auferlegt werde. Eine Prüfpflicht bestehe nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Josephine Ballon von HateAid kommentierte den Fall: “Twitter glaubt offenbar, dass das Gesetz für sie nur eine Handlungsempfehlung ist. Sie verlassen sich darauf, dass Nutzende nicht die Mühen und das Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens auf sich nehmen. Eine Klage darf aber nicht die einzige Möglichkeit sein, um sein Recht auf Social-Media-Plattformen durchsetzen zu können.”

Laut HateAid droht Twitter ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder ersatzweise bis zu sechs Monate Ordnungshaft, wenn die Plattform dem Urteil nicht nachkommt.

Blumes Rechtsanwalt Chan-jo Jun erklärte: “In einer idealen Welt bemühen sich Unternehmen die für sie geltenden Gesetze so gut wie möglich zu befolgen. Twitter stellt sich inzwischen dazu im Widerspruch, daher ist jetzt der Rechtsstaat mit seiner Justiz gefordert, Twitter notfalls auch mit Ordnungsgeld und Ordnungshaft dazu zu zwingen, endlich einen wirksamen Schutz von Persönlichkeitsrechten zu installieren.” Durch das Urteil werde es für künftige Opfer viel leichter, ihre Rechte durchzusetzen.

Das Gericht erachtete in dem Verfahren aber auch die Äußerungen eines Twitter-Nutzers als zulässig, wonach der Antisemitismusbeauftragte in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Antisemiten-Liste aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob dies gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden, hieß es. Dagegen müsse sich Blume im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig und kann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden.

Die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main hatte bereits im April ein ähnliches Urteil in Bezug auf Facebook gefällt: Damals hatte das Gericht entschieden, dass Facebook Wort-Bild-Kombinationen – sogenannte Memes – mit einem Falschzitat auch ohne erneuten Hinweis löschen muss, wenn sie einen kerngleichen Inhalt aufweisen. In dem Verfahren hatte die Grünen-Abgeordnete Renate Künast geklagt. (dpa / js)